: Direktoren-Kapitalismus
In Polen ist die große Privatisierung in Verruf geraten / Betriebsmanager eignen sich mit zwielichtigen Methoden die Betriebe an ■ Aus Kattowitz Klaus Bachmann
Wenn alles gut gegangen wäre, dann wäre Marian (45) heute wahrscheinlich Automechaniker oder Hilfsarbeiter irgendwo im Ruhrpott. Dann hätte er 1981 seinen Sohn, seine Frau und den Rest seines Hausrats in den klapprigen Wartburg-Combi gepackt und wäre losgefahren. Doch wenige Tage bevor Marian die große Reise antreten wollte, verhängte General Jaruzelski das Kriegsrecht und schloß die Grenzen. Marian blieb mit seiner Familie in Kattowitz. Jetzt, wo er wieder ausreisen könnte, findet er sich zu alt, um in Deutschland noch einmal neu anzufangen. Außerdem hat er es jetzt in Polen zu etwas gebracht. Er ist privater Unternehmer geworden.
Im Jahre 1989 gab die Regierung Rakowski die Devise aus: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Marian machte sein Computer- Hobby zum Beruf. Zweimal pro Woche schleppte er die Geräte im Rucksack nach Warschau zum Flohmarkt und baute sich eine Art Rucksack-Computer-Börse auf. Er kaufte, verkaufte, vermittelte, reparierte und verdiente an der Marge. Heute ist er Besitzer zweier Computerläden und gehört zu denen, die es geschafft haben. Am Rande der Stadt steht sein Eigenheim, in dessen Keller zwei Mittelklasselimousinen.
Wie Marian haben zehntausende Polen die konkursreifen Läden der staatlichen Handelsketten aufgekauft, geleast oder gemietet und so zur Privatisierung des Einzelhandels beigetragen. Die Mehrzahl der Läden gehört inzwischen Privatleuten. Doch im Gegensatz zur kleinen Privatisierung von Kneipen, Kiosken, kleinen Hotels und Werkstätten ist die große Privatisierung in Polen umstritten. Sie geht entweder langsam und bürokratisch vor sich oder beschränkt sich in den Augen vieler auf korrupte Ausverkaufspraktiken.
Ein größerer Betrieb konnte bisher schlicht aufgelöst und seine Bestandteile versteigert, er konnte zur Börse zugelassen oder als Apport in eine Privatfirma eingebracht werden. Sowohl im ersten als auch im letzten Fall kam das einer Einladung zum Betrug des Fiskus gleich: Betriebsdirektoren treiben erst ihren Betrieb in den Konkurs, lassen sich dann zu Konkursverwaltern ernennen und übereignen sich oder ihren Mitverschworenen das Staatseigentum zum Schleuderpreis. Weil damit Steuervorteile verbunden sind, ziehen Gewerkschaften und Belegschaften meist mit. Der Dumme ist der Staat, der durch die Hintertür enteignet wird. Genaue Statistiken darüber gibt es nicht. Der Oberste Rechnungshof stellte 1992 fest, daß auch das Industrieministerium nicht wußte, wieviele Betriebe so „privatisiert“ worden waren.
Inzwischen ist diese Art Aneignung von Staatsbesitz so ins Gerede gekommen, daß die Gewerkschaft Solidarnosc ein Referendum durchführen will, demzufolge die Nutznießer solcher Privatisierungen erneut enteignet werden sollen. Nach dem neuen Sozialpakt dagegen können die Betriebe künftig die Art der Privatisierung selbst wählen. Die Belegschaften sollen mit Aktienpaketen zu Sonderpreisen daran stärker als bisher beteiligt werden. Im Gegenzug erhofft sich Privatisierungsminister Lewandowski, der schon fast regelmäßig Mißtrauensvoten zu überstehen hat, daß die Belegschaften ihren Widerstand gegen Privatisierungen aufgeben.
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