Dirk Boll, Christie's: "Das ist ein falscher Weg"
Am heutigen Dienstag versteigert Sothebys für mindestens sechs Millionen Dollar die "Matrosen" von Gerhard Richter aus der Bremer Weserburg. Ein Gespräch mit Dirk Boll vom Konkurrenten Christies über die Frage, ob Museen Kunst verkaufen dürfen.
taz: Heute kommen Gerhard Richters "Matrosen" aus dem Bremer Museum Weserburg bei Sothebys unter den Hammer. Freut Sie das, Herr Boll?
Dirk Boll: Wenn man davon ausgeht, dass das Werk verkauft werden muss, um das Museum "zu retten" - dann ist es sicherlich klug und richtig, das jetzt zu machen. Der Markt zahlt für exakt diese Sorte Kunstwerk momentan sehr attraktive Preise. Im Moment sind hochwertige, aber rare Werke von prominenten Künstlern besonders gefragt.
Konservativ gedacht: Bei Richter weiß man, was man hat.
40, gelernter Jurist, ist seit 2004 European Director des Auktionshauses Christies International und Herausgeber des Buches "Marktplatz Museum".
Das spielt sicherlich eine Rolle. Die "Matrosen" werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach sehr gut verkaufen. Es ist ein tolles Bild mit einer guten Geschichte. Und dass das Bild aus der Weserburg kommt, hebt seinen Preis.
Die FAZ sieht den Verkauf als "dramatisches Warnsignal", die Zeit nannte ihn "unerhört". Haben sie recht?
Das Problem an Museumsverkäufen ist nicht, dass sie passieren. Doch während amerikanische Museen Verkäufe als Teil ihrer Sammlungsstrategie ansehen, wird in europäischen Museen erst verkauft, wenn man keine andere Möglichkeit mehr sieht. Das ist ein falscher Weg. Wenn man Museumsverkäufe zulassen will, muss man da besser planen und strukturieren. Und: In Amerika gibt es die ganz klare Haltung, dass der Erlös aus solchen Verkäufen wieder in die Sammlung reinvestiert werden muss. Und nicht dazu dienen soll, etwa das Dach zu flicken. In Bremen wird keine neue Kunst angeschafft. Doch der Modellfall ist hier nicht anwendbar. Man kann dieses Beispiel auch schlecht auf andere Museen übertragen.
Die Weserburg ist ein Sammlermuseum.
Aber sie haben eine Rumpfsammlung. Aber auch für diese Situation gibt es Vorbilder aus dem Ausland: In Holland muss in so einem Fall das zu verkaufende Objekt zuvor allen anderen Museen angeboten werden. Die öffentliche Versteigerung ist ganz klar der Weg der Erlösmaximierung. Das ist auch der Charme der Idee. Gäbe man das Werk an ein anderes Museum ab, würde wohl erheblich weniger Geld fließen. Ideal wäre hier gewesen: Man findet jemand, der den Ankauf durch ein Museum finanziert. Das braucht natürlich sehr lange Zeit.
Die Weserburg braucht die Millionen, um ihr Haus zu sanieren - damit sie weiter hochwertige Kunst geliehen bekommt.
Natürlich ist es besser, eine vernünftige Klimatechnik zu haben, als still und heimlich die Vorgaben für die Aufbewahrung von Kunst zu ändern. Auch das kennen wir ja aus Museen der USA.
Einigen gilt der Verkauf aus der Weserburg als "Tabubruch". Andererseits wollte die Stadt Krefeld schon vor Jahren ihren Monet verkaufen, um das marode Museum zu sanieren.
Ich will nicht der Schwarzmaler sein, der sagt, die öffentliche Hand wird sich immer stärker aus der Finanzierung von Kultureinrichtungen zurückzieht. Aber es gibt nicht wenige Experten, die sagen: Es wird so kommen. Und es gibt auch Leute, die sagen: Wir müssen nicht diskutieren, ob es passiert, sondern wie und wann. Ich fände es betrüblich, wenn das die Tendenz wäre. Aber man darf nicht den Verkauf per se stigmatisieren.
Wenn man den Museen prinzipiell zugesteht, ihren Besitz auch mal zu verkaufen…
… dann muss man über Strukturen und Kontrollsysteme nachdenken. Man muss, wie das in den USA passiert ist, konkrete Voraussetzungen benennen, denen zufolge Museen Werke abgeben dürfen. Da kann man womöglich auch eine unantastbare Kernsammlung definieren. Und es muss klar sein, dass für einen Verkauf Komitees gebildet werden müssen, damit nicht Einzelne entscheiden. Und man muss definieren, was mit dem Erlös passieren darf. Diese Fragen muss man ergebnisoffen diskutieren. Wenn der Staat das nicht will, muss er sagen, woher das Geld kommen soll.
Eine Alternative ist: Man gesteht auch Museen zu, mal ein wertvolles Bild zu verkaufen, um beispielsweise ein noch interessanteres zu erwerben.
Das ist aus meiner Sicht ein Erfolgskonzept. Es geht dabei nicht nur um Mittelakquise oder darum, die Qualität einer Sammlung zu verbessern. Sondern es geht auch um den kostspieligen Platz in den Archiven. Vieles, was Museen gestiftet wird, erblickt nie das Licht der Museumssäle und landet für immer im Depot.
Besteht nicht die Gefahr, dass mit diesem Konzept der Zeitgeist zu sehr Einfluss auf Entscheidungen nimmt?
Das ist ein kritischer Punkt. Nur: Die Museumswelt nimmt diese Kompetenz ja auch für sich in Anspruch, wenn es um Ankäufe geht. Warum man die beim Verkauf dann in Zweifel stellt, ist mir nicht klar. Die Frage ist: Was muss man tun, um einen Verkauf in geringst möglichem Maße dem persönlichen Urteil Einzelner zu unterwerfen.
Wobei genau das früher bei Ankäufen eine tragende Rolle spielte. Man verklärt das heute.
Absolut.
Es ist aber einfacher, wenn man für die Ewigkeit horten darf.
Ja. Aber in den Depots aller Museen gibt es Werke, die den Test der Zeit nicht bestanden haben. Andererseits kann es auch sein, dass man Verkäufe später bereut. Das ist das allgemeine Risiko.
Das, was als bedeutend gilt, hängt heute stärker von Privatsammlern ab als früher.
Die gestiegenen Preise auf dem Kunstmarkt benachteiligen die Museen strukturell. Der finanzielle Wert eines Kunstwerkes ist zu dem Faktor geworden, der seinen Kultwert bestimmt. Bis zum 2. Weltkrieg war das anders.
Christies hat parallel zu Sothebys auch einen Gerhard Richter ins Auktionsrennen geschickt. Ist das die Gegenreaktion?
Nein. Das ist normal: Es gibt kaum einen Auktionskatalog aus den letzten zehn Jahren, in dem kein Richter vorkommt.
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