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Archiv-Artikel

Diese Frau ist kein Opfer

Muss Hillary Clinton als Frau den Kürzeren ziehen? Vor allem Feministinnen glauben das. Doch der US-Vorwahlkampf erschüttert solche Klischees über die Arithmetik der Macht

Barack Obama kann an die US-Tradition des charismatischen männlichen Führers anschließen Alter und Herkunft zählen genauso wie „Gender“ und „Race“. Darum baut Clinton auf ihre „Erfahrung“

Warum sind gerade feministisch orientierte Kommentatorinnen so häufig schon jetzt felsenfest davon überzeugt, dass Hillary Clinton gegen Barack Obama keine Chance hat? Immerhin hat auch der letzte Etappensieg Clintons in den Bundesstaaten Ohio, Texas und Rhode Island gezeigt, dass die Wähler sich gar nicht in erster Linie an der Frage Frau versus Mann, Schwarz versus Weiß orientieren. In Ohio etwa votierte geschlechterübergreifend vor allem die Arbeiterklasse für die ehemalige First Lady.

„Nur Frauen, die fest im konservativen Lager verankert sind, werden in die höchsten Staatsämter gewählt“, erklärte unlängst die Literaturwissenschaftlerin Cornelia Klinger die Schwierigkeiten der Hillary Clinton im Deutschlandradio – siehe Margret Thatcher, Angela Merkel, Benazir Bhutto. Hillary Clintons Handicap sei, dass man ihr Veränderungen zutrauen würde, nicht zuletzt zugunsten von Frauen. Ihr Reformwille macht sie demnach letztlich unwählbar.

Dass Barack Obama so viele begeistert, weil er der Hoffnung auf Veränderung eine bessere Projektionsfläche bietet als die im Establishment fest verankerte Ex-First-Lady, beirrt Klinger in ihrem Pessimismus nicht. Auch nicht, dass Clinton zwar erhebliche Schlappen erlitt, nie aber aus dem Rennen war. Letztlich entscheide das Geschlecht – und zwar verlässlich zu Ungunsten von Frauen, so das Lamento. Auch in der New York Times postulierte Gloria Steinem bereits im Januar, dass „Gender“ in den USA nach wie vor die restriktivste Macht sei. Ihr Kommentar war mit der Schlagzeile „Frauen werden niemals Spitzenkandidaten“ überschrieben.

Da scheint der Wille, die komplexe politische Situation in den USA in den Blick zu nehmen, doch ein wenig geschwächt. Zum einen hat Clinton als Tochter eines erfolgreichen Textilunternehmers bereits öfter als erste Frau den Fuß in reine Männerdomänen bekommen, folglich die These von der Unantastbarkeit männlicher Hegemonie Lügen gestraft. Clinton wurde 1975 der erste weibliche Partner in der traditionsreichen Kanzlei Law Rose Firm, als ehrgeizige First Lady der USA ließ sie sich als Erste nicht aufs Keksebacken festlegen. Nicht umsonst stilisierte Clinton Erfahrung und Kampfeswillen zu ihrem Aushängeschild, und die sind heute beides: ihr Kapital und ihr Handicap. Ihre Bereitschaft, die Gesellschaft partiell zu verändern, ist demgegenüber nachrangig.

Gleichzeitig basiert die Unterstützung für den ersten schwarzen Senator (es gibt 13 weibliche), keineswegs nur darauf, dass Obama ein Mann ist. Wichtiger ist, dass er in kein Stereotyp passt und gerade dadurch überrascht. Obama ist der jüngste Kandidat und ein politischer Außenseiter mit staatstragendem Habitus, ein begnadeter Redner, der seinem Populismus durch Eleganz doch gewisse Grenzen setzt. Zusätzlich ist er unverkennbar ein hochgewachsener schwarzer Mann (wenn auch nicht allzu dunkel), doch ohne Ghetto-Allüren, nichtsdestoweniger sexy und sensibel für rassistische Diskriminierung. Last but not least hat er eine selbstbewusste, gebildete Frau sowie eine ordentliche Familie. Auf diese Weise verheißt Obama für viele und lagerübergreifend die Möglichkeit auf ein sich solide wandelndes Amerika: „Change“.

