piwik no script img

Dokumentar-Film-Festival wird 35"Kampf der Königinnen"

Bei der diesjährigen Ausgabe der Duisburger Filmwoche liefen 25 Filme aus dem deutschsprachigem Raum: diesmal standen religiöse Themen im Vordergrund.

Jesus neben Raucher in der Kantine in Oberammergau. Szene aus "Die große Passion". Bild: Duisburger Filmwoche

"Ich fühle mich immer wohler hier": Nicolas Steiner sitzt strahlend oben auf dem Podium des Filmforums am Duisburger Dellplatz und sieht sich und seinen Film zum ersten Mal richtig verstanden. Kein Wunder, schließlich wurde "Kampf der Königinnen", sein Film über Kuhkämpfe in einem Westschweizer Ort, mit dem der Student bei der diesjährigen Duisburger Filmwoche antrat, gerade mit elaborierten Wortkaskaden in den siebten Himmel gepriesen.

Dabei galt der ,heiße Stuhl' der Duisburger Filmgespräche früher als angstbesetzter Härtetest für Dokumentaristen: Ein filmästhetisches Purgatorium, wo von strengen Moderatoren und Publikum ausführlichst inszenatorische Entscheidungen und deren Implikationen kritisch abgeklopft und oft konfrontativ debattiert wurden.

In den letzten Jahren hat sich der Ton gemildert, besonders der Festivalleiter Werner Ruzicka selbst umgarnt seine Gäste gerne mit Flötentönen und weiß selbst einfallslosen Regieeinfällen noch ein ehrfurchtsvolles Staunen anzubieten. So murrten manche der ältergedienten Anwesenden über die fehlende Schärfe der Auseinandersetzung - nicht unverständlich, zumal manche Debatte wirklich vorschnell abgebügelt wurde. Doch die oft ideologisch verhärteten Grabenkämpfe von früher will hoffentlich niemand ernsthaft zurückhaben. Und ist es nicht wirklich produktiver, vor dem kritischen Anwurf erst einmal dem Eigensinn einer Erfindung nachzuspüren?

Darum geht es in Duisburg: Die Filme im Gespräch zwischen Machern und Publikum lebendig zu machen. In Zeiten, wo andere Filmfestivals mit Produzententreffen und Pitchings ("Beschreiben Sie Ihre Projekt in drei Sätzen!") die Anzettelung marktkompatibler Neuproduktionen betreiben, hat solches Beharren auf der schöpferischen Kraft geduldiger Auseinandersetzung auch mit sperrigen Stücken erhöhten Wert.

Gegen den Trend zur Rationalisierung leistet man sich auch den unökonomischen Luxus, von zwei Räumen (Kino und Diskussionssaal) abwechselnd immer nur einen zu bespielen. Sicher, bei manch lobenden Beschwörungen konnte einem schon blümerant werden, etwa wenn Bordelle in Michael Glawoggers "Whore's Glory" als magische Orte beschworen wurden. Der österreichische Filmemacher sieht sich mit seinem Triptychon auf das globale Hurenwesen ja selbst in erhabener Tradition.

Religion als Schärfefilter

Es ist immer gefährlich, Trends auszurufen, schließlich bildet jede Festivalauswahl zuerst die Präferenzen der Auswahlkommission und dann erst die Filmlandschaft ab. Das gilt besonders für die Filmwoche, deren 25 vorgestellten Dokumentarfilme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kaum repräsentativ für die deutschsprachigen Gesamtproduktion stehen können. Dennoch muss es als auffällig verbucht werden, dass sich viele der Filme in religiösen Gefilden bewegten, drei im katholischen Milieu. Ist das Zufall? Eine Abwendung von sozialen Stoffen? Oder lenkt die breite mediale Beschäftigung mit dem Islam das Interesse auch auf religiösen Praktiken der eigenen Kultur? In den Filmen selbst scheint das Religiöse eher als Schärfefilter auf soziale Phänomene zu dienen.

So handelt Jörg Adolphs "Die große Passion" vom schwierigen Entstehungsprozess einer Inszenierung der Oberammergauer Passionsspiele und von dem streitbaren Intendanten Christian Stückl; Adolph gewinnt daraus den Anlass für eine Langzeitstudie über einen dörflichen Kosmos im globalen Verwertungszusammenhang. Romuald Karmakar filmt in "Die Herde des Herrn" Pilger bei der Trauerfeier für Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom, und er konfrontiert diese Bilder mit Aufnahmen aus Ratzingers Geburtsort Marktl kurz nach der Papstwahl. Damit schließt er an seine Fan- und Rave-Filme an, bleibt aber mit dem Vorführen eifriger Verkäufer von Benedikt-Tees und -Torten ungewohnt anekdotisch.

Irgendwie passt dazu, dass der sonst so sperrige Materialist Thomas Heise in Duisburg mit einem Film zu Gast war, der einfache Menschen in einem fernen Land bei harter Arbeit in schöner Landschaft zeigt. Mit "Sonnensystem", der ein indigenes Bergvolk in Argentinien durch den Jahreszyklus begleitet, hat auch Heise endlich seinen Ziegenfilm abgeliefert.

Neben der Verschwendung von Zeit und Raum leistet sich die Filmwoche noch einen anderen Luxus. Das sind die Protokollanten, die auf einem Tischchen im Raum das Besprochene zur Dokumentation festhalten. Waren diese Protokolle früher fast wörtlich, so beschränken sie sich heute auf ein oder zwei Seiten, mit zunehmend ironisch gespitztem Blick auch auf das Moderatorenteam. Jetzt, zum 35. Geburtstag der Filmwoche, wurden alle Protokolle seit 1978 ins Netz gestellt und sind somit zum öffentlichen historischen Dokument geworden. Ein großartiges Geschenk!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!