: Diskreter Dialog mit einer Toten
■ Kampnagel: „Die Kommandeuse“ von Gilla Kremer
Ilse Koch muß eine furchtbare Frau gewesen sein. Die Gattin des KZ-Kommandanten von Buchenwald ließ Häftlinge auspeitschen, die ihr angeblich zu nahe getreten waren. Oder sie ließ sie für das Gegenteil auspeitschen, dafür, daß sie sie nicht beachteten. In einer eigenen Reithalle spielte sie die Herrenreiterin, Himmler himmelte sie wie ein Backfisch an. So sehr war Ilse Koch verhaßt, daß man sich erzählte, sie habe aus tätowierter Menschenhaut Lampenschirme anfertigen lassen; im Prozeß konnte ihr dies allerdings nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden . In den 60er Jahren erhängte sie sich in der Haft – ohne Unrechtsbewußtsein.
Über eben diese Ilse Koch – die nach dem Zweiten Weltkrieg als „Hexe von Buchenwald“ oder als „meistgehaßte Frau der Welt“ in die Weltpresse geriet und heute nahezu vergessen ist – haben die Schauspielerin Gilla Cremer und der Regisseur Johannes Kaetzler ein Theaterprojekt gemacht, das, Die Kommandeuse betitelt, am Freitag auf Kampnagel Premiere hatte. An dem Projekt ist vor allem bemerkenswert, was Cremer und Kaetzler nicht getan haben.
Sie haben Ilse Koch nicht dämonisiert. Die Kommandeuse ist bei ihnen keine real gewordene Lady MacBeth, keine überlebensgroße Figur, in der sich Brutalität und Macht, Sex und Banalität verhängnisvoll bündeln. Analysiert haben Cremer und Kaetzler Ilse Koch auch nicht; ihrem Entwicklungsweg von der kleinbürgerlichen Herkunft hin zu dem Versuch, mit einem SS-Mann das ganze, sich groß gebende Deutschland zu heiraten, folgen sie nur bruchstückweise. Beides hat bestimmt seine Richtigkeit, eine Dämonisierung verbietet sich, und eine Rekonstruktion setzte eine deplazierte Einfühlung in die Figur voraus.
Offensichtliche konzeptionelle Fehler wurden bei dem Projekt für eine Solo-Schauspielerin also vermieden. Das ist gut. Aber was haben Cremer und Kaetzler gemacht, außer etwas zu vermeiden? Da sucht man allzu lange vergebens.
Über die Koch haben die Schauspielerin und ihr Regisseur eine Art Bilderverbot verhängt. Im langen Mantel, in einem schlicht geschnittenen, beige-grauen Kleid, die Füße in roten Stiefeln, so steht Gilla Cremer auf der leeren, nur von zehn angeleuchteten Rechtecken gegliederten Bühne und rezitiert meist mit starrem Gesicht und manieristischer Betonung aus Ilse Kochs Briefen. Da soll nicht ein Mensch psychologisch nachempfindbar gemacht werden, so weit so gut, aber selten erreicht die Aufführung eine Dichte und Geschlossenheit, die jede Annäherung braucht – und was anderes als eine Annäherung an diese furchtbare Frau, eine Entdeckungsreise ins Herz dieser Finsternis, kann denn intendiert sein?
Von einem „Dialog mit Toten“ haben Cremer und Kaetzler im Vorfeld der Aufführung zur Erläuterung ihrer Absichten gesprochen – er fiel allzu monologisch, allzu harmlos aus. Letztendlich bleibt das merkwürdige Gefühl, daß sich Cremer und Kaetzler dieser Figur allzu diskret genähert haben. Und ob Diskretion bei diesem Gegenstand das richtige Gefühl ist, daran haben wir unsere Zweifel.
Dirk Knipphals
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