Die zeozwei-Kontroverse: Unpolitisch? Unsinn!

Harald Welzer attestierte der Umweltbewegung im letzten Heft, sie sei unpolitisch. Stimmt das? Eine Antwort von Uwe Schneidewind.

Auch die Initiative für den Fahrrad-Volksentscheid in Berlin war so erfolgreich, weil sie sich clever politischer und systemischer Strategien bediente. Bild: dpa

Die Nachhaltigkeitsszene ist unpolitisch, selbstbestätigend und Teil des Problems und nicht der Lösung, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer. Ökos widerlegen das expansive Wirtschaftsprinzip nicht, sondern stärken es durch Mitmachen. Falsch, sagt Uwe Schneidewind, Chef des Wuppertal-Instituts. Es gibt eher zuviel Kritik untereinander als zu wenig, sagt Felix Ekardt, sächsischer BUND-Vorsitzender.

Die zeozwei-Kontroverse, Folge 2: Schneidewinds Replik

Der Sozialpsychologe Harald Welzer warf der Umweltbewegung in der letzten Ausgabe der zeozwei vor, sie sei „unpolitisch“. Sie rufe zwar nach umfassenden Veränderungen, schaffe es aber nicht, was sie fordere, als lebbar aufzuzeigen. Sie verharre in einem „Selbstbestätigungsdiskurs, der nicht mitgekriegt hat, dass die Katastrophenrhetorik überholt ist“. Welzer warf der Umweltbewegung außerdem vor, dass sie in einem Waggon eines Zuges gegen die Fahrtrichtung laufe, der mit Volldampf in die falsche Richtung rast: Sie stelle sich nicht wirklich den notwendigen systemischen Logiken, sondern begnüge sich mit Partiallösungen wie dem Umstieg auf regenerative Energien. Ist das wirklich so?

Ein genauer Blick zeigt, dass die moderne Umweltbewegung durchaus die systemischen Logiken im Blick hat. Doch die Art des politischen Handelns hat sich geändert und auch ändern müssen: Politik zielt auf die Regelung von Angelegenheiten des Gemeinwohls. Politisches Handeln will verbindliche Rahmen für das öffentliche Interesse schaffen. Lange passierte das im Wesentlichen über staatliche Mechanismen. Politisch zu handeln hieß daher – meist hoch organisiert –, öffentlich zu mobilisieren, Mehrheiten in und von Parteien zu gewinnen und auf dieser Grundlage mehr Umweltschutz durchzusetzen. Saubere Luft und Gewässer, bessere Anlagensicherheit bis hin zum Atomausstieg wurden so durchgesetzt.

Doch die Herausforderungen sind heute global und systemisch, sie gehen vom Betriebssystem unserer expansiven Moderne aus. Da hat Harald Welzer absolut recht. Für Antworten auf diese Dynamiken greifen nationale Politik und die etablierten politischen Aushandlungs- und Regelungsmechanismen zu kurz. Klimaschutz, Artenverlust, die Gefährdung der Meere, aus dem Gleichgewicht geratene Stoffkreisläufe: Diese Fragen sind global und eng mit der ökonomischen Wachstumslogik moderner Gesellschaften verbunden. Durch klassische politische Mechanismen lässt sich das nicht beherrschen – trotz der erfreulichen Signale der Pariser Klimakonferenz des Jahres 2015.

Es bedarf neuer Strategien

Gefordert sind neue Strategien und Aktionsmuster, die tief in die kulturelle, soziale und ökonomische Logik des Systems eingreifen. Die neuen Umweltbewegungen haben das erkannt. Sie wissen, dass sie sich nicht allein auf klassische politische Mechanismen verlassen können, um Veränderungen zu erreichen. Sie greifen zu einem breiten Spektrum an Aktionsmustern, um zu mobilisieren und werden damit auch international aktionsfähig und kraftvoll. Ihre politischen Arenen und Organisationsformen sind andere, Programmatiken und Forderungskataloge treten in den Hintergrund. Denn der angestrebte „Systemwechsel“ hat nur noch wenig mit den Konfliktlinien der herkömmlichen politischen Lager zu tun.

