: Die taz-Leser sind mein Publikum
Ein Interview mit Uwe Schrader über seinen neuen Film „Mau Mau“ und die Bedingungen des Filmemachens in Deutschland ■ Von Mariam Niroumand
Uwe Schrader gilt seit seinem Debüt „Kanakerbraut“ (1983) als einer der originellsten Regisseure des deutschen Kinos und ist einem größerem Publikum doch nie bekannt geworden. Das wirft ein Licht auf den Zustand dieses Filmlands, „in dem die Kinos nicht mehr an die Filme glauben“ (Schrader) und in dem man vier Jahre braucht, um die Mittel für einen neuen Film zusammenzubekommen — so ging es Schrader mit seinem letzten Film „Mau Mau“, der ganze 1,8 Millionen D-Mark gekostet hat, eine lächerliche Summe, verglichen mit internationalen Budgets. Das Vielpersonenstück „Mau Mau“ spielt in einem „halbseidenen Lokal“ in Sankt Pauli. Der Film läuft seit einer Woche in den Kinos.
taz: Wie schon Ihre früheren Filme, „Die Kanakerbraut“ oder „Sierra Leone“, spielt „Mau Mau“ in der Unterwelt, diesmal im Rotlichtdistrikt. Was interessiert Sie an diesem Milieu?
Uwe Schrader: In den meisten deutschen Filmen wird dieses Mileiu ausgeklammert. Für mich hat es eine starke Faszination. Diese Leute haben eine ganz andere Lebenslust und Vitalität, als man das im normalen bürgerlichen Umfeld antrifft.
Wo kommt denn diese Lebenslust her? Was ich von Sexbars kenne, scheint mir nicht so rasend komisch.
Die Fallhöhe diese Leute ist geringer. Die haben nichts zu verlieren, müssen sich nicht so viele Sorgen machen. Die Umgangsweise ist direkter; das läuft nicht über irgendeinen Anwalt oder 'ne große verbale Geschichte...
...sondern da wird direkt auf die Fresse gehauen...
Ja, zum Beispiel. Da gehen die beiden Männer mit den drei Frauen auch in die Wohnung, da wird nicht groß überlegt, was passieren könnte. Selbst als es zu diesem Beischlafdiebstahl gekommen ist, ärgern sie sich vielleicht mal, aber danach heißt es: „Schwamm drüber.“
Aber wenn wir jetzt so darüber reden, dann hat es schon wieder was Analytisches, das will der Film ja gar nicht. Er kommt nicht mit einer Message daher, sondern sagt: „So ist das Leben.“ Es läuft mehr über eine Identifikationsebene: Aus der Vielzahl der Personen ist für jeden eine da, mit der er sich identifizieren kann.
Da ist auch ein humorvolles Element dabei wie bei Kaurismäki; in allem Elend ist noch ein Witz. Bei Jarmuschs „Stranger than Paradise“ würden Sie doch auch nicht sagen: „Ooch, wie schrecklich, da kommt die arme Frau aus Ungarn“, sondern das ist sinnlich und heiter.
Ein Thema meines Films ist auch, daß die Fast-Food-Läden und Spielhallen, die so ein bestimmtes Lebensgefühl und Selbstverständnis vermitteln, langsam alle aussterben, wie ja auch das „Mau Mau“, wie die Tante- Emma-Läden.
Der derbe Sex zwischen Bierflaschen und Aschenbechern, der so eruptiv aus den Leuten hervorbricht, kehrt als Thema in Ihren Filmen immer wieder. Da trifft häufig eine kesse Biene auf einen gestrandeten Mitvierziger...
Sexszenen im Film sind immer kompliziert. Da wird oft ein Weichzeichner für ästhetische Großaufnahmen benutzt, man schwenkt auf die Nachttischlampe oder aus dem Fenster heraus. Bei meinen Filmen ist wichtig, daß es eine Art von Ehrlichkeit hat, eine Art Realismus, daß man nicht so tut als ob. Es gehört zum Leben dazu, da sind Träume, Sehnsüchte. Wenn Rosa den Heinz überfällt, dann hat das einerseits etwas von Vergewaltigung, andererseits auch etwas von Dankbarkeit — sie ist es eben gewohnt, mit ihrem Körper zu bezahlen. Bei dem Verhältnis zu dem Ali, da läuft es eben mehr über das Vögeln.
Aber man sucht da immer so nach Schablonen. Beim „Taxi Driver“ würden Sie doch auch nicht fragen, in welchem Milieu das spielt, oder warum der irgendwann eine Prostituierte aus dem Puff holen will.
Ich will Ihnen da gar keine Milieustudie aufschwatzen, aber man überlegt sich doch, wo man einen Film ansiedelt...
