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Dieter Hildebrandt über die SPD-Krise"Dilettantenverein in Hessen"

Der SPD fehlt es an einer straffen Führung - sagt Dieter Hildebrandt und hat einen guten Tipp für Kurt Beck parat: Einfach ein paar Wochen untertauchen.

So etwas wie in Hessen wäre Wehner nicht passiert, meint Dieter Hildebrandt. Bild: ap
Interview von Kai Schlieter

taz: Herr Hildebrandt, müssen Kabarettisten wie Sie um ihren Berufsstand bangen, wenn die Volksvertreter künftig selbst politische Satire betreiben?

Dieter Hildebrandt: Davon spricht man schon seit 35 Jahren: Die Satire wird von den Politikern überholt. Aber sie können es nicht so gut. Ihnen fehlen die Fertigkeiten. Man sieht ja, mit welchem Dilettantismus solche Streitigkeiten wie in der hessischen SPD ausgetragen werden.

Immerhin, Beck verwirrt die eigene Partei stärker als den politischen Gegner. Ist das kein Fortschritt?

Ganz und gar nicht. Ich glaube Kurt Beck selbst ist der Verwirrte. Da kann man die anderen gar nicht mehr verwirren. Ich denke nur an den SPD-Bürgermeisterkandidaten Naumann. Wie er einen erbitterten Wahlkampf führt, um sein Prestige als SPD-Kandidat zu steigern - und dann kommt dieser Entschluss von Kurt Beck und alle Welt hat die Möglichkeit, ihm Lügen vorzuwerfen … Das kann doch nicht im Ernst von Herrn Beck beabsichtigt gewesen sein.

Sie vermuten eine Verschwörung?

Ich frage mich nur: Was wäre unter einem Fraktionsvorsitzenden in Hessen passiert, der die SPD im Griff hat. Frau Ypsilanti muss doch wissen, dass es nicht nur eine Dame gibt, die dagegen ist. Es wäre dasselbe wie in Schleswig-Holstein passiert. Nein, noch schlimmer.

Sie vermissen Herbert Wehner?

Bei Wehner wäre es so gewesen, dass nichts passiert wäre, ohne mit den Abgeordneten zu telefonieren. Sie hätten Besuch von seinem persönlichen Referenten bekommen. Und er wüsste ganz genau, wer wie abstimmt. Er hätte Frau Ypsilanti im Übrigen verboten, sich dort zur Wahl zur stellen. Das ist ein Dilettantenverein in Hessen.

Abwählen!

Ja, natürlich.

Sie kennen sich mit Dramaturgie aus. Was empfehlen Sie Kurt Beck als nächste Pointe?

Ich würde dem Beck mal vorschlagen, jetzt vier Wochen zu verschwinden und sich mit der Problematik der Linken wirklich zu befassen. Was sind die Linken überhaupt? Das sollte man mal den Menschen klar machen. Die SPD kommt nicht auf die Idee, die Menschen aufzuklären, was bei der Zwangsgründung der SED wirklich passiert ist. Da sind hundertausend Sozialdemokraten in Sibirien verschwunden, die bis jetzt nicht wieder aufgetaucht sind. Die SPD hat diese Partei immer bekämpft, während die CDU sofort umgefallen ist.

Bedrohen die Linken die SPD als Volkspartei?

In der Linken sind viele von dieser Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit. Das sind doch im Grunde ausgetretene Sozialdemokraten.

Könnte es nicht sein, dass Beck furios unterschätzt wird? Er schreibt 2009 ab, die SPD macht Opposition - und die Linke wird damit überflüssig.

Ich müsste ihn mal fragen, ob er denn wirklich glaubt, dass er gegen Frau Merkel eine Chance hat. Die wird für meine Begriffe wiedergewählt. Vielleicht sollte er erst 2013 ins Rennen gehen. Vielleicht ist inzwischen Klaus Wowereit so weit.

Frau Metzger ist ihrem Namen im Fall Ypsilanti gerecht geworden. Sollte die SPD von Parteiausschlüssen rigoroser Gebrauch machen?

