Disco-Punk für Hirn und Hintern: Die Möbel sind dann auch kaputt
"Antidotes" heißt das mitreißende Debüt der Foals. Ihre Musik soll "den Drang, Stripperinnen zu vögeln und auf Omas zu schießen" provozieren. Derzeit tourt die Band aus Oxford durch Deuschland.
Es ist noch gar nicht lange her, dass man sich Foals über Myspace für ein Konzert in der eigenen Wohnung mieten konnte, für einen Abend, für lau. Manchmal traten sie vor zwei Menschen und einer Schüssel Thunfischpaste auf, manchmal stopften sich 50 Leute in ein winziges Wohnheimzimmer, um die fünf jungen Briten zu sehen. Die Gigs endeten meist in Schutt und Asche. Die Musik von Foals greift nach dem menschlichen Körper, treibt ihn in einen Adrenalinrausch, auf Tische, auf Sessel, auf alles, was auch als Tanzfläche herhält, und lässt erst wieder los, wenn sich der Grad der Erschöpfung und das Ausmaß an Hedonismus nicht weiter dehnen lassen. Die Möbel sind dann auch kaputt.
Namentlich ist das, womit Foals einen in den Exzess treiben, Disco-Punk der aufregenden Sorte, nachzuhören auf ihrem gerade erschienenen Album "Antidotes". Sie verlegen elektronische Beats und Grooves auf Gitarre, Schlagzeug und Bass und lassen sich dabei vom Techno-Label Kompakt genauso inspirieren wie von Nelly Furtado. Synthesizer und Gitarre formen hypnotische polyrhythmische Muster zu den Schreigesängen von Yannis Philippakis - und ja, im Grunde könnte man sich an dieser Stelle weiteres Reflektieren schenken, Foals als eine kompetente Partyband aus England verbuchen und sich wieder seinem Sinnesrausch widmen.
Wäre da nicht die intellektuelle Aufgedonnertheit, die einem in der Musik zudem noch begegnet. Die Band verweist kennerhaft auf den reduktiven Ansatz von Minimalkomponist Steve Reich und übt sich in mathematischer Präzision und akustischen Ordnungssystemen. Wenn man so will, rettet das Hirn Foals den Arsch. Struktur, Genauigkeit, Ratio - erst innerhalb dieses Rahmens wird die überbordende Körperlichkeit, die "Antidotes" ausmacht, richtig interessant, weit über den Moment hinaus.
Die Lieder von Foals bleiben also fern von klaren Akkorden und Strophe-Refrain-Architektur. Kantige Harmonien, Beschleunigung durch verzwickte Stakkatos, Gitarren, die wie Insekten klingen - Battles lassen grüßen. Aus einer anderen Liga des Math-Sounds, muss man allerdings dazusagen. Was Foals an schlauem Klangraum liefern, ist gut, aber nicht irre spektakulär. Noch nicht. "Antidotes" ist gerade mal das Debüt der Briten.
Sie sind Anfang 20, auch wenn sie zum Teil aussehen, als hätten sie ihren 15. Geburtstag noch vor sich. Ihre Heimat ist Oxford, wo schon Radiohead, die Lieblingssöhne der Stadt, Rockexperimente veranstalteten. Für die Aufnahmen zu "Antidotes" sind Foals jedoch dorthin gegangen, wo die Bongs dampfen wie alte Lokomotiven und wo latenter Irrsinn herrscht: ins Stay Gold Studio von Dave Sitek, einem amerikanischen Indie-Produzentenheld, Profikiffer und Mitglied von TV On The Radio, ansässig im New Yorker Hot Spot Williamsburg.
Und da man östlich von Manhattan dieser Tage anscheinend kein Debüt produzieren kann, das ohne Afro-Referenzen auskommt, erweiterte Sitek den Sound von Foals um das Antibalas Afrobeat Orchestra. Siteks Passion für Foals betreffend sei Folgendes zitiert: "Er sagt, unsere Musik provoziert in ihm den Drang, Stripperinnen zu vögeln und auf Omas zu schießen", erklärt Bassist Walter Gervers. Was Sitek nach Feierabend macht, ist nicht weiter bekannt, auf jeden Fall hat er das Klangbild von Foals in einem solchen Maß beeinflusst und vergrößert, dass man den Mann getrost als das sechste Studiomitglied der Band bezeichnen kann. Die Deutschlandtour Anfang April spielen Foals dann wieder zu fünft.
JOANNA ITZEK
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