piwik no script img

■ Die wirrsten Grafiken der Welt (4)Optisch und taktil

Genaugenommen geht es zwar um Walter Benjamin, um seinen Begriff von Architektur und Rezeption sowie um feine Unterschiede zwischen optischer und taktiler Wahrnehmung von Kunstwerken, aber das von Heiner Weidmann entworfene Schaubild in Sachen Benjamin, Aufmerksamkeit, Gewohnheit/Zerstreuung, optisch/taktil und (*Kontemplation) ist so schön, daß es sich selbst genügt.

Der Benjamin-Forscher Weidmann ist der Autor einer Monographie über „Flanerie, Sammlung, Spiel“, und das Schaubild, das er seiner Studie beigefügt hat, spricht für sich: Hie optische Kontemplation (+), dort taktile Gewohnheit (+); hie taktile Aufmerksamkeit (-), dort taktile Zerstreuung (+) – selten ist die große weite Welt des Peter Stuyvesant rechteckiger und schematisch übersichtlicher ins Bild gesetzt worden.

Weidmanns Grafik gefällt durch ihre Schnörkellosigkeit. Und dennoch wahrt sie ihr Geheimnis. Der Mensch, der aus ihr schlau wird, muß erst noch geboren werden: Aufmerksamkeit + optisch, Klammer auf Kontemplation Klammer zu? Gewohnheit/Zerstreuung plus plus optisch taktil? Weidmann ist das Kunststück gelungen, ein hermetisches Schaubild zu entwerfen, das niemand versteht, das in seiner schlichten Doofheit aber gleichermaßen Bauhaus-Architekten und Manierismus-Fans gefallen wird.

Und das soll Heiner Weidmann erst einmal jemand nachmachen. Gerhard Henschel

Quelle: Heiner Weidmann: „Flanerie, Sammlung, Spiel. Die Erinnerung des 19. Jahrhunderts bei Walter Benjamin“ München 1992. Seite 63

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen