Dokumentation: Den Sozialstaat zukunftssicher machen
■ Auszüge aus der gestern veröffentlichten Sozialstaatscharta des DGB und der Sozialverbände
(...) Heute muß festgestellt werden, daß der Sozialstaat in diesem Land gefährdet ist. Das ist einerseits auf einen tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchprozeß zurückzuführen, in dem Deutschland wie alle Industriestaaten steht. Die Krise des Sozialstaates ist zum anderen aber auch Folge falscher politischer Weichenstellungen, die Arbeitslosigkeit erhöhen, Armut vergrößern, Branchenkrisen und regionale Ungleichgewichte verschärfen und somit die Finanzierungsprobleme des Sozialstaates zugespitzt haben. Die Herausforderungen dürfen kein Anlaß sein, den Sozialstaat in Frage zu stellen. Vielmehr sind alle gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte aufgerufen, den Sozialstaat zukunftssicher zu machen. (...) Eine menschenwürdige Gesellschaft muß am Ziel festhalten, für alle, die arbeiten wollen, Erwerbsarbeitsplätze zu Verfügung zu stellen. Massenarbeitslosigkeit und steigende Erwerbslosenzahlen sind Grund zur größten Sorge. (...)
Um das Bündnis für Arbeit zu verwirklichen, haben sich Bundesregierung sowie Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände verpflichtet, ihren Beitrag zur Halbierung der erfaßten Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu leisten. Das verlangt zwei Millionen zusätzliche neue Arbeitsplätze.
In Deutschland können in der Tat Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn es gelingt, die Chancen neuer Technologien zu nutzen, die Industriegesellschaft ökologisch umzubauen, insbesondere humane und soziale Dienstleistungen zu gewährleisten sowie die Erwerbsarbeit anders zu verteilen. Ein ökologisch orientiertes Steuersystem muß zur Schonung der natürlichen Ressourcen und zur Entlastung des Kostenfaktors Arbeit beitragen. (...)
Die Gewerkschaften haben – gegen viele Widerstände in der Gesellschaft – mit ihrer Politik der Arbeitszeitverkürzung dazu beigetragen, daß Hunderttausende Arbeitsplätze gesichert und geschaffen wurden. Dies ging auch zu Lasten der Einkommenszuwächse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wir treten gemeinsam dafür ein, auch in Zukunft durch Verkürzung der effektiven und tariflichen Arbeitszeit Arbeit gerechter zu verteilen. Der aktuelle Vorschlag der Gewerkschaften heißt: Überstunden abzubauen und mit Freizeit abzugelten, Arbeitszeitkonten einzurichten, mehr Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen. Dadurch wird die Flexibilität vergrößert und der Aufbau von Arbeitsplätzen erreicht. Die Gewerkschaften stehen zu ihrem Angebot: Wenn betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen und Beschäftigungsaufbau vereinbart werden, kann auf einen realen Anstieg der Erwerbseinkommen zeitweise verzichtet werden. (...)
Es ist ein Skandal, wenn für eine Million Kinder der erste Schritt in Leben vom Sozialamt begleitet werden muß. Es ist unerträglich, wenn alleinerziehende Frauen und kinderreiche Familien ins soziale Abseits gedrängt werden. (...) Ein wesentliches Ziel muß es sein, Armut zu verhindern. Dazu muß das Leistungsniveau der Sozialversicherung erhalten, Sicherungslücken geschlossen werden. Wir treten für die Lohn- und Beitragsbezogenheit der sozialen Sicherungssysteme ein. Um Armut zu verhindern, sollte in die jeweiligen Systeme eine steuerfinanzierte bedarfsorientierte Mindestsicherung integriert werden. Notwendig ist ferner eine gezielte, kinderorientierte Verbesserung des Familienlastenausgleichs sowie eine ausreichende Zahl qualifizierter Einrichtungen zur Kinderbetreuung. Sozialhilfe muß zur sozialen Rehabilitation beitragen und auf die besonderen Belange der Hilfsbedürftigen zugeschnitten werden.
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