Das verändert ja gar nichts. Warum soll man diese arme Frau, die irgendjemand überredet hat, mutig zu sein, ausschließen. Vielleicht sollte man ihre Begründung mal akzeptieren. Ich würde diese Frau nicht veralbern. Sie hat gemacht, was sie machen musste.

Aber Sie sehnen sich nach einem Wehner. Braucht die SPD mehr Autorität?

Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion: genau! So war die SPD in den Zeiten ihrer größten Erfolge organisiert.

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30 Kommentare

 / 
  • HO
    Horst Ostendorf

    Zitat Dieter Hildebrandt: "Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion: genau! So war die SPD in den Zeiten ihrer größten Erfolge organisiert."

     

    Wieder verwirrt ob der Vergangenheit Herr Hildebrandt, oder wie kann man die taktisch-organisierten Symptome / "sozialen Errungenschaften" des "Wirtschaftswunders" noch immer als Erfolge werten???

     

    Straff geführt, immer ganz im Sinne des stets nur zeitgeistlich-reformistischen Systems von Ausbeutung und Unterdrückung / Angst und Gewalt, war bisher immer nur die systemrationale Bewußtseinsbetäubung für die konsumautistisch-konfusionierte Gesellschaft, wenn der menschenUNwürdige Wettbewerb die jeweils "freiheitlichen" Illusionen nach Gutsherrenart ... - und im Sinne dieser Kommunikation, habe ich ihre Satire auch immer verstanden.

     

    Die Ursache aller Probleme ist, seit der "Vertreibung aus dem Paradies", der menschenUNwürdige Wettbewerb um das "Recht des Stärkeren" (Dümmeren) - und nachdem sich dieser mit Ende des Kalten Krieges vom Stumpfsinn zum Wahnsinn entwickelt hat, ist das Selbstbewußtsein zu "individualbewußtem" Kommunikationsmüll doch kein Wunder!?

  • MW
    Maria W.

    Also ich würde Wehner ja nicht glorifizieren: gegen Chaoten ist eben kein Kraut gewachsen (und damit meine ich Frau Metzger) - weder damals noch heute.

     

    Die Frage, ob es sich beim Verhalten von Frau Metzger schlicht um Dummheit oder Böswilligkeit gehandelt hat, wird sich nie klären lassen. Oder fällt jemandem eine andere Begründung dafür ein, dass sie einfach nicht bei der Sitzung war?

     

    Aber auf eines würde ich mich trauen zu wetten: nach dem Auftritt hätte Wehner sie sofort aus seiner Fraktion geworfen.

  • PB
    Peter Bies

    Schnell reagiert und Fehler korrigiert!

    Brav.

    Danke!

  • Y
    Yvifine

    Dass Frau Metzger überredet werden musste, mutig zu sein, halte ich für eine Erfindung.

    Ich danke der Dame dafür, dass sie den Wähler nicht für dumm verkauft.

  • SF
    Sven Friedrich Eicher

    Es ist schon erstaunlich, dass in der veröffentlichten Meinung über die wahren Beweggründe von Frau Metzger nichts zu lesen ist. Frau Metzger ist, und das sagt sie selbst, Lobbyistin, konkret Mitglied im Aufsichtsrat von RWE, einem Energieversorger. Auch Herr Clement ist Mitglied in einem ähnlichen Aufsichtsrat. Beides gemeinsam ist, dass sie die von einer (gar nicht vorhandenen) rot-grünen Mehrheit in Aussicht gestellte Energiewende verhindern wollen. Clement hat deshalb von der Wahl Frau Ypsilantis pauschal abgeraten. Frau Metzger bemüht die Linken, weil sie 1961 (als 2-Jährige) miterleben musste, wie ihre Familie durch die Mauer getrennt wurde. Sie schlägt den Sack (die Linke), aber sie meint den Esel (die linke Spitzenkandidatin). Zum Wortbruch sei der heute allseits geschätzte erste (!) Kanzler der BRD Konrad Adenauer zitiert: Was schert mich von Geschwätz von gestern. So sind eben die geschichtlichen Vorgaben. Die Nokia-Manager stehen dagegen ganz fest zu ihrem gegebenen Wort.

