Dokumentation: Chaostage online
■ Punks verbreiten via Internet ihre Sicht: die „Chaos-Tage Lager News“
Ich weiß 'nen Platz, wo ich hingehör' – KZ! Ich weiß 'nen Platz, wo ich niemand stör' – KZ!
Freitag: Wir haben uns in den letzten Tagen bemüht, eine ohnehin delikate Situation nicht auch noch aufzuheizen. Aber was sollen die freundlichen Worte, wenn die Polizei schon fast handstreichartig alles in die Scheiße reitet? Es steht zu befürchten, daß nach den gestrigen Ausschreitungen der Polizei schnell neues Unheil vor der Tür steht und all die Chancen, eine riesige friedliche Punkparty zu feiern, durch polizeiliche Dummheit zerstört werden.
Donnerstag nachmittag begann die Gruppe der am Bahnhof feiernden Punks immer größer zu werden, um 14 Uhr waren etwa 150 Leute da. Natürlich lag eine Menge Müll in der Gegend rum – das kennt man ja auch von der Berliner Love Parade –, aber anstatt wie in den vergangenen Tagen Müllsäcke auszuhändigen, geschah folgendes: Eine große Menge Bullen rückte unvermittelt an, und der Einsatzleiter forderte die Punks auf, sich sofort zu verpissen. Einzelne Bullen drohten sofort Prügel man. Also setzte sich die Gruppe von Punks in Bewegung und wurde von der Polizei mitten durch die City getrieben. Wäre dies wirklich ein Haufen bunthaariger Gewalttäter gewesen, hätte sich die City in ein Schlachtfeld verwandelt. Aber nicht doch: Die bösartigen Punker wurden nicht einmal laut. Danach begann sofort die große Punkerhatz in der City ...
Samstag, 12.30 Uhr: Noch immer strömen Unmengen von Punks, Skins und allen möglichen Leuten, die mit uns zusammen die größte Punkfete aller Zeiten feiern wollen, nach Hannover. Es sind Leute aus allen möglichen Ländern dabei, und so ist die Wut der Leute über die Ausschreitungen der Polizei international. Von den Medien müssen wir uns wieder den gleichen Scheiß anhören, nämlich daß die Punks nur deshalb nach Hannover gekommen seien, um die Stadt in „Schutt und Asche zu legen“. Polizisten verkünden in der Glotze mit treuherzigem Augenaufschlag, wieviel Verständnis man für die Punks habe und daß man ja alles versucht habe, um Gewalt zu vermeiden.
Ihr Heuchler! All die Tage, wo die Polizei sich nicht blicken ließ, gab es keinen Zoff, weder in der Nordstadt noch in der City. Aber welcher Punk läßt sich schon auf die Dauer von Platzverbot zu Platzverbot durch die Stadt jagen? Mit eurem selbstgerechten Law-and- order-Einsatz habt ihr schon am Donnerstag nachmittag endgültig die Lunte gezündet: Als ihr eine Reihe hungriger Punks, die in eine Pizzeria reinwollten, willkürlich mit Platzverbot belegt habt, war die Geduld vieler am Ende.
Ihr habt die Büchse der Pandora geöffnet ...
Wir können uns nicht vorstellen, daß diese Eskalation jetzt noch zu stoppen ist; niemand kann die Situation noch kontrollieren, am wenigsten die Polizei. Ihr seid die grünweißen Zauberlehrlinge: Wer Wind sät, wird Sturm ernten ...
Sonntag: Es ist zum Kotzen, mit welch übler Mischung aus Ignoranz und Brutalität es die Polizisten wieder mal geschafft haben, die größte Punkfete aller Zeiten zu verhindern. Auf der anderen Seite haben sie aber auch erreicht, daß viele 15jährige Kids zum erstenmal in ihrem Leben einen Stein in die Hand genommen haben. Die Polizei hat es in der Hand gehabt, die Chaostage zu einem bunten, aber weitgehend friedlichen Medienspektakel zu machen. Statt dessen hat sie ihre Leute in schwachsinnigen Einsätzen verheizt und außerdem dafür gesorgt, daß Punks, Skins, Holls und vor allem viele Kids aus Hannover eine Steinparty gegen Bullenterror gefeiert haben. Das habt ihr nun davon... Zusammengestellt von ü. o.
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