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taz FUTURZWEI

Digitale Schulen Bücher statt Tablets!

Dänemark will Smartphones und Tablets wieder aus den Schulen verbannen. Bücher sollen zurückkehren. Das ist essentiell für die Zukunft junger Menschen und der liberalen Demokratien, findet Udo Knapp.

Gewohntes Bild: Kinder vorm Screen Foto: Julian Stratenschulte/picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | Dänemark, Schweden, Norwegen und die Baltischen Staaten sind führend in Sachen Digitalisierung. Neben allen anderen, von Algorithmen bestimmten Lebensbereichen sind in Dänemark auch die Schulen digitalisiert. Lehrer und Schüler kommunizieren im Unterricht von der 1. Klasse an über ihre Tablets. Es gibt ins Internet vernetzte Smartboards und Bildschirme, die ins Lernen integriert sind. Auf den Schulbänken liegen die Smartphones. In den Ohren leuchten die In-Ear-Kopfhörer. Jeder Schüler kann unbemerkt aus der schulischen Wirklichkeit zu TikTok oder Snapchat verschwinden. Hier verbringen die Kinder und Jugendlichen dann oft mehr Zeit als in der realen Welt. Wie bei vielen anderen Modernisierungsprozessen in freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Gesellschaften werden die Folgen des Gebrauchs neuer Technologien erst bedacht, wenn die Kollateralschäden nicht mehr geleugnet werden können.

Hier soll jetzt aber nicht kulturpessimistisch das Verschwinden des Analogen betrauert werden. Das ist ohnehin nicht zu ändern. Es geht darum, die Konsequenzen daraus zur Kenntnis zu nehmen und zu werten, dass Fünfzehnjährige, zum Beispiel, täglich bis zu neun Stunden in den sozialen Netzwerken und vor Bildschirmen verbringen. In einer, von der Wissenschaftlerin Aida Bikic an der Uni Süddänemark vorgelegten Studie wird festgestellt: „Wir wollen digital gebildete Menschen. Aber die neuen Medien schaffen stattdessen Abhängigkeiten, machen süchtig. Jugendliche können dem nicht standhalten.“ Unkonzentriertheit, Abgestumpftheit und Traumatisierung, Selbstverletzung, Verunsicherung und Einsamkeit sind die Folgen, deren Zunahme in Langzeitstudien in Dänemark nachgewiesen worden ist. Zu dem gleichen Ergebnis kommt der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt, der in seinem Manifest „Generation Angst“ feststellt: „Wir haben zugelassen, dass eine ganze Generation von jungen Menschen mit ihrem Aufwachsen in der Interaktion mit Smartphone, Social Media und Selfie-Kultur, Opfer eines Experiments von bisher unbekanntem Ausmaß geworden ist. Wir verlieren unsere Kinder an die virtuelle Welt. Wir setzen ihre psychische Gesundheit aufs Spiel.“

Schreiben mit einem Stift

Dänemarks sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mete Fredriksen reagiert: „Switch off“ steht jetzt auf ihrer politischen Agenda, auf Deutsch: Ausschalten! Die Altersgrenze für den Zugang zu den sozialen Netzwerken soll von jetzt 13 auf 15 Jahre angehoben werden. Die Techunternehmen, die die bereits geltenden Regulierungen nicht beachten, sollen mit hohen Bußgeldern dazu gezwungen werden. Chatbots und Audioplay-Funktionen, die süchtig machen, sollen verboten werden.

Im Unterricht an den Schulen sollen Smartphones, Tablets, mit ihnen vernetzte Smartboards und Bildschirme verschwinden, der Gebrauch von Chat GPT soll in den Schulen nicht mehr gestattet sein.

taz FUTURZWEI N°29: Kann der Westen weg?

Europa und Nordamerika haben viel vorangebracht und einiges verbockt. Nun geht es so nicht mehr weiter. Aber wie dann? Es kann schon morgen oder übermorgen vorbei sein mit dem Westen.

