Dokumentation: Die ARD ist unanständig!
■ Kanzler Kohl droht nach Satire mit dem großen Hammer
„Hallo, Boris“, ließ Monitor (ARD) am 26. Januar Helmut Kohl ins Telefon männerfreundschaften, „ich freue mich, deine Stimme zu hören. Ich rufe dich an wegen dieser Sache in Tadschinkistan oder wie das heißt. [...] Ich denke manchmal, das macht keinen guten Eindruck, das mit den vielen Toten in Grosny. Mensch, mein lieber Freund, laß dir was einfallen! Diese schrecklichen Bilder, müssen da eigentlich so viele Leichen herumliegen? [...] Vor allem hoffe ich, daß du das mit der Demokratie wieder hinkriegst. Sonst kriege ich wieder Ärger mit dem Parlament, und unser kleiner Kinkel kommt wieder ins Schleudern.“ Worauf der Boris, der „alte Saunafreund“, sich einsichtig zeigt, wie der letzte Gruß aus Moskau beweist: „In Ordnung, und grüß die Channelore von mir. Auf Wiedersehen. [Pause] So ein Blödmann.“
Diese fünf Minuten ließen den Adrenalinspiegel von Dr. Helmuth Kohl mehr steigen als jede Parlamentsdebatte und ihn unverzüglich zum Diktiergerät greifen. Vorsicht, dies ist keine Satire, sondern eine handfeste Kriegserklärung an die ARD!
Sehr geehrter Herr Intendant,
... in der Sendung „Monitor“ vom 26. Januar 1995 wurde eine als „historisches Gespräch“ angekündigte Satire über ein Telefonat zwischen Präsident Jelzin und mir zur Lage in Tschetschenien ausgestrahlt.
Nach dieser Sendung sind zahlreiche empörte Reaktionen von Zuschauern im Bundeskanzleramt eingegangen. Nach den mir inzwischen vorliegenden Informationen über diese Sendung habe ich für diese Empörung vollstes Verständnis. Dieser Beitrag belegt einmal mehr den Verlust an journalistischer Qualität in bestimmten Bereichen des Westdeutschen Rundfunks. Daran, daß ich vom WDR und seinen Mitarbeitern persönlich verunglimpft und ins Lächerliche gezogen werde, habe ich mich seit langem gewöhnt. Dies berührt mich in Kenntnis der handelnden Personen nicht.
Der Tiefpunkt der Geschmacklosigkeit ist allerdings dadurch erreicht, daß der WDR Leid und Elend der Menschen in Tschetschenien zum Instrument seiner mißglückten satirischen Versuche macht.
In Kenntnis der Tragik dieses Krieges und der Opfer ist den für diese Sendung Verantwortlichen jedes Gespür für Anstand und Würde verlorengegangen.
Angesichts der aktuellen Diskussion über den Bestand des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und speziell der ARD stellt sich mir vor diesem Hintergrund einmal mehr die Frage, inwieweit sich der Fortbestand der ARD damit rechtfertigen läßt, daß diese ihrer kulturellen und gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht wird und dadurch einen Beitrag zur Qualität der Medienkultur unseres Landes leistet. Ich vermag dies dem Bürger, der gezwungen ist, für den Bestand der ARD Gebühren zu zahlen, nicht zu vermitteln ... Hochachtungsvoll Helmut Kohl
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