Natürlich reflektiert das auch ein Stück deutscher Wirklichkeit, auch die Arbeitsweise ist halb fiktional, halb dokumentarisch [Schrader arbeitet mit Handkamera], nur der Anspruch — entweder man ist Sozialarbeiter, oder man hat einen politischen Anspruch —, der ist ein anderer. Sobald man die Dinge eher atmosphärisch oder auf der Erlebnisebene sieht, so wie „Rembetiko“, hat man auch mehr Spaß in den Filmen. Deshalb bin ich auch vorsichtig mit dem Wort „dokumentarisch“. Das ist an sich ein Kompliment, aber für viele Zuschauer klingt es nach „didaktisch“. Für einen Film wie „Time of the Gypsies“ wurde das Set auch hergestellt, wie bei „Mau Mau“, und es wurden professionelle Schauspieler engagiert, aber trotzdem hat es diesen „live touch“, diese Lebendigkeit.
Welche Rolle spielen denn die Ausländer in Ihren Filmen? Einmal sagt Rosa: „Die Ausländer, die haben mehr Gefühl, mehr Wärme.“ Sind die Ausländer und die Underdogs Ihre schönen Wilden?
Also das hat halt so eine Faszination für mich, die Ausländer haben ein anderes Lebensgefühl. Eine türkische Hochzeit, wie die in „Sierra Leone“, ist spannender als eine deutsche. Das hat mehr Atmosphäre und ist für Film auch interessanter, visueller, wenn man sieht wie die Hundertmarkscheine ans Brautkleid geheftet werden, wie die miteinander umgehen, das ist schon 'ne Idee schärfer als bei uns. Im Dickicht der Städte, so wie in Sankt Pauli in „Mau Mau“, da ist eben so ein Mischmasch der Nationalitäten. Es gibt eine Französin, die stript, Thailänderinnen, einen brasilianischen Prediger, Polen, Tschechen, Araber, Afrikaner.
Wer ist Ihr Publikum? Ist da nicht eine peinliche Diskrepanz zwischen Konsument und Subjekt?
Die taz-Leser sind mein Publikum [lacht]. Ich glaube auch, daß es nicht die Leute sein werden, die in dem Film auftauchen. Ich hoffe eben, daß es Leute gibt, die auch dieses starke Interesse, die Faszination spüren für die Orte und Menschen, die ich zeige, aber ich spekuliere da nicht wie bei einem Werbefilm. Es ist wie bei Kaurismäki, man kann nur hoffen, daß man sich da so eine Gemeinde schafft.
„Mau Mau“ lief auf den Tag genau an Fassbinders zehntem Todestag an. Sie sind oft mit ihm verglichen worden. Was hat sich in der deutschen Filmlandschaft seither geändert, und wo würden Sie sich darin plazieren?
Fassbinder hätte es heute mit seinen Filmen verdammt viel schwerer. Der war ja auch immer auf Seiten der kleinen Leute oder der Verlierer. Obwohl der Vergleich natürlich ein Kompliment ist, würde ich doch denken, daß seine Filme künstlicher sind als meine. „In einem Jahr mit 13 Monden“, das ist ein Film, der mir sehr nahe ist, auch „Angst essen Seele auf“. Von der Form her fühle ich mich eher dem unabhängigen amerikanischen Film verwandt, Cassavetes' „Mord an einem chinesischen Buchmacher“ zum Beispiel ist sehr ähnlich wie „Mau Mau“.
Cassavetes hat ja immer Laienschauspieler und Profis eingesetzt. Wie rekrutieren Sie Ihre Schauspieler?
Wir haben für die Rosa, das junge Mädchen in „Mau Mau“ zum Beispiel in Warschau oder bei der DEFA nach DDR-Mädchen gesucht, und am Ende ist es dann fast um die Ecke in Hamburg gefunden worden, die Katrin Striebeck für die Rosa, die kommt vom Theater. Also es sind teilweise Laien, aber die Hauptrollen werden von Profis gespielt. Die meisten machen aber kaum Film, die haben nicht so ein verbrauchtes Gesicht, knien sich anders in die Arbeit rein als Leute, die nur vom Film leben und heute einen „Tatort“ machen und morgen einen Synchrontermin haben. Leute vom Theater sind fest angestellt und lange Probezeiten gewohnt, die setzen sich ganz anders auseinander als Leute, die ankommen, ihre zwei Seiten Text kriegen, das abspielen und dabei nicht einmal wissen, worum es überhaupt geht. Das ist so eine Art „rent a face“.
„Mau Mau“ war mit 1,8 Millionen ihr bisher teuerster Film. Wie haben Sie ihn finanziert?
