Diktaturforschung an der Humboldt Uni: Umstrittener Gewaltforscher
Der Historiker Jörg Baberowski möchte ein Zentrum für vergleichende Diktaturforschung gründen – und löst damit heftigen Widerspruch aus.
„Aufgrund der dargelegten konzeptionellen Unklarheiten […] kann ich der Humboldt-Universität zu Berlin leider nicht empfehlen, dem Antrag zu entsprechen.“ In seinem Gutachten lässt Thomas Lindenberger, Direktor des Dresdener Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung keinen Zweifel, was er vom Anliegen seines Berliner Kollegen, des Osteuropahistorikers und Gewaltforschers Jörg Baberowski, hält. Der will in Kooperation mit der Juristischen und der Philosophischen Fakultät I der HU ein „Interdisziplinäres Zentrum für vergleichende Diktaturforschung“ einrichten.
Der Öffentlichkeit bekannt ist Baberowski unter anderem als Kritiker der Flüchtlingspolitik im Jahr 2015. Seinen Vorwurf an die „linken Eliten“ und ihr vermeintliches Unverständnis für besorgte Bürger fasste ein anderer Kollege, der Mainzer Historiker Andreas Rödder, unter der griffigen Formel der „repressiven Toleranz“ zusammen. Nicht zuletzt infolge solcher Interventionen in tagesaktuellen Fragen ist Jörg Baberowski auch über Hochschulgrenzen hinaus nicht unumstritten. Die scharfe Kritik an seiner wissenschaftlichen Arbeit aber hat sich bislang noch nicht so zugespitzt gezeigt wie beim geplanten interdisziplinären Zentrum.
Wie jede andere Disziplin unterliegt auch die Geschichtswissenschaft Konjunkturen. Welche Betrachtungsgegenstände und -blickwinkel gefragt sind, hängt dabei nicht zuletzt von politischen Großwetterlagen ab. So sah der Kalte Krieg zu seiner Hochphase in der westlichen Hemisphäre den Aufstieg der Totalitarismustheorie. Die diente der Abgrenzung der liberalen Demokratien vom Nationalsozialismus einerseits und real existierendem Sozialismus, insbesondere des Stalinismus, andererseits.
Dass die Nivellierung der offensichtlichen Unterschiede zwischen beiden Systemen sowohl zur Verharmlosung des singulären Verbrechens der Naziherrschaft führte als auch den mörderischen Stalinismus nur unzureichend erklärte, fiel erst mit der zunehmenden Entspannung zwischen West und Ost auf. In Deutschland wurde die Dominanz der Totalitarismustheorie Mitte der 1980er Jahre endgültig mit dem sogenannten Historikerstreit beendet. Ausgelöst hatte den der Historiker Ernst Nolte mit einem Beitrag, der die These in den Raum stellte, dass der Holocaust vielleicht nur eine Reaktion auf das Stalin’sche Gulagsystem gewesen sei.
Spätestens seit den 1990er Jahren gibt es wieder neue Versuche zum Systemvergleich – jedoch nicht auf der Ebene des Gesamten, der Makroebene, sondern eher im Klein-Klein der Mikroebene. An den Rändern der untersuchten Gesellschaften werden Phänomene gesucht, die es ermöglichen, dort, wo sich der Vergleich unter anderen Bedingungen verbieten würde, doch Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu finden.
Roter Terror und Nazibarbarei
Der ergiebigste Zweig dieser Forschung konzentriert sich dabei auf die Gewaltförmigkeit der (nicht demokratischen) Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts. Seinen kräftigsten Schub erhielt dieser Blickwinkel mit dem viel rezipierten Band „Bloodlands“ des US-amerikanischen Historikers Timothy Snyder aus dem Jahr 2010, der Beschreibung einer end- und unterschiedslosen Gewaltorgie irgendwo zwischen rotem Terror und Nazibarbarei.
Bereits 2006 lieferte Jörg Baberowski einen ähnlich gelagerten Beitrag ab, „Ordnung durch Terror – Gewaltexzesse und Vernichtung im nationalsozialistischen und im stalinistischen Imperium“. Das Buch ist eine Gemeinschaftsarbeit mit dem Nolte-Schüler Anselm Doering-Manteuffel. Das Vorwort stammt von Hans Mommsen, der, im Historikerstreit noch profilierter Gegner Noltes, zum Ende seines Lebens den Charme der Mikrovergleiche entdeckte. Nicht zuletzt die Vertreter der Extremismustheorie, die von Kritikern als wenig verhüllter Platzhalter für die Totalistarismusthese gesehen wird, finden dort hinreichend Bestätigung.