Natürlich spielt in einer Schlacht, die sich vor allem um Imagefragen und nicht um politische Programme dreht, die „Gender“-Frage eine Rolle. Doch da es auch noch nie einen schwarzen Präsidenten gegeben hat, lässt sich die Trennlinie zwischen den beiden aktuellen Konkurrenten nicht so geradlinig ziehen zwischen dem Mann– als Profiteur bestehender Machtverhältnisse – und der Frau als Leidtragender derselben. Stattdessen haben wir es mit einer Situation zu tun, die bislang gültige Identitätsraster aufbricht und relativiert. Der Vorwahlkampf hat es gezeigt: Sich weder auf weibliche oder schwarze „Tugenden“ noch auf eine Außenseiterposition festlegen zu lassen, hat erheblich dazu beigetragen, dass beide demokratischen Kandidaten aktuell eine realistische Chance auf die Präsidentschaft haben.

Die Annahme, dass das weibliches Geschlecht ein unüberwindliches Handicap darstelle, weil am Ende immer der Mann über die Frau siege, wirft nämlich folgendes Problem auf: Man läuft Gefahr, Widersprüche auszublenden, die in bestimmten Situationen durchaus zugunsten von Frauen arbeiten können: so etwa jetzt, wenn ein weißer Cowboy-Präsident das Land in eine gravierende Wirtschaftskrise geführt hat. Deshalb wird gegenwärtig jeder, der nicht an den Habitus von Bush erinnert, erst mal als positiv wahrgenommen.

Natürlich profitiert auch Obama von den Verfehlungen der Bush-Administration. Doch sollte er gewinnen, dann vor allem deshalb, weil er in seiner Selbstinszenierung bislang irrsinnig wenig Fehler gemacht –und nicht, weil er ein Mann ist. Um also zu vermeiden, dass historische Erfahrungen sich in einen entpolitisierten Fatalismus wandelt, gilt es Geschlecht und Hautfarbe mit den Faktoren zu „verrechnen“, die de facto die Stellung einer Person in der Gesellschaft an erster Stelle bestimmen: Geld, Alter, Herkunft, Bildung, das Aussehen. Ansonsten werden tradierte Machtverhältnisse vorschnell zementiert.

Sollte Clinton am Ende verlieren, dann habe das „mit verschenkten Ressourcen“ zu tun, mit dem „losen Mundwerk des Gatten“ und „arroganten Strategen“, die die Bedrohung durch Obama unterschätzt haben – diese Erklärung bietet Ruth Marcus in der Washington Post in ihrer Analyse der jüngsten Vorwahlen an. Gleichzeitig negiert sie keineswegs die Probleme, die sich für Clinton ergeben, da sie als erste Frau das weltweit mächtigste politische Amt für sich reklamiert. „Obamas Erfolg“, so Markus, „rührt zu einem Großteil von seiner Rhetorik her, die inspiriert und überredet. Mit einer Frau in dieser Rolle hat das Land keinerlei Erfahrung.“

Clinton kann nicht an die Tradition des charismatischen männlichen Führers anschließen, Obama schon – trotz seiner Hautfarbe und der Hypothek einer muslimischen Verwandtschaft. Clinton hingegen muss auf ihre Verankerung im politischen Establishment, mithin auf ihre Erfahrung verweisen, um dieses Manko, diese Lücke zu überbrücken und sich einzureihen in die großen Namen der US-Nation. Ihre offenkundige Verbindung zu Bill Clinton und zur US-amerikanischen Elite hat ihr dabei bislang einen guten Dienst erwiesen.

Obwohl noch nichts entschieden ist, erleben wir eine bislang ungekannte Offenheit – für Frauen aus dem weißen Establishment und für schwarze Männer, die mit Überraschungen aufwarten können. Daraus lässt sich symbolisches Kapital schlagen. Und das wiederum eröffnet Chancen auf eine gesellschaftliche Teilhabe. Es wäre fahrlässig, dies mit einem schlichten Opferdiskurs zuzuschütten.

John McCain, der alte weiße Mann, der im Schatten von Clinton und Obama die Lanze für die Werteordnung des 20. Jahrhunderts bricht, repräsentiert schließlich noch viele, viele wahlberechtigte Menschen.

INES KAPPERT

Fotohinweis:Ines Kappert ist Redakteurin im Meinungsressort der taz und Literaturwissenschaftlerin. Demnächst erscheint ihr Buch „Der Mann in der Krise. Eine konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream“ (transcript verlag).