  • FM
    Frank M.

    "Ob man Wahlversprechen hält oder bricht ist nun einmal eine Frage des Gewissens."

     

    Zweifelsohne. Ich persönlich - und ich denke, da spreche ich den meisten Leuten in Deutschland aus dem Herzen - würde mich freuen, wenn vorher weniger versprochen und nachher mehr gehalten würde. Aber dieser derzeitig so gern kritisierte "Wortbruch" ist albern. Klar, das Geschrei gehört zu den taktischen Spielchen, macht aber seinerseits nichts besser. Mittlerweile dürfte sich herumgesprochen haben, dass Wahlversprechen das eine sind, das, was am Ende - also nach dem Ringen mit dem Koalitionspartner, der Opposition und der Öffentlichkeit - herauskommt, das andere. Es stände den Politikern gut zu Gesicht, wenn sie mal ehrlich darin wären, die politische Wirklichkeit zu schildern.

     

    Dass der Zickzackkurs in Hessen allerdings in der Tat sehr dilettantisch anmutet, darf und sollte kritisiert werden. Dann aber bitte sachgerecht und nicht so öde moralisierend, wie es von so vielen Seiten derzeit kommt.

  • AZ
    anke zoeckel

    Haben Sie, sehr geehrte Frau H, schon einmal in einer hierarchisch strukturierten Organisation gearbeitet? Ich schon. Ich kann Ihnen versichern: Jeder, der sich bei vollem Bewusstsein führen lässt, will im Grunde ein Führer sein. Man traut sich bloß den Endsieg nicht zu. Aber vielleicht haben Sie ja Recht: Ein einzelner Despot ist immer noch besser, als hundert Despoten. Man kann ihm schließlich viel leichter aus dem Weg gehen, wenn er mal einen schlechten Tag hat...

  • JB
    Joachim Bovier

    Frei gewählte Abgeordnete sind nach der Hessischen Verfassung eben nicht imperative Befehlsempfänger einer Partei, sondern "Abgeordnete des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet." Auf sie in einer Art und Weise Druck auszuüben, wie die irre Mächtegern-Ministerpräsidentin Ypsilanti das in Hessen versucht, ist undemokratisch und rechtswidrig. Überhaupt muss die Sache doch einmal wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Ypsilanti hat doch ihr vor der Wahl mehrfach gegebenes Versprechen "niemals irgenwie mit der Linkspartei" brechen wollen. Angeprangert wird von den Genossen aber die Abgeordnete Dagmar Metzger, die nach der Wahl sich an das hält, was sie vor der Wahl gesagt hat. Wer lügt also, wer ist ehrlich? Ob man Wahlversprechen hält oder bricht ist nun einmal eine Frage des Gewissens. Daran ändert auch der Zynismus von Herrn Hildebrandt nicht. Der tapferen Frau aus Darmstadt jedenfalls gebührt Respekt und Anerkennung.

  • EH
    Eva H.

    "Ich glaube nicht, dass die SPD zu wenig Führer hat. Im Gegenteil: Sie hat entschieden zu viele."

     

    Hieß es nicht, "Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion"? Denn ein straffer Anführer verdrängt die vielen Aufstrebenden doch.

  • AZ
    anke zoeckel

    Nanu? So autoritär heute, Herr Hildebrandt? Unter dem letzten wirklich großen Führer der Deutschen, nicht wahr, sind noch weit mehr Leute spurlos in Sibirien verschwunden, als mit Gründung der SED, erinnern Sie sich?

     

    Ich glaube nicht, dass die SPD zu wenig Führer hat. Im Gegenteil: Sie hat entschieden zu viele. Es kann einen schon irritieren, nehme ich an, wenn man erst mit lautem Tamtam zum großen Vorsitzenden gewählt und anschließend aus der Deckung heraus beschossen wird. Dann fragt man sich doch sicher unwillkürlich: Waren das jetzt der und der oder dieser und jener? Sind es am Ende gar die selben gewesen, oder doch nur die gleichen? Vor allem aber fragt man sich: Was mache ich überhaupt hier?