Über den Zerfall einer Weltordnung

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Dafür sollen Bücher und der analoge Unterricht zurückkehren. In den Unterstufen soll das analoge Lernen, das Schreiben mit einem Stift, das Einüben der korrekten Rechtschreibung mit Diktaten wiederkommen, der Gebrauch von Rechtschreibprogrammen soll auch verboten werden. Dahinter steht der Gedanke: Wer nicht richtig schreiben kann, wird auch nie Bücher lesen. Ohne das Lesen aber verliert jede selbstbewusste kognitive Kraft ihren Handlungsraum. Für diesen Rückbau im dänischen Schulsystem werden öffentliche Mittel gebraucht, über deren Höhe gerade gestritten wird. Aber es gilt: Dänemark sieht es als Fehler und will diesen korrigieren, dass es sein Schulsystem den Diensten und den marktmachtpolitisch agierenden Tech-Konzernen geöffnet hat.

Keine autoritäten Übergriffe

Auch in Schweden und beim digitalen Weltmeister Finnland steht ein Verbot des Gebrauchs von Smartphones, Tabletts und Smartboards an Schulen auf der Tagesordnung.

Bei diesen Verboten handelt es sich nicht um autoritäre Übergriffe der Alten auf die Zukunft der Jungen. Es geht um die Sicherung der kognitiven Fähigkeiten der nächsten Generationen, die Sicherung ihrer Unabhängigkeit vor der Manipulation und den kommerziellen Machtansprüchen der global agierenden Tech-Unternehmen. Die meritokratischen Eliten haben das übrigens begriffen. In Eton, der Eliteschmiede Großbritanniens, wird den Schülern ab September anstelle des eigenen Smartphones ein Nokia-Handy zum Telefonieren und Schreiben von Textnachrichten zur Verfügung gestellt. Die Schul-Tablets erlauben nur den Zugang zu schulisch festgelegten Inhalten. Alle elektronischen Geräte müssen über Nacht abgegeben werden. Diese Praxis gilt auch in vielen privaten Elite-Internaten der USA. Hier wird seit 2022 im Kongress an einem Kids Online Safety Act (KOSA) gearbeitet, dessen Grundgedanken sich auch in dem in Europa geltenden Digital Service Act wiederfinden. Aber die Herren, die über Snapchat und TikTok und Meta verfügen, kümmern diese Regulierungsversuche wenig. Bisher gibt es keine beschränkenden Wirkungen für ihre Macht. Stattdessen vertieft sich in den Demokratien durch eine neue digitale Spaltung die soziale. Die Eliten sichern für sich und ihre Nachkommen die Kenntnis und den Gebrauch der analogen Formenwelt für das Nachdenken. Die Mehrheit der Mittelschichten und die Reste des prekären Proletariats verblöden zusehends im Stumpfsinn der Parallelwelten sozialer Netzwerke.

Gefahr für Demokratie und freies Denken

Mit dem Wissen um dies alles ist es vollkommen unverständlich, warum in der Bundesrepublik daran gearbeitet wird, unsere Schulen auch der Herrschaft der Techkonzerne auszuliefern. Nur Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die digital betriebene Spaltung in Kluge und Medienidioten als Gefahr für die Demokratie und das freie Denken erkannt. Er weist immer wieder auf die unverzichtbare Funktion von Rechtschreibungskompetenz hin – und wird dafür belächelt.

Die Digitalisierung des Lernens in den Schulen braucht es nicht. Wie wäre es, wenn stattdessen in die Lehrpläne aller Klassenstufen das Fach Bücherlesen eingefügt würde? Jeder Schüler muss in jedem Schuljahr verpflichtend zehn Bücher lesen. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass der öffentliche Raum dann voller jungen Menschen wäre, die Bücher lesen statt immer und überall in ihre Smartphones zu starren. Aber immerhin würde die Schule mit der Verbindlichkeit des Bücherlesens und des Darüber-Sprechens im Unterricht anfangen, die Folgen der Digitalisierung fürs Denken und Lernen zu bearbeiten. Statt die Verantwortung für den Medienkonsum der Kindern und Jugendlichen den überforderten Eltern allein zu überlassen.

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.