Die taz-TV-Kritiker-Charts 2005 : Silke Burmester
Highlight des Jahres
ElefantInnenrunde nach der Bundestagswahl 05. Unerreicht grandiose Realityshow, mit unerreicht authentischen Darstellern.
Tiefpunkt des Jahres
Sarah Conner wurde wieder schwanger, ohne dass Pro7 die Kamera draufgehalten hat.
Bester Film
„Land’s End“ von Alex Ross; die Reihe „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ des Kleinen Fernsehspiels – sehr gute Dokumentationen zur Jugend- und Musikkultur.
Beste Serie
„Kanzleramt“: Gute Bücher, gute Bilder, Darsteller at their best – zu intelligent fürs Kerner-Land.
Heldin / Held des Jahres
Christian Ulmen – gibt es irgendwas, das der nicht darstellen kann?
Was fehlte
BILDblog-TV – Schlampereien, Kampagnen und Lügen der Bild, fachkundig enthüllt
Was weg muss
Markus Schächter, „die graue Pille“, das Narkotikum des ZDF, erstickt die Moderne mit seinem süßlichen Atem.
Christian Buss
Highlight des Jahres
Die „Tagesschau“ im Zweiten – gesehen in Matti Geschonnecks ZDF-Medienlehrstück „Die Nachrichten“, das leise und bestimmt öffentlich-rechtliche Fernseheitelkeiten unterwanderte.
Tiefpunkt des Jahres
„Andersrum“: Heiner Lauterbachs Umerziehungskampagne für Schwuchteln bildet den historischen Tiefpunkt in der steil abfallenden Kurve des Pro7-Klamauks. Schrumpfköpfe und dicke Eier, eine unappetitliche Mischung.
Bester Film
„Polizeiruf 110: Der scharlachrote Engel“ / „Bella Block: Die Frau des Teppichlegers“ / „Sperling und die Katze in der Falle“: Kluges, gewagtes, psychologisches Erzählen findet im TV fast ausschließlich im Krimi statt. Soll uns recht sein.
Beste Serie
„Stromberg“: Jaja, Ihr anglophilen Fernsehsnobs, wir wissen es: Das englische Original ist natürlich wieder mal viel besser. Aber weder in Deutschland noch in GB findet man eine schönere Backpfeifenvisage als Christoph Maria Herbst!
Heldin / Held des Jahres
Matthias Brandt und Nina Kunzendorf: Ins TV-Einerlei abtauchen, um ganz unverhofft in leisen, intelligenten, anrührenden Charakterstudien zu strahlen – Fernsehschmutz perlt an diesen Ausnahmedarstellern ab. Unheimlich.
Was fehlte
Die multikulturelle Sitcom, deren komische Konflikte sich nicht allein aus der Döner-Zubereitung speisen. „König von Kreuzberg“ bei Sat.1 wurde abgesetzt, gut so. Vielleicht wird’s ja 2006 was mit der Crossculture-Comedy.
Was weg muss
Der zeitgeschichtliche Schmonzes aus dem Hause TeamWorx („Die Luftbrücke“). Viele jubilieren, nun mache man auch hier „ganz großes“ TV. Aber mal ehrlich: Wie viele wirklich tolle Filme könnte man mit all dem Schotter drehen!
Steffen Grimberg
Highlight des Jahres
Der Abend der NRW-Wahl, als die Sender binnen Minuten vom Regionalsieger Rüttgers auf die Bundespolitik umschwenkten – da sage noch einer, dem deutschen Fernsehen fehle es an Professionalität, um so etwas zu wuppen.
Tiefpunkt des Jahres
Die Fortsetzung der ZDF-Telenovela, weil das ein Armutszeugnis für die Öffentlich-Rechtlichen ist und die Kulisse jetzt noch länger meine Lieblingsbadebucht am Schwielowsee blockiert.
Bester Film
„Die Nachrichten“: ein nicht allzu lebensferner, aber auch nicht lebensnaher Blick auf die deutsche Medienszene – der außerdem daran erinnert, dass es auch noch Ossis gibt.
Beste Serie
„Windstärke 8“, weil die ARD damit gezeigt hat, dass man Zeitreiseformate gekonnt variieren kann, ohne immer im Gutshaus abzusteigen, und dass auch aus gruppendynamischen Prozessen mehr rauszuholen ist.
Heldin / Held des Jahres
Bettina Rust für ihren Versuch, mit dem „Talk der Woche“ einen neuen Polittalk zu etablieren und dabei grandios zu scheitern
Was fehlte
Der ernst zu nehmende Versuch eines Privatsenders, einen neuen Polittalk zu etablieren – die Zeit ist reif dafür
Was weg muss
Das Ewige Licht, das in einigen Sendern – vor allem aber dem WDR – brennt, seitdem „wir“ Papst sind
Clemens Niedenthal
Highlight des Jahres
Als alter Luis-Trenker-Freund: das gnadenlos alpine Rammstein-Video zu „Ohne Dich“. Großartige Steilwandpassagen, großartige Strickjanker, großartiger, ach so weher Heldentod. Hier wird in Schönheit gestorben.