     

    Eigentlich sollte man ja annehmen, dass dem Ex-MP Kurt Beck die Spielregeln vertraut sind, die in der modernen Politik gelten. Und offenbar weiß er ja auch: Man lässt heute nicht mehr den Diktator raushängen. Führen bedeutet in erster Linie, ein Gefühl zu vermitteln. Das Gefühl nämlich, man wolle genau da hin, wohin auch die Geführten gern wollen ? bloß entschieden schneller. Schlimm, wenn dann ein Teil der Geführten unbedingt nach rechts und ein anderer partout nach links strebt. Ich glaube, jetzt weiß ich, wieso sich die Monogamie letztlich durchgesetzt hat. Selbst unter Frauen.

     

    Apropos: Die Bildzeitung, hört man, würde Frau Metzger gern einen Orden verleihen, wenn sie (die Bild, nicht die Metzger) die SPD wäre. Ich glaube, das wäre dann doch ein ganz klein wenig zu viel der Ehre. Die gute Frau steckt womöglich einfach noch in den tollen alten 70-ern fest. Damals hielt man ja nicht mehr gar so viel von der Treue. Ein Scheidungsgrund ist Untreue aber heutzutage nicht mehr. Heute braucht man überhaupt keine Gründe mehr für eine Trennung. Ebenso wenig, wie man für eine Ehe welche braucht. Man braucht für beides nur noch ein sehr starkes Bauchgefühl, und von Bauchgefühlen, das muss ich zugeben, versteht die Bild-Zeitung etwas.

  • HO
    Horst Ostendorf

    Zitat Dieter Hildebrandt: "Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion: genau! So war die SPD in den Zeiten ihrer größten Erfolge organisiert."

     

    Wieder verwirrt ob der Vergangenheit Herr Hildebrandt, oder wie kann man die taktisch-organisierten Symptome / "sozialen Errungenschaften" des "Wirtschaftswunders" noch immer als Erfolge werten???

     

    Straff geführt, immer ganz im Sinne des stets nur zeitgeistlich-reformistischen Systems von Ausbeutung und Unterdrückung / Angst und Gewalt, war bisher immer nur die systemrationale Bewußtseinsbetäubung für die konsumautistisch-konfusionierte Gesellschaft, wenn der menschenUNwürdige Wettbewerb die jeweils "freiheitlichen" Illusionen nach Gutsherrenart ... - und im Sinne dieser Kommunikation, habe ich ihre Satire auch immer verstanden.

     

    Die Ursache aller Probleme ist, seit der "Vertreibung aus dem Paradies", der menschenUNwürdige Wettbewerb um das "Recht des Stärkeren" (Dümmeren) - und nachdem sich dieser mit Ende des Kalten Krieges vom Stumpfsinn zum Wahnsinn entwickelt hat, ist das Selbstbewußtsein zu "individualbewußtem" Kommunikationsmüll doch kein Wunder!?

  • MW
    Maria W.

    Also ich würde Wehner ja nicht glorifizieren: gegen Chaoten ist eben kein Kraut gewachsen (und damit meine ich Frau Metzger) - weder damals noch heute.

     

    Die Frage, ob es sich beim Verhalten von Frau Metzger schlicht um Dummheit oder Böswilligkeit gehandelt hat, wird sich nie klären lassen. Oder fällt jemandem eine andere Begründung dafür ein, dass sie einfach nicht bei der Sitzung war?

     

    Aber auf eines würde ich mich trauen zu wetten: nach dem Auftritt hätte Wehner sie sofort aus seiner Fraktion geworfen.

  • PB
    Peter Bies

    Schnell reagiert und Fehler korrigiert!

    Brav.

    Danke!

  • Y
    Yvifine

    Dass Frau Metzger überredet werden musste, mutig zu sein, halte ich für eine Erfindung.

    Ich danke der Dame dafür, dass sie den Wähler nicht für dumm verkauft.

