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■ Dokumentation: Telefonischer Hilferuf des Bürgermeisters von Gorazde, Hadzo Efendić, vom 2.2.93:Gorazde stirbt viele Tode

Über 70.000 Einwohner von Gorazde erleben zusammen mit Flüchtlingen dramatische Augenblicke. Seit neun Monaten gibt es kein Wasser und keinen Strom; auch die Post- und Fernmeldeverbindungen sind unterbrochen. Jetzt bleibt auch die humanitäre Hilfe aus. Sie ist bisher schon nur in geringen Mengen angekommen. Kaum hundert Gramm Nahrungsmittel pro Kopf der Bevölkerung täglich! Schon fünfzehn Tage gab es keinerlei humanitäre Hilfe mehr, die unsere Stadt erreichte. Zu allem Unglück und zu der Kälte hinzu droht der Bevölkerung jetzt auch der Hungertod. Das ist eine Schande für die ganze Weltgemeinschaft. Die ersten Opfer als Folge des Hungers sind bereits zu beklagen gewesen. Viele Menschen verhungern weiterhin. Wir müssen die Frage stellen: Wem dient das hohe Kommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge? Was hat Frau Ogata in Sarajevo unternommen, daß nun die humanitäre Hilfe eingestellt wurde? Welche Rolle spielt die UNPROFOR?

Das Schicksal der Frauen und Kinder hängt einzig vom Willen der Tschetniks und ihrer Führer ab. Ist es möglich, über den Frieden zu verhandeln, während ein Volk verhungert?

Bei dieser Gelegenheit appelliere ich an die Weltgemeinschaft, etwas zu unternehmen, damit Nahrungsmittel nach Gorazde gelangen, und daß die Menge der Nahrungsmittel mindestens verdreifacht wird. Die jetzigen Mengen reichen nicht aus. Neben diesem größten Problem, dem Hunger, haben wir auch noch ein anderes, nämlich den tagtäglichen Granatenbeschuß. Es handelt sich um Artilleriefeuer, das die serbischen Tschetniks von den umliegenden Hügeln auf uns abfeuern. Opfer sind unschuldige Menschen. Tagtäglich gibt es auch Dutzende von Verletzten. Geschossen wird Tag und Nacht.

Das sind unsere Probleme, aber das akuteste Problem ist der Mangel an Nahrungsmitteln. Deshalb bitten wir, daß die Weltgemeinschaft und alle gutwilligen Menschen uns helfen, damit endlich wieder genügend Lebensmittel in das eingekesselte Gorazde gelangen. Unsere Stadt hat keine Chancen zu überleben, wenn keine Nahrungsmittel eintreffen, denn viele Kinder, denen es an Brot, Milch und anderen wichtigen Lebensmitteln mangelt, können es kaum erwarten, daß sie irgendwelche Hilfe bekommen.

Soviel wollte ich aus Gorazde berichten. Ich danke Ihnen und bemühe mich, die Weltöffentlichkeit hierauf aufmerksam zu machen, wobei ich hoffe, daß sie nicht gleichgültig reagiert. Vielen Dank.

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