So verändern sich Konsummuster nicht primär über staatliche Intervention. Sie brauchen als Katalysator das gelebte Beispiel. Die internationale Transition-Town-Bewegung steht exemplarisch für die neue Kombination globaler politischer Gesinnung und der Übersetzung in den individuellen Lebensstil. Aus dieser Kombination entstehen heute international wichtige Impulse in die Alltagskultur. Denn in diesen Bewegungen organisieren sich nicht nur kleine Randgruppen der Bevölkerung, sondern ein breites Spektrum unterschiedlicher Gesellschaftsschichten.

Ökonomische Nadelstiche und politische Mobilisierung Hand in Hand

Noch weiter geht die wachsende Zahl an sozialen Entrepreneuren. Sie setzen ihren Erfindungsreichtum und ihre Talente ein, um über Produkte und Geschäftsideen zu zeigen, dass eine ökologische Welt möglich ist – vom Fairphone bis zur ökologischen Rating-Agentur. Dieses Engagement ist mehr als nur partiell und schrittweise. Es bereitet den Boden für die Mehrheitsfähigkeit klassischer politischer Rahmensetzung. Die Energiewende wäre ohne ein solches Doppelpassspiel aus Tüftlern, Entrepreneuren und politischer Flankierung nicht möglich gewesen.

Die moderne Umweltbewegung handelt auch in anderen Feldern systemisch und greift an Kernmechanismen globaler ökonomischer Organisation an: Ohne die von amerikanischen Universitäten ausgegangene Divestment-Bewegung hätte es vermutlich auch die Ergebnisse der Pariser Klimakonferenz nicht gegeben. Erfolgreiche ökonomische Nadelstiche und politische Mobilisierung gehen Hand in Hand.

Noch tiefer am System setzen die studentischen Initiativen in den Wirtschaftswissenschaften an, die die Mainstream-Lehre und -Forschung der heutigen Wirtschaftswissenschaften energisch kritisieren. Denn sie wissen genau: Hier werden die Mindsets künftiger Entscheidungsträger geprägt. Der erfolgreiche TTIP-Widerstand macht deutlich, dass die systemische Bedeutung der Welthandelsordnung für künftigen Umweltschutz längst von der Umweltbewegung erkannt wurde und dass sie effektiv zu intervenieren weiß.

Politisch klug und systemisch

Im Feld der Mobilitätspolitik entstehen derzeit neue Aktionsformen, die politische Instrumente geschickt zu nutzen wissen: Vorbereitet durch eine hervorragende Vernetzung und neue Kampagnenformen hat die Initiative für den Rad-Volksentscheid vor Kurzem in Berlin in nur drei Wochen über einhunderttausend Unterschriften gesammelt und damit einen wichtigen ersten Meilenstein erreicht.

Und auch auf die künftige Auseinandersetzung um eine Agrar- und Ernährungswende kann man sich freuen. Auch hier hat die Umweltbewegung in den letzten Jahren hohe Kampagnenfähigkeit mit internationaler Ausstrahlung bewiesen. Und eine Fusion zwischen Bayer und Monsanto würde ihr weiteren Stoff liefern. Daher gilt: Die moderne und junge Umweltbewegung hat die systemische Logik der heutigen Nachhaltigkeitsherausforderungen längst erkannt. Und sie hat ihre Strategien darauf angepasst. Sie ist weder unpolitisch noch partiell, sondern politisch äußerst klug und systemisch unterwegs.

UWE SCHNEIDEWIND, 50, ist Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit in Wuppertal.

Der Artikel ist erschienen in zeozwei 04/16. Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.

Am 06.10.2016: Welzers Anklage

Am 13.10.2016: Felix Ekardt antwortet