  • SF
    Sven Friedrich Eicher

    Es ist schon erstaunlich, dass in der veröffentlichten Meinung über die wahren Beweggründe von Frau Metzger nichts zu lesen ist. Frau Metzger ist, und das sagt sie selbst, Lobbyistin, konkret Mitglied im Aufsichtsrat von RWE, einem Energieversorger. Auch Herr Clement ist Mitglied in einem ähnlichen Aufsichtsrat. Beides gemeinsam ist, dass sie die von einer (gar nicht vorhandenen) rot-grünen Mehrheit in Aussicht gestellte Energiewende verhindern wollen. Clement hat deshalb von der Wahl Frau Ypsilantis pauschal abgeraten. Frau Metzger bemüht die Linken, weil sie 1961 (als 2-Jährige) miterleben musste, wie ihre Familie durch die Mauer getrennt wurde. Sie schlägt den Sack (die Linke), aber sie meint den Esel (die linke Spitzenkandidatin). Zum Wortbruch sei der heute allseits geschätzte erste (!) Kanzler der BRD Konrad Adenauer zitiert: Was schert mich von Geschwätz von gestern. So sind eben die geschichtlichen Vorgaben. Die Nokia-Manager stehen dagegen ganz fest zu ihrem gegebenen Wort.

  • FM
    Frank M.

    "Ob man Wahlversprechen hält oder bricht ist nun einmal eine Frage des Gewissens."

     

    Zweifelsohne. Ich persönlich - und ich denke, da spreche ich den meisten Leuten in Deutschland aus dem Herzen - würde mich freuen, wenn vorher weniger versprochen und nachher mehr gehalten würde. Aber dieser derzeitig so gern kritisierte "Wortbruch" ist albern. Klar, das Geschrei gehört zu den taktischen Spielchen, macht aber seinerseits nichts besser. Mittlerweile dürfte sich herumgesprochen haben, dass Wahlversprechen das eine sind, das, was am Ende - also nach dem Ringen mit dem Koalitionspartner, der Opposition und der Öffentlichkeit - herauskommt, das andere. Es stände den Politikern gut zu Gesicht, wenn sie mal ehrlich darin wären, die politische Wirklichkeit zu schildern.

     

    Dass der Zickzackkurs in Hessen allerdings in der Tat sehr dilettantisch anmutet, darf und sollte kritisiert werden. Dann aber bitte sachgerecht und nicht so öde moralisierend, wie es von so vielen Seiten derzeit kommt.

  • AZ
    anke zoeckel

    Haben Sie, sehr geehrte Frau H, schon einmal in einer hierarchisch strukturierten Organisation gearbeitet? Ich schon. Ich kann Ihnen versichern: Jeder, der sich bei vollem Bewusstsein führen lässt, will im Grunde ein Führer sein. Man traut sich bloß den Endsieg nicht zu. Aber vielleicht haben Sie ja Recht: Ein einzelner Despot ist immer noch besser, als hundert Despoten. Man kann ihm schließlich viel leichter aus dem Weg gehen, wenn er mal einen schlechten Tag hat...

  • JB
    Joachim Bovier

    Frei gewählte Abgeordnete sind nach der Hessischen Verfassung eben nicht imperative Befehlsempfänger einer Partei, sondern "Abgeordnete des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet." Auf sie in einer Art und Weise Druck auszuüben, wie die irre Mächtegern-Ministerpräsidentin Ypsilanti das in Hessen versucht, ist undemokratisch und rechtswidrig. Überhaupt muss die Sache doch einmal wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Ypsilanti hat doch ihr vor der Wahl mehrfach gegebenes Versprechen "niemals irgenwie mit der Linkspartei" brechen wollen. Angeprangert wird von den Genossen aber die Abgeordnete Dagmar Metzger, die nach der Wahl sich an das hält, was sie vor der Wahl gesagt hat. Wer lügt also, wer ist ehrlich? Ob man Wahlversprechen hält oder bricht ist nun einmal eine Frage des Gewissens. Daran ändert auch der Zynismus von Herrn Hildebrandt nicht. Der tapferen Frau aus Darmstadt jedenfalls gebührt Respekt und Anerkennung.

