Doku-Soap Die Ludolfs: Dreckig, liebevoll, ehrlich
Die Ludolfs sind das Gegenprogramm zu Heidi Klum im Fernsehen. Auf DMAX läuft die sechste Staffel der Reality-Soap "4 Brüder aufm Schrottplatz" an.
Die tabakgelbe Tapete hält nicht, was sie verspricht. Es riecht nach Birkenwasser und Pfefferminz. Ansonsten sieht das berüchtigte Wohnzimmer aus, wie tausende von Fernsehzuschauern es aus der Reality-Soap "Die Ludolfs: 4 Brüder aufm Schrottplatz" kennen. Autoteile, Hausrat und Zeitungen bedecken die wenigen Möbel. Der brüchige Linoleumboden ist an mehreren Stellen aufgerissen. Die Tischplatten sind mit geblümtem Wachstuch bedeckt. Ganz links sitzt Manni. Neben ihm Uwe. Dann kommt der erste von seltsamerweise zwei Esszimmertischen. In der Mitte, zwischen den beiden Tischen, ist Günthers Platz Und ganz rechts hockt Peter.
Hinter den Stammplätzen der Männer sind auf Kopfhöhe der an der Wand hängende Jahreskalender und die Tapete dunkel verfärbt. "Wir spielen nichts, wir lassen uns abfilmen, wie wir sind", erklärt Manni, der jüngste der vier Brüder vom Schrottplatz. Die Möbel seien nicht erst durch die Dreharbeiten so gestellt worden, sondern die Brüder sitzen seit Jahren alle mit dem Rücken an einer Wand. Früher schauten sie gemeinsam in den Fernseher und nun eben in die Kamera.
Manche vergöttern sie, andere verteufeln die vier Ludolf-Brüder. Entdeckt wurden sie 2002 vom Südwestrundfunk. Man wollte für die Regionalnachrichten einen Beitrag zum Dorfjubiläum von Dernbach drehen. Der Ortsvorsteher der 1.000-Seelen-Gemeinde im Westerwald schickte die Leute vom Fernsehen zu den Autoverwertern auf die Mittelstraße. "Die müsst ihr sehen", habe er den Reportern gesagt. So kamen die vier Brüder ins Fernsehen.
Dem kurzen TV-Beitrag folgten weitere, auch auf privaten Sendern. Seit drei Jahren gibt es "Die Ludolfs" zwei Mal wöchentlich auf dem Angler- und Motorsportkanal DMAX zu sehen (mittwochs um 20.15 Uhr, sonntags um 19.15 Uhr). Die sechste Staffel der erfolgreichsten Serie des Senders startet am 1. April.
Dabei ist die Popularität der Ludolfs schwer zu erklären. Vielleicht ist der Schrottplatz ein letztes Refugium der Männeremanzipation. Ganze Kerle, gerade dann, wenn sie mit Gattin und Kindern in properen Reihenhäusern wohnen müssen, bekommen zumindest via TV gezeigt, wie ihr gelobtes Land aussehen könnte.
Wer jemals eine Folge dieser Anti-Seifenoper sah, glaubt an eine Inszenierung. Zu skurril sind diese Typen, als dass sie real sein könnten. Und auch andere sogenannte Reality-Soaps sind schließlich erfundene und nachgespielte Horrorgeschichten. Doch der Besuch in Dernbach offenbart: Die Darsteller und ihre Rollen sind kongruent. Die Jungs scheinen aus einem Holz geschnitzt, das durch Medienrummel nicht zu verbiegen ist.
Manni Ludolf zeigt bereitwillig den rostigen Mikrokosmos der Familie, der in echt genauso aussieht wie im Fernsehen. Zunächst führt der Weg auf einem schmalen verschlungenen Pfad durch die wohlsortierten bis zur Decke der Lagerhalle ragenden Schrottberge. Stolz präsentiert der Autoverwerter einen etwa drei Meter hohen Haufen von Zündkabeln. "Die lieben Marderchen helfen uns sehr."
