: Die verneinte Idylle
LAND Es gibt Orte, die sind nur sich selbst verhaftet, ihre Wirklichkeit ist wie abgenutzt
VON ANNABELLE SEUBERT (TEXT), CLAUDIO HILS (FOTOS)
Bonjour Tristesse, du schöne Traurigkeit. Zurück in der Ödnis, die an Kindheit erinnert, an Fahrten übers Land oder die Wochenenden bei Oma. Wo genau, wer weiß das schon. Es ist der Ort, wo alles gleich ist, der Sommer wie der Winter, der Garten wie der Garten nebenan.
Die Vorhänge wurden manchmal ein Stück zur Seite geschoben, wenn Claudio Hils durch die Dörfer lief, die er fotografierte – über Jahre hinweg und nie auf der Suche nach Idyll, „verlogenem Kitsch“, wie er sagt. Bloß keine Sonnenuntergänge und den ganzen Postkartenquatsch! Hils will die „ungeschönte Betrachtung von Leben“, die Bruchstellen und auch die Schnittstellen. Welche? „Die zwischen dem, was war, und dem, was ist.“
Es waren: Bauernhöfe, auf denen man wohnte und arbeitete, Gemeinden in Oberschwaben, die angelegt wurden für die Ernte. Es sind: verfallene Hütten und verlassene Scheunen, Zeugnisse von Zerfall, Konsequenzen der Globalisierung, die Industrieanlagen in die Natur stellt und Menschen in die Stadt zieht. Die Parkplätze leer, die Gehwege, die Läden – wer hält das wie lange aus?
Wer es lange aushält, versucht sich vielleicht an Zartheit, ein bisschen Poesie – und will verschönern, mit Blumenbeeten, neuen Fenstern. Die Bilder von Hils – er unterrichtet in Österreich, ist aber zu Hause in Mengen, Baden-Württemberg, 10.000 Einwohner, und er schwärmt: die Ruhe!, die Gerüche!, der Badesee! – zeigen das an Hilflosigkeit grenzende Resultat: Zäune, Hecken und Gipsfiguren aus dem Baumarkt.
„Dorfattrappen“ nennt er jene Orte, „Abseits“ die Sammlung seiner Aufnahmen, die weder Titel noch Datum tragen. Sie sind bildgewordene Langeweile, Ausdruck größtmöglicher Spießigkeit und des Gefühls, alleine über den Kreisverkehr in Oberunterheimhausen zu laufen.
Statt zu Streuobstwiesen und Kühen führt der Fotograf zu Garagen und Stoppschildern, zu Kieswegen, Mülltonnen und Liegestühlen, die mit Sitzpolstern in Achtzigerjahre-Optik und vor blassvioletter Betonwand zum Entspannen einladen sollen.
Da ist keiner. Da wartet niemand. Wir sind im Nirgendwo oder im Überall. Unerwünscht, zur Flucht verdammt, adieu Tristesse!
Verirrt sich doch mal ein Mensch auf eines dieser Fotos, steht er da verloren wie jedes Fertighaus. „Ein Ufo in der Landschaft“, sagt Claudio Hils. Und dass er Freude daran habe, wenn die Leute wegen seiner Wirklichlichkeitsausschnitte rote Köpfe bekämen.
Diese Sauberkeit, diese Trostlosigkeit. „Natürlich tut es weh, das zu sehen.“ Es sei eben wahr.
■ Die Fotografien stammen aus dem Katalog „abseits – aside – à l’écart“. Klöpfer und Meyer 2012, 146 Seiten, 39 Euro
■ Die Ausstellung zu „Abseits“ läuft von 16. August bis 6. Oktober im Zeppelin Museum in Friedrichshafen