  • EH
    Eva H.

    "Ich glaube nicht, dass die SPD zu wenig Führer hat. Im Gegenteil: Sie hat entschieden zu viele."

     

    Hieß es nicht, "Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion"? Denn ein straffer Anführer verdrängt die vielen Aufstrebenden doch.

  • AZ
    anke zoeckel

    Nanu? So autoritär heute, Herr Hildebrandt? Unter dem letzten wirklich großen Führer der Deutschen, nicht wahr, sind noch weit mehr Leute spurlos in Sibirien verschwunden, als mit Gründung der SED, erinnern Sie sich?

     

    Ich glaube nicht, dass die SPD zu wenig Führer hat. Im Gegenteil: Sie hat entschieden zu viele. Es kann einen schon irritieren, nehme ich an, wenn man erst mit lautem Tamtam zum großen Vorsitzenden gewählt und anschließend aus der Deckung heraus beschossen wird. Dann fragt man sich doch sicher unwillkürlich: Waren das jetzt der und der oder dieser und jener? Sind es am Ende gar die selben gewesen, oder doch nur die gleichen? Vor allem aber fragt man sich: Was mache ich überhaupt hier?

     

    Eigentlich sollte man ja annehmen, dass dem Ex-MP Kurt Beck die Spielregeln vertraut sind, die in der modernen Politik gelten. Und offenbar weiß er ja auch: Man lässt heute nicht mehr den Diktator raushängen. Führen bedeutet in erster Linie, ein Gefühl zu vermitteln. Das Gefühl nämlich, man wolle genau da hin, wohin auch die Geführten gern wollen ? bloß entschieden schneller. Schlimm, wenn dann ein Teil der Geführten unbedingt nach rechts und ein anderer partout nach links strebt. Ich glaube, jetzt weiß ich, wieso sich die Monogamie letztlich durchgesetzt hat. Selbst unter Frauen.

     

    Apropos: Die Bildzeitung, hört man, würde Frau Metzger gern einen Orden verleihen, wenn sie (die Bild, nicht die Metzger) die SPD wäre. Ich glaube, das wäre dann doch ein ganz klein wenig zu viel der Ehre. Die gute Frau steckt womöglich einfach noch in den tollen alten 70-ern fest. Damals hielt man ja nicht mehr gar so viel von der Treue. Ein Scheidungsgrund ist Untreue aber heutzutage nicht mehr. Heute braucht man überhaupt keine Gründe mehr für eine Trennung. Ebenso wenig, wie man für eine Ehe welche braucht. Man braucht für beides nur noch ein sehr starkes Bauchgefühl, und von Bauchgefühlen, das muss ich zugeben, versteht die Bild-Zeitung etwas.

  • HO
    Horst Ostendorf

    Zitat Dieter Hildebrandt: "Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion: genau! So war die SPD in den Zeiten ihrer größten Erfolge organisiert."

     

    Wieder verwirrt ob der Vergangenheit Herr Hildebrandt, oder wie kann man die taktisch-organisierten Symptome / "sozialen Errungenschaften" des "Wirtschaftswunders" noch immer als Erfolge werten???

     

    Straff geführt, immer ganz im Sinne des stets nur zeitgeistlich-reformistischen Systems von Ausbeutung und Unterdrückung / Angst und Gewalt, war bisher immer nur die systemrationale Bewußtseinsbetäubung für die konsumautistisch-konfusionierte Gesellschaft, wenn der menschenUNwürdige Wettbewerb die jeweils "freiheitlichen" Illusionen nach Gutsherrenart ... - und im Sinne dieser Kommunikation, habe ich ihre Satire auch immer verstanden.

     

    Die Ursache aller Probleme ist, seit der "Vertreibung aus dem Paradies", der menschenUNwürdige Wettbewerb um das "Recht des Stärkeren" (Dümmeren) - und nachdem sich dieser mit Ende des Kalten Krieges vom Stumpfsinn zum Wahnsinn entwickelt hat, ist das Selbstbewußtsein zu "individualbewußtem" Kommunikationsmüll doch kein Wunder!?