Auf dem Hof dann, zwischen Türmen aus Motorhauben, spricht Manni über Ethik. "Wir Ludolfs sind Menschen. Wir sind Humanisten. Zum Beispiel sind wir gegen die Todesstrafe." Fast singt er diese Sätze. Und dauernd lächelt er dabei. "Wer getötet hat, den darf man nicht auch töten." Da mache man sich doch ebenfalls schuldig. Der 46-Jährige mit dem kurzkrempigen, abgewetzten hellbraunen Hut hat eine bessere Lösung. "Wer viele Leute umgebracht hat, sollte nicht mehr fernsehen dürfen."
Später erzählt Manni, dass dies auch die Höchststrafe bei seinen Eltern für die unzähligen Streiche der Kinder gewesen sei. Und dann zeigt der Jüngste der Ludolfs sein kleines Reich. In einem winzigen Gartenhäuschen stehen vier Zwerge aus Keramik. Dieser Ort sei für ihn sein Therapieraum. Jeder der Figuren trägt den Namen eines der Brüder. Wenn es brenzlig wird zwischen den Männern, zieht sich Manni zurück in seine Hütte und lässt die Zwerge den Konflikt klären. Manchmal bewirft er den Wicht, der den Namen seines ältesten Bruders Uwe trägt, mit faulen Äpfeln. "Danach geht es mir immer besser."
Zurück in der Wohnküche, begrüßt Peter die Fremden. Der mit 53 Jahren zweitjüngste Ludolf hat schulterlanges, strähniges Haar und einen fusseligen Bart, ist üppig beleibt und deshalb immer etwas kurzatmig. Wenn er nicht gerade Schrott einsortiert, kocht er für alle. Heute allerdings bleibt die Küche kalt.
Der auch anwesende Produktionsleiter der Serie will den Besuchern den Genuss von Peters Spezialität "Nudeln mit was Frischem aus der Dose" ersparen. Schnell werden Currywürste mit Fritten aus dem nahegelegenen Imbiss geholt. Dazu gibt es Mineralwasser aus Gläsern, die aus Milchglas hätten sein können, aber in Wirklichkeit Milchgläser waren. Die hygienischen Bedingungen in der Männerwelt Ludolf sind gewöhnungsbedürftig.
Peter erzählt von wundersamen Besuchern. Der Gangster-Rapper Bushido war schon da: "Ein in Wirklichkeit ganz netter Bursche. Hat sogar für seine Mama ein Haus gebaut." Aber auch andere Anekdoten kann Peter berichten. Eines Tages standen Kumpels von einem Biker vor der Tür und wollten eine Radkappe kaufen. Ihr Freund hatte sich bei einem Unfall lebensgefährlich verletzt und das originale Stück Blech aus Dernbach war sein sehnlichster Wunsch und sollte das Krankenhauszimmer verschönern. Später habe man die Radkappe sogar in den Grabstein des dann verblichenen Motorradfahrers eingearbeitet. Der Schrottplatz aus Dernbach funktioniert auch als Devotionalienhandel. Und als Wallfahrtsort.
Bei Ludolfs klingeln inzwischen nämlich ebenso viele Fans mit Autogrammwünschen wie Kunden. Zum vom Fernsehsender veranstalteten Sommerfest wurde das Dorf von Touristen überrannt. Der Verkehr staute sich bis zur Autobahnabfahrt. Peter grüßte die Menge vom Schlafzimmerfenster aus wie der Papst die Gläubigen auf dem Petersplatz vom Balkon zu Ostern.
Auch jetzt klingt Peter wieder nach Pastor. Sicherlich sei man irgendwie autoverrückt. Ein 40 Jahre alter VW-Bus, eine Ente und ein amerikanischer Straßenkreuzer stehen vor dem grellgrün gestrichenen Wohnhaus. Aber trotzdem: "Zuerst kommt der Mensch, dann erst das Auto!" Die Gage, die die Ludolfs für ihre Fernsehauftritte erzielen, würden sie zu einem Großteil karitativen Zwecken spenden. "Wir brauchen nur was zu essen, sonst haben wir doch alles", sagt der Koch der Familie.
