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Archiv-Artikel

Doch dabei sein ist alles

Am Wochenende beginnt die Basketball-Weltmeisterschaft. Dass die libanesische Mannschaft in Japan antreten kann, hat erst eine spektakuläre Flucht aus dem Krisengebiet möglich gemacht

VON MARTIN FÜNKELE

Der Blick spiegelte blankes Entsetzen. Wie um Paul Coughter daran zu erinnern, in welch lebensbedrohliche Lage er sich und die libanesische Basketball-Nationalmannschaft manövriert hatte, wies der verängstigte Mann in Richtung Horizont: „Vor zehn Minuten ist hier eine Bombe hochgegangen. Schaut, es raucht ja noch.“ Vier Wochen und tausende von Kilometern liegt dieses Horrorszenario mittlerweile hinter dem libanesischen Nationaltrainer – vergessen wird er es niemals. „Es war mehr als bizarr“, sagt der in Brooklyn geborene Coach. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte er sein Team aus dem Kriegsgebiet geschleust. „Die Krise begann, fünf Tage nachdem wir unser Trainingslager eröffnet hatten“, sagt Coughter. „Nach zwei Tagen haben wir die Spieler nach Hause zu ihren Familien geschickt. Dann aber realisierten wir: Wenn wir jetzt nicht rauskommen, geht es gar nicht mehr.“ Und die am kommenden Samstag beginnende Basketball-Weltmeisterschaft in Japan hätte ohne den Libanon stattgefunden.

Erst über die Berge auf einem Trampelpfad in Richtung Syrien, dann nach Amman. Zwischen Bombeneinschlägen und brennenden Häusern ruckelte der Bus durch die Nacht. Unter normalen Umständen hätte die Fahrt knapp vier Stunden gedauert, so waren sie mehr als 13 Stunden unterwegs. Coughter beschreibt die Reisegesellschaft als eine in sich zurückgezogene kleine Welt, ausgestattet nur mit dem Nötigsten. Einzig an Tankstellen schwappte die brutale Realität durch die Fahrertür. Paralysierte Menschen berichteten von den näher rückenden Detonationen. „Wir versuchten uns einzureden, dass an derselben Stelle nicht wieder eine Bombe explodieren würde“, erklärt Coughter die Überlebensstrategie.

Der 58-jährige Coughter ist an Reisen in Sachen Basketball gewöhnt. Auf sechs Kontinenten und in über 120 Ländern hat er schon gelehrt. Doch nicht nur aus basketballerischer Sicht sei das alles „ein Albtraum“. Als Zweiter der Asienmeisterschaft hinter China hatte sich das kleine Land Hoffnung gemacht, bei der WM in die zweite Runde zu kommen. „Das kann man jetzt vergessen“, sagt Michel Beyrouthy vom libanesischen Basketball-Verband. Über den Libanon, nach Jordanien, in die Türkei zurück nach Jordanien und schließlich auf die Philippinen – so verlief der chaotische Weg des libanesischen Teams in Richtung Japan. „Gewinnen wir nicht das erste Spiel gegen Venezuela, müssen wir den Rest des Turniers gar nicht mehr spielen“, sagt Coach Coughter. Denn in Gruppe A warten mit Frankreich, Argentinien und Serbien „unerreichbare Gegner“. Selbst Nigeria scheint zu stark für den Libanon. Schwer wiegt der Verlust von Paul Khoury. Wegen einer Verletzung war der in den USA geborene Khoury nach Ohio geflogen. Seit der Flughafen von Beirut unter Beschuss steht, konnte der 2,12 Meter große Center sein Team nicht mehr erreichen.

Warum Trainer und Team trotzdem für den Sport ihr Leben aufs Spiel setzten? „Um in einer Zeit, in der das Land Aufmerksamkeit braucht, die libanesische Flagge zu tragen“, versucht der Amerikaner Coughter zu erklären. Dass dies in der fünften Woche des Israel-Libanon-Konflikts nicht selbstverständlich ist, verdeutlicht das abgesagte Fußballqualifikationsspiel für die Asienmeisterschaft. Gestern hätte der Libanon auf Bahrain treffen sollen, doch Soheil Khoury sagt: „Alles liegt auf Eis.“ Der Präsident des libanesischen Olympischen Komitees berichtet von zerbombten Stadien und Hallen. In der Hauptstadt Beirut ist „das Hauptquartier des Handballverbandes zerstört“, so Khoury.

Basketballtrainer Coughter würde die politischen Umstände am liebsten ausblenden: „Wir sagen den Spielern so wenig wie möglich über den Krieg. Nur wenn es ganz schrecklich wird, wie der Angriff auf Kana.“ In der südlibanesischen Stadt tötete ein israelischer Luftangriff mehr als 54 Zivilisten, unter ihnen mindestens 34 Kinder. „Vielen Libanesen geht es weit schlechter als uns“, sagt Trainer Coughter, „es gibt keinen Grund, sich zu beschweren.“ Wahrscheinlich braucht es eine solche Geisteshaltung, um der Angst ins Auge zu blicken.