  • MW
    Maria W.

    Also ich würde Wehner ja nicht glorifizieren: gegen Chaoten ist eben kein Kraut gewachsen (und damit meine ich Frau Metzger) - weder damals noch heute.

     

    Die Frage, ob es sich beim Verhalten von Frau Metzger schlicht um Dummheit oder Böswilligkeit gehandelt hat, wird sich nie klären lassen. Oder fällt jemandem eine andere Begründung dafür ein, dass sie einfach nicht bei der Sitzung war?

     

    Aber auf eines würde ich mich trauen zu wetten: nach dem Auftritt hätte Wehner sie sofort aus seiner Fraktion geworfen.

  • PB
    Peter Bies

    Schnell reagiert und Fehler korrigiert!

    Brav.

    Danke!

  • Y
    Yvifine

    Dass Frau Metzger überredet werden musste, mutig zu sein, halte ich für eine Erfindung.

    Ich danke der Dame dafür, dass sie den Wähler nicht für dumm verkauft.

  • SF
    Sven Friedrich Eicher

    Es ist schon erstaunlich, dass in der veröffentlichten Meinung über die wahren Beweggründe von Frau Metzger nichts zu lesen ist. Frau Metzger ist, und das sagt sie selbst, Lobbyistin, konkret Mitglied im Aufsichtsrat von RWE, einem Energieversorger. Auch Herr Clement ist Mitglied in einem ähnlichen Aufsichtsrat. Beides gemeinsam ist, dass sie die von einer (gar nicht vorhandenen) rot-grünen Mehrheit in Aussicht gestellte Energiewende verhindern wollen. Clement hat deshalb von der Wahl Frau Ypsilantis pauschal abgeraten. Frau Metzger bemüht die Linken, weil sie 1961 (als 2-Jährige) miterleben musste, wie ihre Familie durch die Mauer getrennt wurde. Sie schlägt den Sack (die Linke), aber sie meint den Esel (die linke Spitzenkandidatin). Zum Wortbruch sei der heute allseits geschätzte erste (!) Kanzler der BRD Konrad Adenauer zitiert: Was schert mich von Geschwätz von gestern. So sind eben die geschichtlichen Vorgaben. Die Nokia-Manager stehen dagegen ganz fest zu ihrem gegebenen Wort.

  • FM
    Frank M.

    "Ob man Wahlversprechen hält oder bricht ist nun einmal eine Frage des Gewissens."

     

    Zweifelsohne. Ich persönlich - und ich denke, da spreche ich den meisten Leuten in Deutschland aus dem Herzen - würde mich freuen, wenn vorher weniger versprochen und nachher mehr gehalten würde. Aber dieser derzeitig so gern kritisierte "Wortbruch" ist albern. Klar, das Geschrei gehört zu den taktischen Spielchen, macht aber seinerseits nichts besser. Mittlerweile dürfte sich herumgesprochen haben, dass Wahlversprechen das eine sind, das, was am Ende - also nach dem Ringen mit dem Koalitionspartner, der Opposition und der Öffentlichkeit - herauskommt, das andere. Es stände den Politikern gut zu Gesicht, wenn sie mal ehrlich darin wären, die politische Wirklichkeit zu schildern.

     

    Dass der Zickzackkurs in Hessen allerdings in der Tat sehr dilettantisch anmutet, darf und sollte kritisiert werden. Dann aber bitte sachgerecht und nicht so öde moralisierend, wie es von so vielen Seiten derzeit kommt.

  • AZ
    anke zoeckel

    Haben Sie, sehr geehrte Frau H, schon einmal in einer hierarchisch strukturierten Organisation gearbeitet? Ich schon. Ich kann Ihnen versichern: Jeder, der sich bei vollem Bewusstsein führen lässt, will im Grunde ein Führer sein. Man traut sich bloß den Endsieg nicht zu. Aber vielleicht haben Sie ja Recht: Ein einzelner Despot ist immer noch besser, als hundert Despoten. Man kann ihm schließlich viel leichter aus dem Weg gehen, wenn er mal einen schlechten Tag hat...

