Dokumentation: Amtliche Keule
■ Zu den Durchsuchungen von Sielwallhaus und Privatwohnungen
Die Durchsuchungen, die auf die Demo zum Besuch von Bundes-Innenminister Manfred Kanther folgten, haben bei vielen helle Empörung ausgelöst. Wir dokumentieren eine Stellungnahme der MitarbeiterInnen des Kulturzentrums Schlachthof.
Kann es sein, daß Bremen im Schlagschatten des Hemelinger Tunnels und des 0-Wegs die Gelegenheit verpaßt hat, einen tiefen Einblick in die Abgründe der Borttschellerschen Innenpolitik zu nehmen? Die Rede ist von der Durchsuchung des Sielwallhauses, besser von der amtsoffiziellen Begründung dafür.
Vor wenigen Tagen wurden sowohl das Sielwallhaus als auch Privatwohnungen von Leuten, die im Anti-Rassismus-Büro mitarbeiten durchsucht, weil CDU-Innensenator Borttscheller Strafantrag gestellt hat gegen die Verfasser eines Flugblattes zum Kanther-Besuch beim Bremer CDU-Neujahrsempfang. Kanther und Borttscheller werden in dem Flugblatt als ,Schreibtischtäter' bezeichnet, die die ,Massendeportationen' von Rumänen, Bosniern, Sudanesen etc. veranlassen und durchführen lassen. Und unser sprachsensibler Innensenator, der noch vor wenigen Wochen nicht zwischen einer Diskussion um politische Lösungen in Kurdistan und einer Symathiebekundung für das gewaltsame Vorgehen der PKK unterscheiden konnte, hört plötzlich eine „üble Nachrede“ und fühlt eine „Untergrabung seines Vertrauens als im öffentlichen Leben stehender Persönlichkeit“. Und der zuständige Staatsanwalt hat gleich mitgezogen und die Durchsuchungen veranlaßt. Die im Flugblatt verwendeten Begriffe brächten das „politische Wirken des Senators assoziativ in Verbindung mit den entsetzlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Täter des deutschen Nationalsozialismus in der Zeit von 1933 – l945“ – so der Durchsuchungsbefehl. Nicht genug damit, die „üble Nachrede“ behindere ihn erheblich an der Ausübung seines Amtes.
Herr Borttscheller, es sind nicht Worte und Assoziationen, die das Vertrauen in ihr ,politisches Wirken' untergraben, es ist die tätliche Ausübung ihres Amtes, das neuerdings für Flugblätter und Assoziationen zuständig ist, es ist Ihre Neigung zur amtlichen Keule gegen Errungenschaften wie das politische Gespräch (im Fall der Diskussion mit Kurden) und jetzt das Recht auf freie Meinungsäußerung, zu dem Sie scheinbar ein gespaltenes Verhältnis haben.
Ob durch die Begriffe „Massendeportation“ und „Schreibtischtäter“ der Vergleich mit den Nazis naheliegt, darüber läßt sich streiten. Ob es Ähnlichkeiten zwischen der „eiskalten Exekution des Asylrechts“ (der Bürgermeister von Lübeck) mit der rassistischen Praxis der Nationalsozialisten gibt, auch darüber läßt sich streiten. Und, Herr Bortscheller, Sie werden es nicht glauben: Darüber wird gestritten, und zwar öffentlich. Nicht streiten laßt sich nämlich über die Freiheit, solche Streits in der Öffentlichkeit auszutragen.
Es ist mehr als nur ein starkes Stück, daß die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus jetzt dazu herhalten muß, die freie Meinungsäußerung mit Hausdurchsuchungen zu überziehen. Nein, keine Angst, das weckt keine Assoziationen, das ist für sich schon schlimm genug. Während der Bürgermeister von Lübeck nach dem Tod von zehn Flüchtlingen – Attentat oder nicht – klarstellt, daß schon die Unterbringung, die Behandlung der Asylbewerber dem Rassismus mindestens Vorschub leistet, während eine Polizei-Studie herausfindet, daß Übergriffe gegen Flüchtlinge und Fremde keine Einzelfälle sind, währenddessen haben Sie nichts besseres zu tun, als hinter Flugblättern und Assoziationen herzustöbern. Mitarbeiter des Kulturzentrums Schlachthof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen