piwik no script img

Diplom statt Titel

Nach Vince Carters Fehlwurf stehen die Philadelphia 76ers im NBA-Halbfinale gegen die Milwaukee Bucks

BERLIN taz ■ Was beim Fußball als Sensation des Jahrzehnts gilt, ist im Basketball Alltag: Entscheidungen in letzter Sekunde. Am Sonntag war das Opfer im entscheidenden siebten Match des Viertelfinales der NBA Vince Carter von den Toronto Raptors. In einem wunderschönen Bogen segelte sein Wurf auf den Korb der Philadelphia 76ers zu, prallte an den Rand und hüpfte, begleitet von der Schlusssirene, ins Aus. Damit hatte Philadelphia, obwohl dem Team von Allen Iverson in den letzten drei Minuten kein einziger Punkt mehr gelang, das Spiel mit 88:87 gewonnen und zog ins Halbfinale gegen die Milwaukee Bucks ein, die im siebten Spiel die Charlotte Hornets mit 104:95 bezwangen.

Iverson, wenige Tage zuvor zum besten Spieler der Saison gekürt, von den Raptors zuletzt aber hervorragend verteidigt, spielte das uneigennützigste Match seiner Karriere. 16 Assists, persönliche Bestmarke, verteilte der 25-Jährige an seine Kollegen, er selbst begnügte sich mit 21 Punkten. Nutznießer war vor allem Aaron McKie, bester sechster Mann der Liga, der es auf 22 Punkte brachte, Center Dikembe Mutombo holte 17 Rebounds.

Für die größte Kontroverse hatte schon vor dem Spiel Unglücksschütze Vince Carter gesorgt, als er darauf bestanden hatte, am Morgen der Partie bei einer Feier in der Universität von North Carolina persönlich sein Diplom entgegenzunehmen. Mit einem Privatjet flog er nach der Zeremonie gen Philadelphia, wo er fünf Stunden vor dem Match eintraf. Journalisten und auch Teamkollegen murmelten Missbilligung, die Entgegnung Carters war simpel und klar: „Mir egal.“ Das Diplom sei die größte Errungenschaft seines Lebens, sagte der 24-Jährige, womit er allen aus dem Herzen sprach, die sich von den Superstars des Sports eine Vorbildfunktion erhoffen. Wäre sein letzter Wurf im Korb gelandet, hätte Carter auch des Beifalls der Raptors-Fans sicher sein können. So aber muss sich „The Graduate“, wie ihn US-Medien sogleich tauften, angesichts seiner mit 20 Punkten nicht überragenden Leistung wohl noch einige Kritik anhören. „Ich muss immer an diesen Wurf denken, dafür lebt man“, sagte ein enttäuschter Carter nach dem Playoff-Aus, fügte aber gleich hinzu: „Vielleicht ja im nächsten Jahr.“ MATTI LIESKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen