Doch ein Künstler mit Ginkgo-Faible

GEBURTSTAG Ben Wagin ist immer noch per Du mit dem Baum und feiert 85.

Die meisten seiner Freunde sind mit 85 Jahren noch frisch und jung. Zum Beispiel der Ginkgo, einer seiner liebsten. Ben Wagin fährt manchmal hinaus in die Gegenden, in die er seine Freunde einst selbst verpflanzt hat. Oder er zieht durch Berlin und sagt den grün gekrönten Geschöpfen „Hallo“. Ben Wagin, das ist der Baumfreund – unter anderem.

Wagin, der in Berlin mit dem „Parlament der Bäume“, den „Weltbäumen I und II“ und zahlreichen weiteren künstlerischen Aktionen bekannt geworden ist, wird am heutigen Samstag 85 Jahre alt. Zu diesem Anlass erschien jüngst im Ch. Links Verlag eine Biografie mit dem Titel „Nenn mich nicht Künstler“. Und man weiß wirklich nicht so genau, wie man diesen Wagin denn nun bezeichnen soll: Aktionskünstler, Umweltaktivist? Streuner, Querulant? Vor-sich-hin-Redner? Andersdenker? Er würde vielleicht sagen: Nichts von alldem. Und alles.

Klaus Wowereit, so schreibt es die Journalistin Astrid Herbold, die Wagins Lebensgeschichte protokolliert hat und die Koautorin der Biografie ist, hat zu dessen letztem runden Geburtstag folgende Worte zum Gratulieren gewählt: „Du gehst uns auf die Nerven, weil du den Nerv triffst.“

Offensives Duzen

Damit ist vieles gesagt über die öffentliche Bewertung des Wagin’schen Wirkens, der in seinem Leben mehrere zehntausend Bäume gepflanzt hat und mit seinen Interventionen im öffentlichen Raum und auch seiner unverstellten Art – Wagin duzt alle, die ihm über den Weg laufen, ob Willy (Brandt) oder Helmut (Kohl) – in jeder Hinsicht ein Grenzüberschreiter ist. Dabei sollte man nicht vergessen, dass im öffentlichen Raum in Berlin wohl kaum einer mehr an Diktaturen und Gewaltherrschaft erinnert sowie an die europäische Einheit appelliert als er.

In der Biografie ist eindrucksvoll nachzuvollziehen, wie der 1930 im heutigen Polen geborene Wagin, bürgerlich Bernhard Wargin, in und nach dem Krieg in eine zerstörte Welt hineinwächst, wie er, 1957 nach Berlin gekommen, in den sechziger Jahren die Berliner Kunstszene aufmischt – und wie er zum „Medienkasper“ wird (so nennt er sich auch selbst). Natürlich erzählt er über sein Verhältnis zur Natur, zu Bäumen und Holz – als Schutzschild, als Ernährer, als Rohmaterial –, und so erklärt er auch seine Fortschrittsskepsis und sein Verständnis von Zivilisation.

Eine Inszenierung nannte Wagin in den siebziger Jahren mal: „Der Baum bist du / sind wir“. Auch damit wäre viel über das Wirken des Geburtstagskinds gesagt. JENS UTHOFF

■ Ben Wagin: „Nenn mich nicht Künstler“, Ch. Links Verlag, 255 Seiten, 19,90 Euro

■ Heute am Samstag werden anlässlich Ben Wagins 85. Geburtstag in der Wilmersdorfer Demeter-Bäckerei Weichardt-Brot, Mehlitzstraße 7, aus Brotteig gestaltete Werke Wagins präsentiert, 15–17 Uhr. Am Sonntag gibt es im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Kladower Damm 22, um 11 Uhr eine Lesung und Baumpflanzung mit Ben Wagin