Diskussion um EM-Teilnehmeranzahl: Bitte noch mehr Europhorie
Fußball-EM? Es sollte weniger werden, finden Ökobewegte. Aber mehr ist geiler. Und wer will, dass weniger geflogen wird, muss die Bahn aufpeppeln.
D ie Sonne scheint, es ist Achtelfinale. Was nicht über 43 ist, sitzt draußen und hält sich die Hände schirmhaft über die Augen. Die erste Pause im Turnier ist überstanden, diese leeren zwei Tage,der Entzug nach Ende der 15-Uhr-Spiele überstanden, obwohl es immer noch ein wenig zieht in den Kanälen, da oben im Hirn.
Aus moralischen Kreisen heißt es ja immer, die EM solle nachhaltiger werden, am besten abgespeckt, wegen der Emissionen, vielleicht so wie ganz früher nur noch mit Halbfinale, Finale stattfinden, aber das ist Quatsch. Dass die meisten Teams mit dem Flugzeug von Stadion zu Stadion jetten, liegt nicht nur daran, dass sie es können, sondern auch daran, dass die Infrastruktur schön neoliberal heruntergewirtschaftet wurde, weil sie quasistaatlich ist, aber wem sage ich das, das wissen doch alle. Die Lösung hier wie dort ist nicht Verzicht, sondern Umbau. Macht die Bahn flott, dann muss auch keiner mehr fliegen.
Und Quatsch ist es auch, weil so ein Turnier ist eben geil. Es ist ein Event, ein Ereignis, das den Sommer bestimmt. Das kann gar nicht lange genug gehen: Die Welt ist in einem Dauerrausch, einem Ausnahmezustand für vier Wochen, inklusive Schlafdefizit und Mangelernährung, die in der Hauptsache aus Bier und Chips besteht.
Dafür gibt es ja auch die Pausen wie die zwischen Vorrunde und Achtelfinale: Mal kurz runterschalten, zwei Tage gesund leben, schlafen, sich ausruhen, sich um die Familie kümmern, dann geht es weiter.
Pause!
Und ja, dass das Schönste am Leben die Pausen sind, stimmt ja meistens gar nicht. Das Schönste an den Pausen ist das Gefühl, die Spannung, dass es schon bald wieder weitergeht, und man genau weiß, wann.
Aber zurück zur Struktur des Turniers – es gibt ja noch den anderen Vorschlag. Nämlich den, das Turnier nicht zurückzureduzieren auf ein Halbfinale, sondern zu erweitern auf 32 Teilnehmerländer. Nun fragt sich, wer dann eigentlich noch überbleibt – es gibt 55 in der Uefa organisierte Nationen, also wäre mehr als jede zweite dabei. Die Qualifikation, der eigentlich sinnlose Teil des Wettbewerbs, die könnte man sich sparen. Zweimal Deutschland gegen Aserbaidschan – nur ein Beispiel –, das braucht wirklich niemand.
Man könnte das auch gleich noch mal toppen: Und ehrlich gesagt, bei dem eh vorherrschenden Prinzip der Maximalisierung wird das eh kommen, spätestens zur EM 2036 – nämlich das gesamte Turnier mit 64 Nationen stattfinden lassen. Also gleich mit einer K.-o.-Runde beginnen, die Anzahl von 55 auf die 64 auffüllen mit weiteren Scheinnationen wie Grönland oder Nordzypern oder Lappland, dazu Gäste aus aller Welt einladen, und wenn es Katar ist. Maximalisierung! Noch mehr davon, von der Europhorie!
Das Problem an der Fußballinflation sind nämlich nicht die Highlights, sondern die Lowlights, das flache Licht in der Vorbereitung. Das könnte man sich sparen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“