: Die üblichen Mitbringsel Von Martin Sonneborn
Zahlreich wie Musikstudenten aus St. Petersburg in den Fußgängerzonen unserer Städte sind die Gegenstände, die sich einem in trunkner Nacht in den Weg stellen, artig ihren Namen nennen und bitten, mit ins behagliche Heim genommen zu werden. Mitunter in sehr höflicher Art und Weise, wie verschiedene Weizenbiergläser, deren Flehen man in jungen Jahren nur ausnahmsweise widerstehen konnte; mitunter aber auch forscher und frech fast, wie ein Weihnachtsbaum, der in einer kalten Adventnacht des Winters 1992 beinahe mit mir kollidierte. Nur durch einen schweißtreibenden Gewaltakt konnte ich ihn vor der Kälte retten. Und zwar in die Wohnung der Eltern. War das ein Hallo am nächsten Morgen!
Nie allerdings hat sich mir ein komplettes Verkehrsschild aufgedrängt, wie zwei Damen aus Köln, niemals ein hölzerner Tennisschläger im Verbund mit zwei sauberen Kilo Erdbeeren (Herr Menz). Weder ein Satz gut erhaltener Ersatzscheibenwischer (Dr. Lauxtermann) noch ein gebrauchter Meerschweinchenkäfig (Frau Lorch) und auch nur einmal im Leben ein exakt 2,80 Meter langer Schneepfahl.
Das war im letzten Winter in der Nähe der Wiener Oper. Mein Begleiter, der Wagner-Spezialist Gneißl, schwor Stein und Bein, daß es sich dabei um Wotans Speer handeln müsse. Am nächsten Tag durften wir die mythische Lanze dann zersägen; mit der listigen Geschicklichkeit, die ein ordentlicher Rausch verleiht, hatten wir sie zwar in die Wohnung gebracht, aber hinaus wollte sie beim besten Willen nicht mehr.
Ordentlich vorgeführt worden sind auch die Damen Anne und Andrea, die auf ihrem Nachhauseweg nächtens an einem irrtümlich offenstehenden Supermarkt vorbeikamen. Wer zögerte in dieser traumhaften Situation, sich wie ein König zu bedienen? Die beiden kaum, schwer beladen zogen sie weiter. Leider folgten der ersten Verwirrung am nächsten Morgen schwere Selbstvorwürfe und -zweifel: Ihre Wohnung war auf Monate hinaus mit Toilettenpapier und Broccoli versorgt!
Ähnliches Pech hatten seinerzeit die Heeren Solenato und Menz, die nach ausschweifender Zechtour am Münsteraner Hauptpostamt vorbeikamen. Ein offener Paketcontainer auf dem Hof veranlaßte den großzügigen Herrn Menz, seinen Begleiter spontan auf ein Päckchen einzuladen. Wie erfahrene Überraschungseiertester schüttelten die beiden mehrere vielversprechende Objekte, bevor sie sich für zwei entschieden. Zu Hause durfte der Italiener nach der Bescherung feixend feststellen, daß er mit einer Garnitur Damenunterwäsche noch sehr gut bedient war.
Herrn Menzens Überraschungspaket enthielt eine Urne. Mit dem Namen und der Asche von Erwin R. und vermutlich auch mit dessen Goldzähnen – jedenfalls klapperte der Inhalt beim Schütteln. Weil aber Herr Menz kein Unmensch ist, stellte er das Gefäß am nächsten Tag in eines der Schließfächer der Stadtbücherei, von denen er wußte, daß sie abends durchgesehen werden. Und wenn mich nicht alles täuscht, sind Urne, Asche und Zähne von Erwin R. auch die einzigen Gegenstände dieser Aufzählung, die an ihren rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wurden. Sie ruhen in Frieden!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen