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Dokumentation„Wir stoßen im Balkan auf eine andere Welt“

■ Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Lamers, zu einer möglichen Teilung des Kosovo

Gewiß äußerst selten, vielleicht gar noch nie, hat es eine kriegerische Auseinandersetzung gegeben, die auf der einen Seite so ausschließlich von moralischen Motiven getragen war, wie das im Kosovo-Konflikt für die Nato-Länder zutrifft. Selbst den USA – sonst für jeden Verdacht gut – wird von niemand Ernstzunehmendem ein geostrategisches Interesse oder ähnliches unterstellt – welches auch wohl? [...]

Wir verstehen unter Krieg eine gewaltsame Auseinandersetzung, die von Motiven und Zielen im Sinne handfester Interessen bestimmt ist und die hier eben fehlen. Auch die Terminologie vom „gerechten“ Krieg ist uns verleidet, hat sie doch nur allzuoft zur Bemäntelung ebensolcher handfester Interessen gedient. Aber natürlich müssen wir uns darüber klar sein: auch wenn dies kein Krieg im herkömmlichen Sinne ist, so gelten doch die Regeln, die den Krieg bestimmen, wie sie Clausewitz und andere beschrieben haben. Etwa, daß erstens das Unvorhergesehene das Wahrscheinliche ist, daß der Krieg zweitens zum Äußersten neigt und daß schließlich drittens Klarheit und Wirklichkeitsnähe seiner Ziele über seinen Erfolg und Mißerfolg entscheiden. Das erste haben wir bereits erlebt, vor dem zweiten erschrecken wir, und an dem dritten mangelt es uns. Ja, wir haben uns getäuscht – vielleicht, weil wir es wollten. Miloevic hat nicht schnell eingelenkt, und es mag ebensogut sein, daß er es in absehbarer Zeit tut, wie, daß er es noch lange nicht tut. Es funktioniert nicht wie in Bosnien. Das Unvorhergesehene war eben nicht das Wahrscheinliche.

Überrascht – böse überrascht – sind wir zweitens durch das Anschwellen der Flüchtlingszahlen seit den Nato-Luftschlägen. Zornig sind wir nicht nur wegen der Zahlen und des dahinter stehenden Elends, des Leids und der Not, sondern zutiefst konsterniert sind wir, weil Miloevic die Nato-Luftschläge nutzt, um die schon lange geplante Vertreibung der Albaner mit brutaler Konsequenz umzusetzen und so auch noch den Schein eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen beiden herzustellen, der Nato das Gefühl zu vermitteln, als habe sie das Gegenteil von dem erreicht, was sie bewirken wollte.

Unvorhergesehen – ich sage auch hier, nicht unvorhersehbar – ist schließlich die – soweit erkennbar – fast totale Solidarisierung der Serben mit Miloevic. Wir betonen – vollkommen zuRecht – bei jeder Gelegenheit, die Nato führt, wir führen keinen Krieg gegen die Serben, aber die Serben sehen das anders. Sie glauben zweifelsfrei, einen „gerechten“ Krieg zu führen. Sicher ist das eine der gefährlichsten Folgen. [...]

Ja, im Sinne der grausamen Logik des Krieges läge dieses „Wer A sagt, muß auch B sagen“. Wer A sagt, muß nicht auch B sagen, sagte Brecht, muß es jedenfalls dann nicht, wenn er es nicht kann, und die demokratisch verfaßten, wohlhabenden Völker des Westens können es nicht. Nicht, weil ihnen die militärischen Mittel fehlen, obwohl auch der erforderliche Aufwand beträchtlich wäre und sein Aufbau lange währte. Sie können es nicht, weil ihnen die psychische Disposition abgeht, die zum Kriegführen mit Toten nötig ist, wenn es nicht unmittelbar um ihre eigene Existenz geht. Sie können es nicht ertragen. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob das ein Zeichen von Schwäche oder gar Dekadenz oder, im Gegenteil, von Reife ist. Es kommt darauf an, wie sie, diese Völker, wie wir damit umgehen. Jedenfalls will ich nachdrücklich feststellen: Niemandes Verantwortung reicht weiter, als seine Möglichkeiten reichen. Niemand muß mehr, als er kann.[...]

