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DebatteDie unglücklichsten Eheleute der Welt

■ Warum alles Reden über „Kunst und Kultur“ zu nichts Gescheitem führen wird / Eine Abschweifung in die Welt der Begriffe

Seit die Kultursenatorin in ihrem Konzeptpapier an den Schlaf des Qualitätsbegriffes gerührt hat, geht in der Kulturszene die Frage um, ob man denn so etwas wie Qualität von „Kunst und Kultur“ überhaupt verlangen dürfe. Wo dann die Geschichtswerkstätten blieben, die Aktzeichenkurse und überhaupt all die kleinen Sparer in ihrem Schöpferdrang, so ruft es ringsum voll Bangnis. Und wie immer, wenn von „Kunst und Kultur“ die Rede ist, dreht sich die Debatte bis zur Besinnungslosigkeit im Kreis herum. Denn die richtige Frage wäre, ob es überhaupt etwas gibt auf der Welt, was man von „Kunst und Kultur“ zugleich verlangen darf.

Soweit es um Qualität geht, ist die Antwort nicht schwer: Die Kunst beruht geradezu auf der Qualität. Sie verkörpert die derzeit höchsterreichbare Qualität der Formgebung. Das Kunstwerk ist deshalb immer eines, welches mit der äußersten Anstrengung so eben noch gelingt; und es ist gerade erst gut genug, und sagen wir ruhig: vollendet, wenn man den Schweiß nicht mehr riecht, den es gekostet hat. In der Kultur geht es dagegen ziemlich unbekümmert zu. Schon der Begriff der „Kultur“ (und damit natürlich auch der Titel dieser Seite) entspringt einer unaufhörlichen und umso fröhlicheren Verlegenheit: Unter ihm sammelt sich alles, was im gesellschaftlichen Sinn irgendwelche Zeichen und Symbole herstellt oder irgendwelche anderen kultischen Handlungen vollführt, von der Literaturgruppe bis zum Bauchtanzworkshop. In diesem Milieu schert man sich kein bißchen um ein dahergelaufenes Qualitätsgerede, und völlig zu Recht. Hauptsache, das Werkeln macht Freude und kommt irgendwo an.

Wer hier, wo unser aller Mittelmäßigkeit ihre Wonnen erlebt, von „Qualität“ anfängt, ist also tatsächlich nur um bessere Ausreden fürs Auslesen und Einsparen verlegen, und die Kulturszene tut gut daran, die Ohren zu spitzen. Wer aber im Gegenzug auch der Kunst das Qualitätskriterium ersparen wollte, der machte sich nur der Beihilfe zu ihrer weiteren Verblödung schuldig. Es ist ja durchaus schon offenbar, wohin das Reden von „Kunst und Kultur“ führt, wo es beiderseits enden wird, wenn man immerfort das eine wie das andere in einem Begriff zusammenzwingt: Die Kultur wird schwermütig, und die Kunst wird leichtsinnig. Die „Kultur“ krankt an den Ansprüchen, denen sie nur genügt, wenn sie sich (und unsereinem) was vormacht; und auf der anderen Seite rutscht noch der letzte Simpel als Künstler durch, dessen Feierabendgepinsel mit „Kunst“ nichts zu tun hätte, mit „Kunst und Kultur“ aber schlauerweise doch, jedenfalls zur Hälfte.

Die augenblickliche Verwirrung, die den einen nützt, indem sie den anderen schadet, hat schon auch durchaus mit dem Fortwirken des idiotischen Satzes zu tun, daß nämlich ein jeder ein Künstler sei. Das Bestreben dieses Satzes, noch die einfältigsten Wählerstimmen für die Sache der Sozialdemokratie leichthändig einzusackeln, dieses Bestreben fand damals seine Komplettierung in dem überaus seelenverwandten Satz, daß nicht nur jeder Wähler ein Künstler, sondern auch und sowieso die Kultur für alle da sei. Seither ist unweigerlich in „Kunst und Kultur“ alles eins und paletti; seit man dieses Begriffspaar verheiratet hat, geistert es durch die Weltgeschichte als eines der unglückseligsten nebst Arsch und Friedrich. Ja es ist eine Geißel der Menschheit geworden, sofern jedenfalls diese noch über „Kunst und Kultur“ debattiert.

Nein, nicht jeder Mensch ist ein Künstler. Aber jeder, selbst wenn er's nicht weiß, hat Anteil an der kulturellen Symbolproduktion, jeder kann mitspielen in der unendlichen Indie-Band, jeder kann mitbasteln am universellen Ikebana, wie es sich ohnehin vollzieht zu unserm Vergnügen oder Entsetzen, je nachdem. Es ist dies alles ein durch und durch soziales Herzensbedürfnis; und man wird ihm nicht ungestraft die Unterstützung verweigern.

Die Sache leidet allerdings zusehends daran, daß staatlicherseits nicht das Ministerium für Soziales und andere unabweisbaren Dinge zuständig ist, sondern das Ministerium für Kultur, welches unter dem selben Dach auch noch den Luxus der Kunst verwalten soll. Ja, die Kunst ist, zumal gemessen an der Kindergartenfrage, ein Luxus. Sie rechtfertigt sich, indem sie sehr, sehr gut ist, und sie muß sich eine ständige Bewertung durch die Mitwelt oder ersatzweise die Nachwelt gefallen lassen. Die Kultur aber ist kein Luxus. Sie ist das unerläßliche Bestreben, wenigstens einen kleinen Teil der Arbeitskraft in ästhetische Güter zu verwandeln und diese auszutauschen unter allen Menschenkindern guten Willens und vor allem ähnlichen Sinnes. Man könnte geradezu sagen, daß die ganze kulturelle Produktion in der symbolischen Herstellung von Einvernehmlichkeit besteht, und sei es nur unter beschränkten Gruppen. Die Kunst dagegen, jedenfalls die ernstgenommene, ist die Aufkündigung der Einvernehmlichkeit. Sie kündigt die Einvernehmlichkeit auf mittels eines Werkes, das besser ist und besseres verspricht als diese.

Das ist die Lage, das ist die Situation. Und wenn nun schon über alledem unaufhaltsam ein und dieselbe Senatorin waltet, dann soll man wenigstens beim Debattieren die Dinge auseinanderhalten, damit sie sich nicht gegenseitig erledigen. Dann soll man endlich einmal vom dem alten und umso schwereren Irrtum lassen, die Kunst gehe aus der Kultur schon irgendwie hervor, wenn man nur ab und zu ein bißchen gießt und ansonsten nicht so genau hinsieht. Anderenfalls sitzt man zur Strafe in alle Ewigkeit auf so langweiligen, trostlosen und komplett gelähmten Diskussionsveranstaltungen herum, wie wir sie wieder einmal letzte Woche in den Weserterrassen erlitten haben. Nein, wenn man „Kunst und Kultur“ gleichermaßen für voll nimmt, dann ist die Kunst alles andere als der elaborierte Spezialfall der Kultur; dann ist die Kunst ihr Gegenteil.

Manfred Dworschak

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