Tiefpunkt des Jahres
Volker Panzer, Thea Dorn, Ulf Poschardt und ihre schöne neue Welt im Wahlabend-„Nachtstudio“. Und dabei war man sich, zumal an diesem Abend, eigentlich sicher, bereits alle medialen Tiefen durchwatet zu haben.
Bester Film
Ein beiläufiges, lakonisch erzähltes Episodenspiel zwischen Firmament und Alltag: Die SWR-Produktion „Kometen“ von Till Endemann mit den in diesen neunzig Minuten wunderbaren Boris Aljinovic und Barnaby Metschurat.
Beste Serie
Auch auf die Gefahr hin, mir eine gewisse Redundanz vorwerfen lassen zu müssen: mal wieder und immer deutlicher die „Gilmore Girls“
Heldin / Held des Jahres
Thadeusz – nein, nicht Jörg, sondern die misanthrope Krake aus Bikini Bottom, der Heimat von „Spongebob“.
Was fehlte
Endlich einmal eine gute, weil dicht erzählte, komplexe, reflexive, ironische deutsche Fernsehserie. Immerhin hat der BR in einer grauen Novembernacht alle sechs „Zur Freiheit“-Folgen wiederholt. Danke dafür.
Was weg muss
Deutsche Fernsehserien, die gerade genanntes von sich behaupten: „Bis in die Spitzen“ zum Beispiel. Ansonsten: der arme Statist, der sich vor dem Wetterbericht immer als gelber Frosch verkleiden muss.
Hannah Pilarczyk
Highlight des Jahres
„Mein neuer Freund“/ „Stromberg“ / „Pastewka“ – deutsche Comedy, die wirklich und geplant lustig ist.
Tiefpunkt des Jahres
Die ARD mit ihrer Zweitverwertung von „Harald Schmidt“ und „Sturm der Liebe“. In den Dritten kann man morgens durch Zappen der Liebe von 8.05 Uhr bis 11.45 Uhr nonstop! beim Stürmen zu schauen. Dabei ist schon einmal zu viel.
Bester Film
„Polizeiruf 110: Der scharlachrote Engel“: ein tanzender Edgar Selge, eine unerreichbare Nina Kunzendorf und lauter Sehnsüchte, die ungehört in der Nacht verklingen. Beängstigend gut.
Beste Serie
„O.C., California“ – wegen dieser Abende, an denen Freunde aufspringen, „Deatch Cab for Cutie“ auflegen und dann sagen: „Hier – Lieblingsband von Seth Cohn!“
Heldin / Held des Jahres
Tobias Moretti in „Speer und Er“. Während Breloer und Co. mit der Eigenmythologisierung beschäftigt waren, spielte Moretti den Hitler mit beiläufig atemberaubender Präzision.
Was fehlte
Ein Comedy-Format für ARD-Programmdirektor Günter Struve – oder doch eine Rolle als Hotel-Patriarch, der seine Frau mit der PR-Tussi betrügt, die den Unfall der Ex-Verlobten des Sohnes verursacht hat, der aber gar nicht sein Sohn ist?
Was weg muss
Die Zahnspange, der Fat Suit und das Haarteil von Lisa Plenske
Peer Schader
Highlight des Jahres
Roberto Blanco zu Gast bei „Blondes Gift“ (Pro7) mit Barbara Schöneberger: „Du drängst dich nie in den Vordergrund, Roberto, warum lassen dich die Medien nicht in Ruhe?“
Tiefpunkt des Jahres
So viele alte Menschen, so viele unwichtige Gäste, so wenig Unterhaltungswert: „Gottschalk and friends“ (ZDF) war eine einzige Talk-Katastrophe. Unterirdisch. Danach folgt sofort: „Bauer sicht Frau“ (RTL).
Bester Film
Die Filmpreis-nominierte SWR-Koproduktion „Der Wald vor lauter Bäumen“ von Maren Ade. Schauriger kann man Einsamkeit vielleicht nicht inszenieren.
Beste Serie
Nein, beste Doku-Soap-Serie: „Sarah & Marc in Love“ (Pro7). Kein Drehbuchschreiber dieser Welt hätte sich alleine derart absurde Konflikte und Katastrophen ausdenken können.
Heldin / Held des Jahres
Beim zu Unrecht unterschätzten Zeltlagerfernsehen „Teufels Küche“ (RTL) zeigte sich, wer die wirklich harten Hunde im deutschen Mediengeschäft sind: Karl Dall und Patrick Lindner.
Was fehlte
Eine Late-Night-Show für Christian Ulmen. Ein längerer Urlaub für Stefan Raab. Das richtige Format für Hape Kerkeling. Ein Abgang mit Würde für Jochen Busse. Mehr von Bastian Pastewka.
Was weg muss
Der Hochmut öffentlich-rechtlicher Programmveranstalter, die von Qualität und Anspruch reden, aber immer intensiver auf Boulevard, Reality und billiges Entertainment setzen.