Den multiethnischen Kosovo – wie das ganze multiethnische Exjugoslawien – gab es nur unter Druck, also undemokratisch. Wie erst soll es nach dem, was alles vorgefallen ist, wieder möglich sein? Niemand kann daran glauben. Das hat der albanische Außenminister für die albanische Seite soeben ausdrücklich bestätigt. Welche Folgen hat das für den politischen Rahmen von Rambouillet? Autonomie und staats- und völkerrechtliche Zugehörigkeit zu Jugoslawien/Serbien. Beides haben die Albaner, was ich absolut verstehe, nie wirklich akzeptiert, sie haben Rambouillet unterschrieben, weil sie wußten, daß es die Serben nicht tun würden, und zwar aus ein und demselben Grunde: der vorgesehenen Stationierung einer Nato-Truppe, von der die Serben befürchteten, was die Kosovaren erhofften – den ersten Schritt zur Loslösung des Kosovo von Jugoslawien. In einem solchen unabhängigen Kosovo – als Zwischenschritt zu seinem Anschluß an Albanien – wollte mit Sicherheit kein Serbe mehr leben, selbst wenn wir jedem versprächen, ihm einen westlichen Polizisten zur Seite zu stellen, wie es übrigens auch kaum mehr Serben in der kroatischen Krajina gibt und geben wird. Etwas, was wir stillschweigend hinnehmen, auch weil die Serben selbst nicht zurückkehren wollen und die Kroaten es nur solange anbieten, wie diese Abneigung gewährleistet ist. Und wie es mit der dauerhaften Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge in ihre jeweiligen Heimatorte mit einer inzwischen anderen ethnischen Umgebung steht, will ich nur als Frage aufwerfen. [...]

Was also bleibt als Lösung für das Kosovo – etwa seine Teilung? Ich will dieser hier nicht das Wort reden, sondern nur darauf aufmerksam machen, daß sowohl unser moralisches Unbehagen, von dem ich anfangs sprach, wie die Unklarheit über unser politisches Ziel ein und demselben Dilemma entspringen: nämlich der Unvereinbarkeit unserer wechselseitigen Grundvorstellung vom Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Herkunft in politischen Gemeinschaften. Sie, daß heißt alle Völker dort, alle – Kroaten, Serben, Bosniaken oder Albaner – wollen nicht gemeinsam in einem Staat zusammenleben. Sie halten diese Einstellung einschließlich der Bereitschaft zur Repression und Gewalt für moralisch ebenso legitim wie wir das Umgekehrte. Nicht, daß ich hier einem moralischen Neutralismus das Wort redete, nein, die Frage ist nur, lassen sich andere zu ihrem Glück zwingen? Gibt es ein objektives Glück oder – bescheidener – eine objektive Vernünftigkeit? Wir, der Westen, stoßen auf dem Balken auf eine andere Welt. Es ist die Ungleichzeitigkeit zweier Welten, die die Lösung des Problems, vor dem wir im Kosovo und in ganz Exjugoslawien stehen, für uns so schwer macht. Wir werden es nur lösen, wenn wir die Welt auch mit den Augen derjenigen zu sehen versuchen, die uns so fremd sind und doch so nah – nicht nur räumlich, sondern auch, wenn wir in unsere eigene Vergangenheit schauen. Müssen wir nicht auch Lösungen suchen, die der jeweiligen Zeit entsprechen?

Ich hoffe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die emotionale, die moralische Erregung, in der wir uns alle befinden, läßt Sie meine Worte nicht mißverstehen, sondern sie begreifen als die Aufforderung, auch das Schwerste zu wagen, um den Krieg und die Vertreibung, das Elend und Leid zu beenden und Frieden auf Dauer zu begründen, nämlich eigene Vorstellungen in ihrer Absolutheit in Frage zu stellen, nicht unsere Werte, sondern unsere Vorstellung von ihrer Umsetzung in einer ihnen feindlichen Welt.

Auszüge aus der Rede von Karl Lamers, 63, vor dem Bundestag am 15. April 1999

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