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■ DokumentationSPD-Politik heißt Bewahrung der Solidarität

Gute Stimmung ist gegenwärtig Mangelware in der Berliner Politik. Attraktive politische Strategien auch. Wie soll sich in dieser allgemeinen Mißgelauntheit sozialdemokratische Politik inhaltlich profilieren? Welchen Handlungsspielraum hat die Partei angesichts der Sparzwänge überhaupt?

Einigkeit besteht darüber, daß wir die Schulden erheblich reduzieren müssen. Bei den derzeit diskutierten Verfahren dominiert die Sorge, daß die Veräußerung von öffentlichem Eigentum lediglich dazu benutzt wird, Löcher zu stopfen. Der Stadt gehen dabei möglicherweise wesentliche politische und wirtschaftliche Steuerungsmöglichkeiten verloren. Einigkeit besteht auf der anderen Seite auch über den hohen Wert von Verläßlichkeit in der Politik. Klaus Bögers politische Geradlinigkeit bewährt sich in dieser Hinsicht. Doch die politisch aufreibende Frage ist damit noch nicht beantwortet: Wo sollen Prioritäten gesetzt werden?

Das vorrangige Problem der Politik scheint mir in den kommenden Jahren zu sein, angesichts anstehender schmerzlicher Entscheidungen genügend grundlegende Solidarität zu wahren, damit die Gesellschaft nicht auseinanderbricht. Solidarität heißt zwar auch materielle Grundsicherung, aber nicht nur, vielleicht nicht einmal vorrangig. Gemeint ist nicht das unbesehene Festhalten an allen vorhandenen sozialstaatlichen Regelungen, schon gar nicht das Verstecken von Mißbrauch. Solidarität ist die ausdrückliche und erkennbare Bereitschaft insbesondere derer, denen es bessergeht, die Situation derer im Schatten glaubwürdig im Blick zu behalten. Das heißt grundsätzlich: die Nöte und Erfahrungen anderer zu verstehen, Diskussion mit dem Bemühen um Verständigung und um gemeinsames Vorankommen zu führen und an Gegenargumente anzuknüpfen; das heißt nicht, in denunziatorisches Zurechtstutzen anderer Positionen, in vorschnelle Einsortierungen zu verfallen.

Das gilt nicht nur im Ost-West- Verhältnis, sondern ganz allgemein zwischen den verschiedensten Gruppen unserer Gesellschaft. Unsere Bereitschaft, zuzuhören und pragmatisch zu kooperieren, ist nach wie vor nicht besonders gut entwickelt.

Wenn Solidarität ein Hauptproblem der zukünftigen Gesellschaft ist, wem wäre dieses Anliegen als Profil mehr auf den Leib geschrieben als der SPD? Als Sozialdemokrat kann man also nicht einfach nach dem Sankt-Florians- Prinzip verfahren.

Wenn ich für eine hohe Priorität von Kultur, Bildung und Wissenschaft plädiere, verschließe ich nicht die Augen vor den erheblichen und berechtigten Anforderungen anderer Politikfelder. Aber für die Attraktivität Berlins sind Kultur, Wissenschaft und Bildung die einzigen herausragenden, die Stadt im besonderen prägenden Pfunde, mit denen wir wuchern können.

An Kultur im weiteren Sinne hängt die Zukunftsfähigkeit der Stadt ebenso wie an gesunden Finanzen. Hier darf die SPD nicht den Eindruck erwecken, daß sie der möglichst kurzfristigen Haushaltssolidität vor der Zukunftsfähigkeit den Vorrang gibt. Das tut sie etwa, wenn führende SozialdemokratInnen ihre rhetorischen Bekenntnisse zu Kultur und Bildung durch unnötige, in der Sache unbegründete Attacken konterkarieren. Mißtrauische Unterstellungen und unverhohlene Geringschätzung der großen Universitäten gehören dazu. Auch in die Irre führende Aussagen über zu hohe Durchschnittskosten, undurchdachte Vorschläge wie Umzug des FU-Campus nach Tempelhof und die genüßlich bekundete Genugtuung darüber, denen nun „ordentlich auf die Füße treten“ zu können, sind Beispiele für eine Kultur des Mißtrauens. Nur wenn die SPD diese widersprüchliche Haltung aufgibt und einsieht, daß konstruktive Politik auf die Dauer nur in Kooperation mit den Institutionen und den Gutwilligen in ihnen gelingt, gewinnt sie den Handlungsspielraum, der trotz der ungemein knappen Ressourcen doch bleibt.

Zu diesen Ressourcen gehört eben auch das „Sozialkapital“. Die amerikanischen Wissenschaftler Ostrom und Putnam haben belegt, daß Sozialkapital aus der permanenten Pflege und dem Praktizieren einer Vertrauenskultur entsteht. Das löst Blockaden auf, stimuliert Kooperationsbereitschaft und mobilisiert „eiserne Reserven“ des Konsenses. Putnam hat am Beispiel Italiens nachgewiesen, daß das Vertrauen im sozialen Miteinander Auswirkungen auf den pekuniären Kredit hat – weil man nicht voller Mißtrauen auf seinem Angesparten sitzen bleiben muß. Die Akteure gehen Risiken ein, sie gewähren Ressourcen, gerade weil sie langfristig auf Gegenseitigkeit bauen können.

Konkret heißt das für die Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik in Berlin: Wir wissen, daß das Geld knapp ist und daß wir deswegen auf Dauer ohne zusätzliche private Finanzierungen nicht auskommen werden. Aber wir brauchen den überzeugend dokumentierten Willen der Politik, daß diese Felder eine hohe Priorität genießen. Ohne das Anerkennen der durch die Kürzungen entstehenden absoluten Notlage in den Hochschulen dürfte es zum Beispiel schwer sein, privaten Spendern Verläßlichkeit zu vermitteln. Verträge zwischen Regierung und Universitäten, die formal Verläßlichkeit in Form von Planungssicherheit vorgeben, tatsächlich aber unter dem Damoklesschwert des Haushaltsvorbehalts abgeschlossen werden, helfen nicht, wenn der politische Wille dahinter unklar und unzuverlässig wirkt. Sozialkapital beruht auf der Gegenseitigkeit der sozialen Akteure. Ohne das Vertrauen in die Verläßlichkeit und die Anerkennung durch die Politik wird in den Universitäten schwerlich das entstehen, was diese Institutionen so dringend brauchen: Mut, Initiativen zu entwickeln und nicht – das ist gegenwärtig die dringendste Gefahr – in Resignation zu verfallen. Gesine Schwan

Gesine Schwan (53) lehrt als Professorin für politische Theorie an der FU Berlin. Sie ist Mitglied der Grundwertekommission beim Bundesvorstand der SPD.

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