: Diepgen und die Aldi-Auto-Anti-Asyl-Bürgerwehr
■ Wie der Ex-Regierende versucht, mit dubiosen Partnern, ausländerfeindlichen Sprüchen und Hardcore-Rhetorik wieder ganz nach oben zu kommen / Ein Geschaßter wird zum rechten Volkstribun / Mehr Polizei als Allheilmittel
Schöneberg. Beispielsweise werden die großen Trupps bettelnder Zigeuner aus Rumänien, die trotz sozialer Grundabsicherung in unserer Stadt das Betteln zum Hauptberuf gemacht haben, zunehmend unerträglicher. Dadurch wird die Lebensqualität in einzelnen Straßenzügen und Vierteln deutlich vermindert. Eberhard Diepgen, christdemokratischer Ex-Metropolenfilialleiter will wieder ans Ruder. Dorthin, wo jetzt ausgerechnet ein Sozi Geschichte machen darf. Schwer zu ertragen, deshalb sind Diepgen alle demagogischen Mittel recht. So ging es immer haarscharf vorbei am offenen Rassismus, an der Forderung nach dem totalen Polizeistaat und der Autofahrerdiktatur, als Diepgen am Mittwoch abend vor dem Schöneberger Rathaus zu den AnhängerInnen der „Bürgerinitiative Berlin“ sprach. Die Organisation mit dem alternativ klingenden Namen ist mehr oder weniger identisch mit den Avus-Tempolimit-Gegnern und den Leuten von der Anti-Polenmarkt-Initiative. Sie fordert baldige Neuwahlen in Berlin, noch vor gesamtdeutschen Wahlen. Für ein Volksbegehren will die Initiative angeblich schon 70.000 von notwendigen 80.000 Unterschriften gesammelt haben.
Den mehreren Hundert ZuhörerInnen - junge untere Mittelschicht von rechter CDU/JU über „Republikaner“ bis zur NPD - strich Diepgen Honig um den Bart, obwohl er sich noch Tage zuvor in der Abendschau von der Bürgerinitiative distanziert hatte. Doch mit dem Daimlerstreit wittert er beste Chancen: jetzt muß endlich Schluß sein mit dem rot -grünen Schikanat. Ausländische Jugendbanden machen Terror an den Schulen, Zigeunertrupps verunsichern Straßen und U -Bahnen, bessern mit dem Erbettelten ihre Sozialhilfe auf, Frauen müssen fest ihre Handtasche umklammern. Mehr Polizei muß her, die Freiwillige Polizeireserve, das Kalte -Kriegsrelikt, das Rot-Grün auflösen will, muß unbedingt bleiben, das ist die größte Bürgerinitiative Berlins. Und erst im Alltag: Jeder Berliner, der wirklich zu tun hat, bleibt täglich im Momper-Stau stecken, wegen Tempolimit, Busspuren und noch viel zuwenig Stadtautobahnen und Tiefgaragen. Industrie und Wissenschaft werden abgeschreckt und, noch schlimmer, dem Momper seien auch die seltsamsten Koalitionen zuzutrauen. Womit Diepgen die PDS meint.
Doch die Haupthetze und Drecksarbeit überließ der Oppositionsführer den Rednern der BI. Beispielsweise Chef -Unterschriftensammlerin Gisela Tolksdorf, die Rot-Grün der Schonung von Gesetzesbrechern und des Eingreifens in die Staatsanwaltschaften bezichtigte. Oder Klaus Dieter Pasche, ebenfalls BI, der sich über Aldi-Läden fest in polnischer Hand aufregte, über Aussiedler mit gefälschtem deutschen Stammbaum und über die Drogenhochburgen Schule, Knast und Asylantenheim. Überhaupt die Asylanten: Die lassen sich noch zwei Stunden, bevor sie ausgeflogen werden, mitten in der Nacht die Zähne neu machen auf unsere Kosten, das kostet 10.000 Mark.
Oppositionschef Diepgen hatte sich eleganter ausgedrückt: Wir können hier in Berlin nicht die Probleme der ganzen Welt lösen.
kotte
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