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Doch nicht Scheherazade

■ Angela Carter in der Neustadt und der Unfug, Literarischen Wochen Themen zu stellen

Viele hatten sich von den Apparaten getrennt, auf denen sie jede Nacht das Unheil aus Scheherazades eigentlicher Heimat nahe heranholen. Die Stimme der Scheherazade, die aus England in die Stadtbibliothek Neustadt kam, zog uns mit Wortes Zaubermacht fort von dem allabendlich geübten Grauen wiegend und tanzend und singend in ein archaisches Grauen, das sie im Märchen von Aschenputtel aufspürte.

Es ist eine eingesponnene Welt, zu der nur Scheherazades Wortmagie hinüberführt, in einem Englisch, wie man es lange nicht mehr so vollmundig weich und so fiesstimmig fein gehört hatte, schwelgend in konsonantischen Alliterationen von „marvelous mood“ bis zu vokalischen Spiegeleien wie „subtle the muscle“. Angela Carter, schwarz wie Ebenholz der Pullover, die Hose und die Phantasie, weiß wie Schnee das volle, lange, putzwollschüttere Haar, ließ sie es Rot wie Blut aus Aschenputtels Schuh tropfen, Rukuuh.

Vor 50 Jahren in England geboren, von der Großmutter zur Sicherheit vor den deutschen Bombern nach South Yorkshire genommen, seitdem das häßliche Kohlerevier wie die Großmutter liebend, die ihre Töchter damit gequält hatte, daß sie auf deren Schulfesten mit dem Abzeichen der Suffragetten erschien. Mit 27

Rot wie Blut aus Aschenputtels Schuh

Jahren erster großer Preis für „The magic toyshop“, Literaturdozentin, Gastprofessuren in USA und Australien. (Dies alles weiß ich übrigens aus dem Emmaheft, Nr. 3 von 1985, und nicht, weil die Veranstalter Angela Carter irgendwie vorgestellt hätten!).

Mit 44 kriegt sie — „es war ein Unfall, wir waren ganz erschrocken“ — ein Kind. Ihre Romane bevölkert sie mit Schwarzem, also Bösem und Grauslichen, das sie im Idyll ansiedelt. Das Personal der Romane: Matriarchinnen, wie in ihrer Familie, und blasse Männer.

Womit wir bei Aschenputtel wären. Nur Frauen, die zählen, betont Carter in der Interpretation, die sie nebst zwei Variationen des Stoffes liest, die Männer existieren nur am Rande und aus „purely economic reasons“. Aber um den Erwerb dieser economic reasons für ihre Töchter geht der Machtkampf der beiden rivalisierenden Clanmütter, dafür verstümmeln sie ihre Töchter, dafür muß Aschenputtel in den goldenen Schuh schlüpfen, dies „hideous receptical“, voller Blut von abgeschnittenen Zehen und Fersen, igitt. Carter ist, muß das noch gesagt werden, Feministin.

Die Wortmagie reichte, in Bremen, allenfalls so lang wie das gesprochene Wort. Danach war sofort das Unheil aus dem Zweistromland wieder im Raum und die Ratlosigkeit. Auf die freundlich-bremische Art fragte eine: Warum las Carter heute grad dies? Weil sie daran arbeitet und weil es neu ist, sagte die Scheherazade, die keine ist.

Die Ratlose hätte auch fragen können: Wie hängt Carters Aschenputtel mit dem Thema der Literarischen Woche zusammen, mit Exil, Heimatlosigkeit, Neubeginn. Die Antwort heißt: Überhaupt nicht. Schon seit Jahren ist das so, daß sich unter den wacker erdachten Themen ein Sammelsurium von Veranstaltungen und Lesungen breitmacht, den Bezug zum Thema durch irgendeine Beziehung zu den VeranstalterInnen ersetzend.

Die ziehen damit nur die Konsequenz daraus, daß Themen für Literarische Wochen grundsätzlich Quatsch sind. Sie hinken der Zeitgeschichte hinterher, was die Literatur nicht tut, und wenn, dann nicht zu ihrem Vorteil.

Ergo, liebe Verantwortungstragende: nach eineinhalb Jahrzehnten zunehmenden Unfugs mit der thematischen Einbindung, entscheidet Euch doch einfach dafür, existierende und gute Literatur zu präsentieren, meinetwegen auch zu diskutieren, statt Literatur, die es Eurer Meinung nach geben sollte. Uta Stolle

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