Der älteste Bruder gibt ihm recht. Geld sei nicht so wichtig. Uwe ist fürs Grobe zuständig, er zerlegt die angelieferten Schrottautos. Seine Hände, die gerade ein Brötchen halten, sind schwarz und glänzen im Licht leicht silbrig. Am Geruch und gelegentlich auch am Geschmack des Öls könne er erkennen, was an einem Motor kaputt ist. Er will Autoschrauber bleiben und nicht Fernsehstar werden. "Natürlich hat man Träume, einen schönen Volvo vielleicht." Doch da protestiert Peter: "Die Autos heute sind wohl sicherer und komfortabler. Aber mehr Charakter und Gemütlichkeit hat doch unser alter Hanomag."
Der schweigsamste von allen, Günter, erzählt auf Nachfrage von seiner Kindheit. Die Eltern hätten nach dem Krieg im Ruhrgebiet angefangen, mit Schrott zu handeln. Der Vater aus Ostpreußen, die Mutter aus Hamburg, seien wunderbare Menschen gewesen. "Nie eine Hand haben die Eltern gegen uns erhoben." Nach der Trennung von der Ehefrau lebt der 56-jährige Günter in einer kleinen Wohnung in der Nähe, ernährt sich tagsüber von Kaffee, Zigaretten und Vitamintabletten. Sein Job ist der Telefondienst. Die Kundengespräche absolviert er mit äußerster Einsilbigkeit. Die Anfragen gibt er umgehend weiter: "Haben wir noch einen linken Außenspiegel von einem achtundneunziger Astra?" Ansonsten steht Günter nur von seinem Platz auf, um morgens das Hoftor zu öffnen und es abends zu schließen.
Auf diesem Tor aus Stahlblech prangt, obwohl die Eltern schon vor Jahren gestorben sind, der Firmenname: "Autoverwertung Horst und Marianne Ludolf". Mutti und Vati schauen bei allem von oben zu, weiß Peter und legt mit einem jenseitigen Lächeln seine gefalteten Hände auf den imposanten Bauch. Es scheint, als sei seit dem Tod der Eltern die Zeit im Hause stehen geblieben. Nur, dass da eben noch vier unbeaufsichtigte und schon etwas in die Jahre gekommene Kinder hausen. Ölgemälde von röhrenden Hirschen hängen friedlich neben Pin-up-Girls an der gelbbraunen Wand.
Ein großer Wunsch der Eltern war es, einmal Urlaub in Italien zu machen. Jetzt, da die Kinder berühmt geworden sind, reisen sie, quasi in Vertretung der Eltern, gen Süden. "Dankeschön für Italien" heißt der abendfüllende Film, der am 9. April in den Kinos anläuft.
Aber was fasziniert eine wachsende Zahl meist männlicher Zuschauer so, dass sich sogar ein Kinofilm über die kauzigen Brüder lohnt? Natürlich, das gibt so mancher Ludolfs-Fan zu, bereiten bereits die hygienischen Zustände im Haus der Profi-Messies einen wohligen Nervenkitzel. Und natürlich werden überwiegend maskuline Zuschauerschichten bedient, die entgegengesetzt der Ansicht von Peter Ludolf sagen: "Erst kommt das Auto, dann erst der Mensch." So sensibel wie die Bestattungsunternehmer auf ihrem Autofriedhof geht sonst kaum mehr jemand mit siechen Karossen um.
Egal ob Ford Mustang oder Opel Manta, ob ein alter Strich-Achter oder die pflegebedürftige eigene Mama, die Ludolfs begleiten Mensch und Maschine würdevoll auf ihrem letzten Weg. Dass in jedem Ding, sei es noch so rostig, ein Zauber wohnt, hat dabei schon Rilkesche Dimensionen. Die vier Brüder erzählen ein modernes Männermärchen.
Die große Freiheit ist also wohl in einem kleinen Dorf an der Autobahn zwischen Frankfurt und Köln beheimatet. Die Geschichte der Ludolfs schafft dabei einen trotzigen Gegenentwurf zu der auf Äußerlichkeiten fixierten femininen Glitzerwelt. Die Ludolfs sind das genaue Gegenteil von Heidi Klum: dreckig, liebevoll und ehrlich.
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