Diskriminierung: In einem fast rechtsfreien Raum
In einer Ausländerbehörde in Mecklenburg-Vorpommern inszenieren sich Angestellte als Vollstrecker von Recht und Gesetz - mit Schusswaffen zwischen Aktenordnern. Ein Skandal.
Malchin ist eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern, die zwischen den sanften Hügeln der Mecklenburger Seenplatte liegt. Bei den Landtagswahlen im vergangenen Herbst bekam die NPD hier 9,3 Prozent der Stimmen. Seit der Wende hat jeder fünfte Einwohner die Stadt verlassen. Marat Wartadian * ist einer der wenigen, die dazugekommen sind. Er ist ein mittelgroßer Mann mit braunen Augen, der vor zwölf Jahren mit seiner Frau Mona * aus Armenien nach Deutschland floh. In dem Wohnzimmer seiner Mietwohnung drei Stockwerke über der Stadt zeigt er den Beweis einer geglückten Integration: eine Pappschachtel, darin liegen DIN-A4-Bögen: Empfehlungsschreiben vom Pastor der Gemeinde, vom Bürgermeister, den Lehrerinnen seiner drei Kinder. Die Älteste geht aufs Gymnasium, er und seine Frau besuchen Sprachkurse. Wenn es gut läuft, kann er damit die Härtefallkommission überzeugen. Dann bekäme seine Familie nach zwölf Jahren in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung. Wenn nicht, bleibt er abhängig von der zuständigen Ausländerbehörde in Demmin. Und diese Behörde hat er fürchten gelernt.
"Seit letztem Herbst", sagt er, "gehe ich nur noch mit einem deutschen Freund da rein." Im Oktober 2006 entdeckte Marat Wartadian bei einem Besuch in der Ausländerbehörde zwischen Aktenordnern und Papierstapeln eine schwarze Pistole. Er habe nachgefragt, ob die Pistole eine Attrappe sei, und die Antwort bekommen, die Waffe sei echt. Einen Monat später saß Wartadian wieder im Wartezimmer der Behörde. Zwei Angestellte öffneten die Tür - mit einem Fußtritt. Die Angestellten hätten ihn geduzt und versucht, ihn zu einer aggressiven Reaktion zu bewegen: "Die hatten schwarze Handschuhe an, mit Nieten an den Fingern." Er habe gefragt, ob sie vorhätten, ihn zu verprügeln, und als Antwort bekommen: "Wenn ich dich verprügeln wollte, würdest du jetzt schon am Boden liegen." Die Angestellten durchsuchten seine Tasche, weil sie darin einen versteckten Ausweis vermuteten. "Sie haben mich verhört, beleidigt und versucht zu provozieren." schildert Wartadian. Als zwei Mitarbeiterinnen des Psychosozialen Zentrums (PSZ), einer Beratungseinrichtung für Migranten, überraschend den Raum betraten, wunderten sie sich darüber, dass die Mitarbeiter schwarze Handschuhe trugen. Sie hätten ihn "schweißüberströmt, offensichtlich verängstigt und zitternd" vorgefunden. "Das ist Wahnsinn", sagt er, "irgendwann eskaliert das da."
Rainer Plötz sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen in seinem Büro im Demminer Ordnungsamt und rührt in seiner Kaffeetasse. Er ist als Leiter des Demminer Ordnungsamts auch Chef der Ausländerbehörde. Und er gibt zu, dass seine Mitarbeiter Waffen getragen haben: "Wenn einer denkt, er ist sicher, wenn er so eine Pistole hat, dann ist das seine Entscheidung."
Er weist darauf hin, dass es ja "nur" Gas- oder Schreckschusspistolen gewesen seien. Außerdem habe er untersucht, ob die betreffenden Angestellten auch einen Waffenschein besitzen. Für ihn kein großes Problem, denn für die Ausstellung von Waffenscheinen ist Plötz als Leiter des Ordnungsamts selbst zuständig. "Das Tragen der Waffen ist Privatrecht", sagt er. Grundsätzlich könne er das nicht untersagen, wer wisse schon, ob nicht auch jemand aus dem Umweltamt ein Pfefferspray dabeihabe. Plötz findet allerdings auch, dass es "keine Maßnahme der Deeskalation" sei, Waffen zu zeigen. Er habe daher untersagt, sie offen zu tragen.
Alle anderen Vorwürfe weist Plötz von sich. In seiner Behörde werde niemand beleidigt oder geduzt: "Das kommt zum einen nicht vor, zum anderen dürfte er damit kein Problem haben. Er ist es ja gewohnt, dass die Ausländer du zueinander sagen." Die Handschuhe seien normale Handschuhe gewesen. Im Übrigen werde Menschlichkeit großgeschrieben.