Für den Aufwand ist das eigentlich unterfinanziert; alle Beteiligten haben niedrigere Gagen genommen. Allein die Musikrechte kosten einen Löwenanteil.
Der Verleih hat eine Garantie vorab gezahlt, was sicher nicht möglich gewesen wäre, wenn die vorigen Filme nicht schon auf Festivals und im Ausland gelaufen wären. Da hat man schnell vier, fünf ausländische Verleiher zusammen und auch Fernsehverkäufe. Dann war auch die Filmförderungsanstalt dabei und die Mittel aus dem Bundesfilmpreis für „Sierra Leone“; der Filmfonds Hamburg, der fast ein Drittel der Gesamtsumme gegeben hat; der Rest sind Rücklagen von mir, — also verdienen tut man auf diese Weise nicht. Man muß ja bei öffentlichen Förderungen mindestens 15 Prozent Eigenanteil erbringen. Das deckt man teilweise durch den Verleih und durch die Fernsehlizenz ab. Der Bayrische Rundfunk und der Sender Freies Berlin sind ja auch Koproduzenten bei „Mau Mau“.
Haben Sie gute Erfahrungen gemacht mit dem Fernsehen als Koproduzent?
Also, die Silvia Koller vom Bayrischen Rundfunk hat „Kanakerbraut“ gekauft und „Sierra Leone“ koproduziert, und die läßt einem da viel Freiraum, geht sogar gegen die Schere in meinem Kopf noch an und ist da viel provozierender. Das ist aber eine große Ausnahme; oft hat sich gerade der Bayrische Rundfunk ausgeklinkt aus riskanteren Projekten wie dem Schwulendrama „Die Konsequenz“ oder anderen. Das ist eben von Fall zu Fall verschieden. Beim ZDF wird dann eben noch darüber disktuiert, wieviel Schaum in der Wanne sein soll, damit man ja keinen Busen sieht. Da wird bestimmt keine Frau am Anfang onanieren dürfen wie bei „Mau Mau“.
Grundsätzlich glaube ich, es wäre besser, wenn die Kinofilme ohne Fernsehen gemacht würden. Aber das wird nicht funktionieren, es sei denn, man würde die Förderungsrichtlinien ändern, weil man sonst nie die Finanzierung zusammenkriegen würde.
Sie haben sehr schnell gedreht, nur dreißig Tage insgesamt.
Dafür war die Vorlaufzeit sehr lang, und für den Schnitt haben wir uns viel Zeit genommen; der Film ist relativ kompliziert montiert, orientiert eben am „Mord an einem chinesischen Buchmacher“ (wobei der zwei Jahre geschnitten wurde).
Ein Problem der deutschen Filmförderung ist, daß häufig zwar die Produktion, aber nicht das Abspiel gefördert wird. Wo liegt Ihrer Ansicht nach der Haken?
Wenn der Film fertig ist und in die Kinos soll, merkt man, daß das Problem bei den Kinos liegt. Die glauben eben nicht so richtig an die Filme.
Der Produzent verdient eh nie Geld an einem Film: Da ist der Kinomacher, da ist der Verleih, und wenn dann Geld überwiesen wird, dann kommt, wie in meinem Fall, die Hamburger Landesbank wegen des Kredits, den ich bekomme, dann will die Filmförderungsanstalt ihren Kredit zurück — das sind ja alles keine Geschenke. Das einzige Geschenk war der Bundesfilmpreis vom Bundesinnenministerium, das ist Geld, das für ein neues Filmprojekt gedacht ist. Der Sender als Koproduzent profitiert auch nur, wenn es besonders gut läuft, wie bei Percy Adlon, wo der Bayrische Rundfunk sogar noch Geld wiederbekommen hat.
Die Kinos glauben eben nicht an einen deutschen Film und riskieren dann nichts mehr. Die spielen dann doch lieber „Der Terminator 2“, da braucht man sich um die Werbung nicht zu kümmern. Wenn „Mau Mau“ in den Off-Kinos läuft, dann hat der Film von vornherein keine Chance. Man erfährt ja auch nichts davon. Vielleicht muß man den deutschen Film an den Kassen besonders stützen, mit niedrigerem Eintritt zum Beispiel.
Ist die deutsche Filmkritik Ihrer Ansicht nach förderlich für inländische Low-Budget-Produktionen?
Die Leiche des Neuen Deutschen Films wird jeden Tag aufs neue erschossen. Da haben es neue Filme schwer. Ich selbst kann mich nicht beklagen, was die größere bundesdeutsche Kritik anbelangt; das ist seit „Kanakerbraut“ sehr positiv gewesen. Aber an der Kinokasse schlägt sich das nicht nieder; das läuft dann eher über Stadtmagazine, die haben da einen anderen Stellenwert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen