: Die zivilen Kriegsdienste der Frauen sind fest eingeplant
Obwohl Frauen keiner Wehrpflicht unterliegen, sind ihre zivilen Hilfsdienste — zum Beispiel als Ärztinnen und Krankenschwestern — für den Ernstfall schon per Gesetz festgeschrieben/ Gruppen in Ost und West rufen Frauen zur Kriegsdienstverweigerung auf, um ein Zeichen für den Frieden zu setzen ■ Von Ulrike Helwerth
„An den Bundesverteidigungsminister G. Stoltenberg: Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit, ebenso alle Handlanger- und Zulieferdienste. Ich bin daher nicht bereit, irgendeiner Kriegsdienstverpflichtung nach Artikel 12a, Abs.4 Grundgesetz oder nach §9a Katastrophenschutzergänzungsgesetz nachzukommen und verweigere mich daher allen zivilmilitärischen Einplanungen für diesen und kommende Vernichtungsfälle.“
Solche und ähnliche Schreiben erreichen derzeit täglich stapelweise die Bonner Hardthöhe. Absender: Frauen aus der ganzen Bundesrepublik. Mit Beginn des Golfkrieges haben Gruppen in Ost und West zu dieser Aktion aufgerufen. Allein beim Unabhängigen Frauenverband (UFV) in Berlin haben sich bislang rund tausend „Kriegsdienstverweigererinnen“ rückgemeldet. Doch im Bundesverteidigungsministerium fühlt man sich dafür nicht zuständig und schickt die Post weiter an das Innenministerium, Abteilung Katastrophenschutz. Schließlich leisten Frauen keinen Wehrdienst.
Zwar unterliegen Frauen bislang keiner Wehrpflicht und müssen noch kein „soziales Pflichtjahr“ absolvieren, aber ihre „zivilen“ Hilfsdienste für den Kriegs- und Vorkriegsfall sind bereits umfassend eingeplant und per Gesetze festgeschrieben.
Die Dienstverpflichtung von Frauen im Kriegsfall wurde von den Nationalsozialisten eingeführt. Bereits 1935, vier Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg, wurden Wehrgesetze erlassen, durch die auch Frauen „zur Dienstleistung und fürs Vaterland“ zwangsverpflichtet wurden. 1938 folgten die „Richtlinien für Beschäftigungen der Frauen im Mob(ilisierungs)fall“, mit denen die Arbeit in Wirtschaft und Verwaltung sichergestellt werden sollte, wenn die wehrfähigen Männer eingezogen wurden. 1939 wurde eine Verordnung zu Durchführung der Reicharbeitsdienstpflicht erlassen.
In der Bundesrepublik verbot das Grundgesetz (GG Art.12 Abs.3) bis Ende der sechziger Jahre eine Dienstverpflichtung von Frauen ebenso wie einen Waffendienst. Im Mai 1968 aber verabschiedete der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit die „Notstandsgesetze“, ein Bündel von Sondermaßnahmen für „Krisenzeiten“, die nicht allein innere politische Unruhen unterdrücken sollten, sondern auch der Militärisierung der gesamten Gesellschaft Vorschub leisteten. So können seit Einführung des Artikels 12a (Abs.4) des Grundgesetzes auch Frauen „im Verteidigungsfall“ zu „zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen“ verpflichtet werden. Näheres regelt das Arbeitssicherstellungsgesetz von 1968, das darüber hinaus auch Männer und Frauen an ihren Arbeitsplatz, etwa in den „lebens- und verteidigungswichtigen Behörden und Betrieben“, verpflichten kann.
Beide Gesetze berufen sich auf den „Verteidigungsfall“. Er tritt ein, wenn „das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“ und wird auf Antrag der Bundesregierung, und unter Zustimmung des Bundesrates, vom Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit ausgerufen (GG Art.115a). Ein Verteidigungsfall ist auch gegeben, wenn ein Nato- Partner, die Türkei zum Beispiel, angegriffen wird. Dann kommt es gemäß der sogenannten Nato-Klausel zum „Bündnisfall“. Allerdings können Gesetze, die für den „Verteidigungsfall“ gelten auch bereits im „Spannungsfall“ in Kraft gesetzt werden. Was ein „Spannungsfall“ ist, wird im Grundgesetz (Art.80a) jedoch nicht näher definiert. Formal festgestellt werden muß er vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit. Er kann aber auch vom Nato-Rat mit Zustimmung der Bundesregierung ausgerufen werden. Juristisch ist aber nach wie vor umstritten, ob der Bündnisfall von der Regierung oder dem Bundestag ausgerufen wird.
Doch auch vor dem — förmlich festgestellen — Verteidigungs- oder Spannungsfall können Frauen (und Männer) bereits für die „Zivilverteidigung“ dienstverpflichtet werden. Das Anfang 1990 verabschiedete Katastrophenschutzergänzungsgesetz macht's möglich: Die Katastrophenschutzbehörde kann demnach für die Bekämpfung nicht näher erläuterter „Gefahren und Schäden, die im Verteidigungsfall drohen“, Frauen und Männer zwischen 18 und 60 Jahren bis zu zehn Tagen im Vierteljahr zu nicht weiter definierten „persönlichen Hilfeleistungen“ heranziehen. Die HelferInnen können allen möglichen Organisationen und Institutionen wie etwa dem Technischen Hilfswerk oder dem Bundesgrenzschutz oder auch den Nato- Verbündeten zugewiesen werden. Aufgrund des „Wartime-Host-Nation-Support“-Abkommens von 1982 ist die Bundesrepublik ohnehin verpflichtet, den USA im „Krisenfall“ ziviles Personal zu stellen.
Die (Kriegs-)Dienstverpflichtung kann zwar grundsätzlich alle Frauen im vorgeschriebenen Alter treffen, doch stehen bestimmte Gruppen oben auf der Liste: In der Bundeswehrverwaltung arbeiten derzeit über 53.000 Frauen, das sind rund ein Drittel aller Angestellten. Wenngleich diese „zivilen“ Arbeitsplätze, im Fernmelde- und Fernschreibdienst, im logistischen oder medizinischen Bereich, nicht militärischem Oberkommando unterstellt sind, sind sie für den Militärapparat unmittelbar funktional und im Kriegsfall unverzichtbar.
In der Bundeswehr gibt es inzwischen etwa 400 Soldatinnen — Ärztinnen im Range von Sanitätsoffizierinnen und seit Mitte 1989 auch Sanitätsoffiziersanwärterinnen, die auf Kosten der Bundeswehr ein Medizinstudium absolvieren. Dafür haben sie sich 16 Jahre zum „Dienst beim Bund“ verpflichtet. Zuerst aber müssen sie die übliche militärische Grundausbildung absolvieren — auch an der Waffe. Zur „Selbstverteidigung“. 1985 stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, daß SanitätsoffizierInnen, die freiwillig zur Bundeswehr gegangen sind, kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben, da sie keinen „Kriegsdienst mit der Waffe“ leisteten.
Auch ÄrztInnen und Pflegepersonal im zivilen Bereich sind für Zwangsdienste prädestiniert. Darunter fallen auch rund 400.000 Frauen, die sich beim Deutschen Roten Kreuz, der Johanniter-Unfallhilfe oder dem Malteser-Hilfsdienst in vierwöchigen Kursen zu Schwesternhelferinnen haben ausbilden lassen. Diese Kurse gibt es seit 1961; finanziert werden sie zu 30 Prozent vom Verteidigungsministerium, 70 Prozent stammen aus den Zivilschutzgeldern des Innenministeriums. Bedingung ist, daß sich die Teilnehmerinnen, „freiwillig“ bereit erklären, „bei öffentlichen Notständen für eine pflegerische Tätigkeit zur Verfügung zu stehen“. Aussuchen können sie sich, ob sie in zivilen Krankenhäusern, Hilfskrankenhäusern oder ortsfesten Lazaretteinrichtungen der Bundeswehr eingesetzt werden wollen. „Hilfskrankenhäuser“ sind im ganzen Bundesgebiet längst geplant und vorbereitet. Personalplanungen des Deutschen Roten Kreuzes aus den siebziger Jahren sehen pro 1.000 „Hilfs“-betten 20 ÄrztInnen, 8 HilfsärztInnen, 40 Krankenschwestern und 120 Schwesternhelferinnen vor. Die Daten der Schwesternhelferinnen sind beim Arbeitsamt erfaßt und werden ständig über die ausbildenden Hilfsorganisationen aktualisiert.
Karin S., Krankenschwester in einer Berliner Klinik, hat vergangene Woche ihre „Kriegsdienstverweigerung“ an Herrn Stoltenberg nach Bonn geschickt — um ihren „zivilen Ungehorsam“ zu demonstrieren. Hinter ihr liegen heftige Diskussionen mit KollegInnen, die nicht nur den Krieg gerechtfertigt finden, sondern Karin S. auch „Unmoral“ vorwerfen, weil sie nicht bereit ist, „aufgrund militärtaktischer Überlegungen einen Soldaten auf Kosten von zivilen Patienten wieder kriegstauglich zu pflegen.“
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