Geschichten, die Zweifel an der Menschlichkeit der Behörde aufkommen lassen, gibt es jedoch zur Genüge. Eine davon ist die von Jussuf Tounou *. Tounou ist 25 Jahre alt, er kommt aus Benin. Seit drei Jahren lebt er in Deutschland, im März wurde er Vater. Die Mutter des Kindes, seine Freundin, ist eine deutsche Studentin. Nach der Geburt bat er in der Ausländerbehörde um einen sogenannten Urlaubsschein, mit dem er sich legal außerhalb seines Landkreises aufhalten könnte. Der Angestellte schob ihm ein Stück Papier zum Unterschreiben hin. Tounou unterschrieb nicht. Der Angestellte habe ihm eine freiwillige Ausreiseerklärung gegeben.
Rainer Plötz kennt diesen Fall nicht, nimmt aber seine Mitarbeiter in Schutz: "Wissen Sie, wie viele Scheinehen es in Deutschland gibt?", empört er sich: "Der muss erst einmal nachweisen, dass er wirklich der Vater ist, so lange bleibt er ausreisepflichtig." Dabei war Tounou längst mit seiner Freundin beim Jugendamt gewesen, um seine Vaterschaft anerkennen zu lassen.
Gegen die Behörde laufen eine Reihe Untätigkeitsklagen wegen monatelang ruhender Anträge. "Enge personelle Situation", rechtfertigt Plötz das. Einer, der klagen könnte, sich aber nicht traut, ist Hazim Khalif Hassan *. Er lebt im Asylbewerberheim des Landkreises. In seinem Zimmer hört man Türenknallen, auf dem Flur spielen Kinder fangen. Hassan ist schwer krank. Er hat einen großen Stein vor der Bauchspeicheldrüse, leidet unter Schmerzen und Depressionen. Im August 2006 stellte er einen Antrag auf eine Wohnung.
Die dreimonatige Frist, innerhalb deren Anträge bei Behörden bearbeitet werden müssen, verstrich. Es wurde Winter, es gab tagelang kein warmes Wasser im Heim, zur Toilette musste er sich ein Stockwerk tiefer schleppen. Hassan stellte einen Eilantrag bei der Behörde und hörte weiter wochenlang nichts. Im März leitete die Behörde den Antrag an das Gesundheitsamt weiter. Eine Wohnung hat Hassan noch immer nicht. Klagen will er gegen die Behörde nicht. Er hat Angst.
Das Asylbewerberheim liegt in Jürgenstorf. Ein kastenförmiger DDR-Bau, in dem früher eine Landwirtschaftsschule untergebracht war. In jedem der drei Stockwerke lange Flure. Die Schuhe stehen vor den durchnummerierten Zimmertüren, es riecht nach gebratenem Fleisch und Putzmitteln. Der Bus in die nächste Kleinstadt fährt zweimal am Tag.
Die Zusammenarbeit zwischen Heimleiterin Inge Porath und der Ausländerbehörde funktioniert nach beiderseitigem Empfinden bestens. Porath ist eine schlanke Frau mit dunkelblonden Haaren. Ihre Arbeitsmaxime beschreibt sie so: "Ich sorge dafür, dass alles seine Ordnung hat, es sauber ist und die Sicherheit gewährleistet." Porath ist jedoch nicht etwa Hausmeisterin, sondern Sozialarbeiterin. 170 Menschen leben in dem Heim unter ihrer Aufsicht. Darunter Emad Rahim Mohammed. Im Dezember litt er unter starken Bauchschmerzen und bat die Heimleiterin mehrmals, einen Krankenwagen für ihn zu rufen. Inge Porath lehnte ab. Schließlich brachte ihn ein Bekannter in seinem privaten Wagen ins Krankenhaus. Mohammed wurde sofort operiert. Er hatte einen Blinddarmdurchbruch.
Die Heimleiterin rechtfertigt sich: Sie habe nicht wissen können, dass es ihm so schlecht ging. Schließlich sei er doch noch herumgelaufen. Hätte er sich nicht mehr bewegt, hätte sie ihm einen Arzt gerufen.
Mona und Warat Wartadian fuhren vor einigen Wochen zur Anerkennung ihrer Identitäten nach Bielefeld und trafen dort armenische Behördenvertreter. "Ich hatte es fast vergessen", sagt Mona Wartadian, "aber vor den armenischen Behörden habe ich größere Angst als vor unserer Ausländerbehörde." Die Wartadians wollen in Deutschland bleiben, Malchin ist ihre Heimat geworden. Ihre Freunde sagen, die Familie sei aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Sie hoffen, dass sie in Zukunft hier angstfrei leben können. Noch geht das nicht. "Es gibt hier fast einen rechtsfreien Raum", sagt Wartadian. Im Beisein einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle für Migranten wurde ihm mitgeteilt, dass die Behörde rechtlich gegen ihn vorgehen werde, sollte er sich mit seinen Erlebnissen an die Öffentlichkeit wenden. Und das, drohte ihm Plötz, das wirkt sich nicht positiv auf ihren Aufenthaltsstatus aus.
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