„Ordnung durch Terror“ exerziert durch, was Baberowski an anderer Stelle „künstliches Einfrieren“ nennt. So schreibt er im Sammelband „Arbeit an der Geschichte“: „Man muss, wenn man Kulturen miteinander vergleichen will, stereotypisieren und behaupten, die verglichenen Einheiten könnten klar voneinander getrennt werden.“
Das funktioniert mit Begriffsunschärfen und -auslassungen, mit denen er schon 2003 zu seiner Antrittsvorlesung an der HU operierte. Man mag die beiläufige Bezeichnung der zwangskollektivierten Kolchosen als „Apartheid“ noch mit Unkenntnis über die allgemein akzeptierte Bedeutung des Begriffes erklären und die Verlagerung der Stadt Sotschi nach Abchasien als lässlichen geografischen Lapsus sehen. Andere Bezugnahmen irritieren deutlich mehr.
Hinkende Vergleiche
So hinken die Vergleiche in „Ordnung durch Terror“ auf den ersten Blick. Die Ethnisierung sowjetischer Nationen zum Zwecke der nationalen Neuordnung wird im selben Kapitel besprochen wie die geplante Vernichtung als minderwertig definierter Völker durch die Nazis. Die Registrierung von Iranern und Türken, die die sowjetische Staatsangehörigkeit ablehnten und deshalb abgeschoben wurden, soll seine Entsprechung in der erzwungenen Staatenlosigkeit von Juden finden, die aber juristische Voraussetzung eines erheblich anders gelagerten Vorgangs war: ihrer industriellen Massenvernichtung.
Überhaupt fällt etwas auf, ob nun in der Antrittsvorlesung, bei „Ordnung durch Terror“ oder seinem sonstigen Werk: In Baberowskis Wortschatz findet sich durchaus die Vokabel „Konzentrationslager“, allerdings praktisch exklusiv bezogen auf das sowjetische Gulag-System. Der Historiker und abtrünnige Nolte-Schüler Wolfgang Wippermann bezeichnete diese Arbeitsweise in einem gleichnamigen Buch 2009 als „Dämonisierung durch Vergleich“. Wippermann weist aber vor allem auf die drastischste Leerstelle dieser Schule hin, „die Unfähigkeit, den Holocaust zu erklären“.
Dass Jörg Baberowski nun ein Extra-Institut bekommen soll, trifft also wenig überraschend auf fachliche Kritik. Von den vier Gutachten zum Gründungsantrag, sind zwei nicht anders als vernichtend zu nennen. Von den anderen beiden ist eines von Andreas Rödder, der Baberowski ja schon 2015 beigesprungen war.
Fruchtlose Konferenzen
Der Freiburger Historiker und Leibniz-Preisträger Ulrich Herbert stellt in seinem äußerst skeptischen Gutachten die Prämissen des Instituts infrage. So kritisiert er zum Beispiel den Eurozentrismus des Ansatzes und fragt erstaunt, warum die Debatten über Totalitarismus- und Extremismustheorie mit nicht einem Wort erwähnt würden. Außerdem mutmaßt Herbert, dass die Institutsstruktur die Forscher wohl eher vom Forschen abhielte und stattdessen in fruchtlosen Konferenzen fessele.
Thomas Lindenberger geht in seiner Strukturkritik noch weiter und sieht als einzigen nachvollziehbaren Zweck des Instituts eine nutzlose Verringerung der Lehrverpflichtung der Beteiligten. Außerdem weist er umfänglich auf das Fehlen tatsächlicher Interdisziplinarität hin, die über die beteiligten zwei Disziplinen hinausginge.
Nicht zuletzt diese Gutachten sind wohl der Grund, warum die zuständige Kommission des Akademischen Senats der HU die Gründung des Instituts mit drei Ja-Stimmen und ebenso vielen Enthaltungen wenig überzeugend empfiehlt. Ob die HU dieser Empfehlung folgt und Jörg Baberowski den Wunsch erfüllt, wird sich zeigen. Die ursprünglich für Januar geplante Behandlung des Antrags ist auf unbestimmte Zeit vertagt.
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