■ Dokumentation: Täterhumor
Die DDR-Bürgerrechtler Vera Lengsfeld, MdB (Bündnisgrüne), und Konrad Weiß konfrontierten die taz in der letzten Woche mit einem Boykottaufruf (vgl. taz vom 15. August). Stein des Anstoßes war der auf der Seite „Die Wahrheit“ vorabgedruckte Roman von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel. Lengsfeld glaubte im „Barbier von Bebra“ „literarische Anleitungen zum Mord an Andersdenkenden“ lesen zu können. Vera Lengsfeld macht nun von einem Angebot Gebrauch, das ihr die taz schon letzte Woche während jener Unterredung gemacht hatte, die mit der Androhung eines Boykotts endete: Sie stellt den taz-Lesern die Beweggründe für ihr Vorgehen dar.
Jeder möge sich vorstellen, er fände sich in der Zeitung wieder, namentlich genannt, mit abstoßenden Pejorativa beschrieben – fettiges Haar, grindige Haut, nikotingelbe Füße, in einer Wanne voller Shampoo ertränkt. Fände er das lustig, oder wäre er verletzt? Wann hört der Spaß auf?
Satire darf alles; aber Menschen mit möglichst verletzenden Pejorativa zu versehen, ist keine Satire. Was Droste und Henschel bedienen, ist der feige Täterhumor, der sich an der Erniedrigung seiner Opfer weidet. Die beiden Satiriker müssen sich fragen lassen, warum sie ausgerechnet jene Pejorativa verwenden, mit denen die Nazis sogenannte „Untermenschen“ zu beschreiben pflegten.
Offenbar schützt eine antifaschistische Ideologie nicht vor faschistischen Entgleisungen. Und das Miese liegt im unkommentierten Abdruck der taz, dem Verzicht auf jegliche Distanz. Gut, dann müssen die auf Distanz gehen, die dieses Zunahetreten ablehnen. Und dann muß geredet werden, warum nach dem vor Jahren von der taz zu verantwortenden „gaskammervoll“ heute über viele Zeitungsfolgen inhumane Entwertungen ausgebreitet werden.
Faschismus ist keineswegs nur Massenmord, es gibt ihn auch in den Köpfen, in der Sprache, im täglichen Handeln. Denken wir an die oft entwürdigenden „Badetage“ in der Anstaltspsychiatrie, in Kinderheimen, in Jugendwerkhöfen. Ist denn vollkommen weggedrückt worden, wie Insassen von Nazi-KZs und Gulag-Opfer aus den Stacheldrahtumzäunungen kamen? Fehlt völlig die realistische Phantasie, wie quälend auf den Krebsstationen die eigenen Körperhaare verloren werden? Und was ist, wenn jemand „häßlich“ ist, gelbe Nikotinstellen an der Haut hat? Ist er dann „out“? Beginnt dann, abgesehen von den verhaßten Prominamen, die nur noch wert sind, verspottet zu werden, das kleinkariert-spießige Gelächter von jW-, ND- und (leider) auch taz- Schreibern wie Droste und Henschel?
Ja, das beginnt dann, siehe Fortsetzungsroman. Wem der Faschismusvergleich zu weit geht, der sei daran erinnert, daß es in der DDR üblich war, junge Männer zum Beispiel bei ihrem Eintritt in die Armee zu brechen, indem man ihnen die Haare schor und den Bart abnahm. Jürgen Fuchs hat solche Unterwerfungsrituale in „Fassonschnitt“ beklemmend beschrieben. Weiter wird in einer Zeit, da Tabubruch zum Volkssport geworden ist, vergessen, daß Tabus auch schützen.
Tabu sollte es sein, über die sichtbaren Zeichen der Therapie einer lebensgefährlichen Krankheit Witze zu machen, die Folgeschäden einer politischen Haft dem Gespött preiszugeben oder sich über Menschen lustig zu machen, die zwangspsychiatrisiert worden sind, als ihre Stadt „dissidentenfrei“ gemacht wurde, und die heute noch mit den Auswirkungen zu kämpfen haben.
Das alles haben Droste und Henschel getan. Sie taten es als genaue Kenner der Szene bewußt. Ihre sogenannte Satire läuft auf eine gezielte Verletzung der menschlichen Würde und Integrität einiger der Karikierten hinaus. Die Frage, die wir der taz gestellt haben, ist, warum sie so etwas druckt. Das Argument, man hätte es nicht gewußt, kann nun nicht mehr gelten. Im Gegenteil, der weitere Abdruck wird zur Prinzipienfrage erhoben. Obwohl 98 Prozent selbst der kritischen Reaktionen auf die Veröffentlichung vom 15.8. 1996 einräumen, daß es sich beim „Barbier von Bebra“ um ein geschmackloses (“wo Droste draufsteht, ist eben auch Droste drin“) Werk handelt. Kaum jemand hätte es vermißt, wenn es still aus dem Blatt genommen worden wäre.
Statt dessen kommen die vermickerten Barbiere der Postkommunisten weiter triumphierend zu Wort in einer Zeitung, die auch Rudi Dutschke druckte. Rudi Dutschke wurde auf dem Ku'damm zusammengeschossen und starb an den Folgen des Attentats Jahre später in einer Badewanne. Ersoff in Shampoowasser, weil er einen epileptischen Anfall bekam (Schußfolge) und sich nicht aus eigener Kraft heraushelfen konnte. Jetzt müßten doch Droste und Henschel krähen vor Begeisterung! Das nehmen wir mit schwarzem Humor, bissigem Kraus-Ton als Tabubrecher! Dutschke darf gebracht werden, der war Zoni und abgehauener Antikommunist, Ärger mit Konkret hatte er auch. Der war Dissidentenfreund, sielte sich bei Havemann und Biermann rum vor der Einreisesperre in die DDR, Dutschke kommt in die Schlußrunde! Mal sehen, ob ich die Droste/Henschel-Auswahl erfaßt habe. Satire darf alles!
Und? Nehmen das die 68er brav und devot grinsend hin? Lassen sie sich von solchen Leuten die Haare von der Kopfhaut und die Gedanken aus dem Gehirn nehmen? Dieser deutsche Ton, den Droste und Henschel kichernd anschlagen, kommt von weiter her. Von diesem Land gingen zwei Weltkriege aus, zwei Diktaturen wurden bisher veranstaltet. Irgendeinen Respekt vor der Würde des einzelnen müßte es danach eigentlich geben. Die taz beweist mt ihrem „Fortsetzungsroman“, daß das nicht so ist. Auf diesen Punkt zielt mein Protest. Vera Lengsfeld
Foto: Andreas Schölzel
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