  • JB
    Joachim Bovier

    Frei gewählte Abgeordnete sind nach der Hessischen Verfassung eben nicht imperative Befehlsempfänger einer Partei, sondern "Abgeordnete des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet." Auf sie in einer Art und Weise Druck auszuüben, wie die irre Mächtegern-Ministerpräsidentin Ypsilanti das in Hessen versucht, ist undemokratisch und rechtswidrig. Überhaupt muss die Sache doch einmal wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Ypsilanti hat doch ihr vor der Wahl mehrfach gegebenes Versprechen "niemals irgenwie mit der Linkspartei" brechen wollen. Angeprangert wird von den Genossen aber die Abgeordnete Dagmar Metzger, die nach der Wahl sich an das hält, was sie vor der Wahl gesagt hat. Wer lügt also, wer ist ehrlich? Ob man Wahlversprechen hält oder bricht ist nun einmal eine Frage des Gewissens. Daran ändert auch der Zynismus von Herrn Hildebrandt nicht. Der tapferen Frau aus Darmstadt jedenfalls gebührt Respekt und Anerkennung.

  • EH
    Eva H.

    "Ich glaube nicht, dass die SPD zu wenig Führer hat. Im Gegenteil: Sie hat entschieden zu viele."

     

    Hieß es nicht, "Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion"? Denn ein straffer Anführer verdrängt die vielen Aufstrebenden doch.

  • AZ
    anke zoeckel

    Nanu? So autoritär heute, Herr Hildebrandt? Unter dem letzten wirklich großen Führer der Deutschen, nicht wahr, sind noch weit mehr Leute spurlos in Sibirien verschwunden, als mit Gründung der SED, erinnern Sie sich?

     

    Ich glaube nicht, dass die SPD zu wenig Führer hat. Im Gegenteil: Sie hat entschieden zu viele. Es kann einen schon irritieren, nehme ich an, wenn man erst mit lautem Tamtam zum großen Vorsitzenden gewählt und anschließend aus der Deckung heraus beschossen wird. Dann fragt man sich doch sicher unwillkürlich: Waren das jetzt der und der oder dieser und jener? Sind es am Ende gar die selben gewesen, oder doch nur die gleichen? Vor allem aber fragt man sich: Was mache ich überhaupt hier?

     

    Eigentlich sollte man ja annehmen, dass dem Ex-MP Kurt Beck die Spielregeln vertraut sind, die in der modernen Politik gelten. Und offenbar weiß er ja auch: Man lässt heute nicht mehr den Diktator raushängen. Führen bedeutet in erster Linie, ein Gefühl zu vermitteln. Das Gefühl nämlich, man wolle genau da hin, wohin auch die Geführten gern wollen ? bloß entschieden schneller. Schlimm, wenn dann ein Teil der Geführten unbedingt nach rechts und ein anderer partout nach links strebt. Ich glaube, jetzt weiß ich, wieso sich die Monogamie letztlich durchgesetzt hat. Selbst unter Frauen.

     

    Apropos: Die Bildzeitung, hört man, würde Frau Metzger gern einen Orden verleihen, wenn sie (die Bild, nicht die Metzger) die SPD wäre. Ich glaube, das wäre dann doch ein ganz klein wenig zu viel der Ehre. Die gute Frau steckt womöglich einfach noch in den tollen alten 70-ern fest. Damals hielt man ja nicht mehr gar so viel von der Treue. Ein Scheidungsgrund ist Untreue aber heutzutage nicht mehr. Heute braucht man überhaupt keine Gründe mehr für eine Trennung. Ebenso wenig, wie man für eine Ehe welche braucht. Man braucht für beides nur noch ein sehr starkes Bauchgefühl, und von Bauchgefühlen, das muss ich zugeben, versteht die Bild-Zeitung etwas.