Die taz-Leichtathletik-Serie (5): Duales Leben

Die sportliche Laufbahn des ehemaligen 10.000-Meter-Europameisters Jan Fitschen neigt sich dem Ende entgegen. Jetzt bereitet er sich auf den Einstieg ins Berufsleben vor.

Fitschen erwartet wie viele Spitzensportler eine ungewisse Zukunft nach dem Karriereende. Bild: dpa

BERLIN taz | Er spricht von dem großen Doppelerfolg seines Lebens. Jan Fitschen ist stolz auf das, was er erreicht hat. 2006 wurde er in Göteborg Europameister über 10.000 Meter. 2008 hat er sein Physikstudium mit dem Diplom abgeschlossen. Wie es weitergehen wird in seinem Leben, weiß er nicht so recht. Die sportliche Karriere hat durch etliche Fußverletzungen erhebliche Dämpfer erfahren. Und ein Zukunft als Laborphysiker, die kann er sich auch nicht vorstellen.

Fitschen ist kein Einzelfall. Viele Spitzensportler stehen zum Ende ihrer Karriere vor einer ungewissen Zukunft. Jan Fitschen hat sich noch einmal an der Uni eingeschrieben. In Bonn hat er einen Aufbaustudiengang in Management und Economics begonnen. "Das ist nicht optimal gelaufen", sagt er.

"Die meisten Veranstaltungen konnte ich nicht besuchen." Der 32-Jährige möchte auf die Marathonstrecke umsteigen. Immer wenn er Mal keine Schmerzen im Fuß hat, trainiert er. Oft ist das nicht gegangen im letzten Jahr "Ich hatte oft monatelang keinen Tag, an dem ich keine Schmerzen hatte". Dann hatte er jede Menge Termine mit Ärzten und Physiotherapeuten.

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Am Montag dieser Woche saß Fitschen in einem schmucken Seminarraum in der Hauptstadtvertretung der Deutschen Telekom. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe, die Spenden und Sponsorengelder sammelt, um Athleten den Lebensunterhalt finanzieren zu können, hatte für acht Spitzensportler ein Bewerbertraining bei dem Telekommunikationsunternehmen arrangiert.

Über 300 geförderte Sportler steigen jedes Jahr ins Berufsleben ein. Die Sporthilfe versucht, ihnen beim Übergang zu helfen. "Duale Karriereplanung" nennt sich das Stiftungsprojekt, zu dem auch die Kooperation mit der Telekom gehört. "Ich will einfach sehen, wie man sich am besten präsentieren kann", sagt Fitschen. "21 Semester habe ich Physik studiert. Mir ist schon klar, dass sich das nicht so gut anhört in einer Bewerbung."

Andrea Schönwetter ist Leiterin der Abteilung Personalmarketing bei der Telekom. Sie führt das Bewerbertraining durch. In schönstem Wirtschaftssprech redet sie von den "Soft Skills", die bei Sportlern besonders ausgeprägt seien. "Es ist doch so", sagt sie, "eingestellt werden die Leute wegen ihrer Fachkompetenz, entlassen werden sie wegen fehlender sozialer Kompetenz." Ihnen fehlen dann die Soft Skills, ihnen fehlt die Fähigkeit, die Intelligenz für soziale Interaktion einzusetzen. Jan Fitschen hört zu. "Schöner Satz, oder?", fragt er.

Von Soft Skills spricht auch Michael Illgner, der Geschäftsführer der Stiftung Deutschen Sporthilfe. Er zitiert eine Studie der Universität Münster, in der festgestellt wurde, dass die soziale Kompetenz von Spitzensportlern weit über dem Durchschnitt liege. In der Studie sei aber auch herausgearbeitet worden, dass sich die Demut der Sportler, der ihnen im Trainingsalltag hilft, oft negativ auf die Selbstdarstellung der Athleten auswirkt. Das Bewerbungstraining soll den Sportlern zu selbstbewussterem Auftreten animieren.

Im Seminarraum sitzt auch Ditte Kotzian. Die heute 30-Jährige hat 2008 Bronze im Wasserspringen gewonnen und eben ihre Diplomarbeit im Fach Sportwissenschaft vorgelegt. Das Thema: "Duale Karriere - Eine Analyse der Umsetzung der Kooperationsvereinbarung und des Mentorensystems an der Humboldt-Universität zu Berlin". Auch Kotzian hat lange für ihr Studium gebraucht - zehn Jahre.

Ohne die Kooperationsvereinbarung des Berliner Olympiastützpunktes mit der Uni hätte sie es vielleicht nicht geschafft. So hatte sie eine Mentorin an ihrem Institut, mit der sie ihren Studienverlauf planen konnte, der sie ihre Trainings- und Wettkampfzeiten mitteilen konnte, jemanden, der die Prüfungstermine mit ihrem Kalender abgestimmt hat.

Auch Jan Fitschen hätte sich an einen Mentor an der Uni wenden können. Er hat es nicht getan. "Klar kann ich zu dem hingehen und sagen: Mach das für mich, mach dies für mich. Aber eigentlich bin ich erwachsen genug, mich selbst um mich zu kümmern." Steigt er auf die Marathonstrecke um, müsste er seine Trainingsumfänge noch einmal steigern. "Dann laufe ich statt 180 Kilometer in der Woche eben 210 Kilometer, das wird sich schon organisieren lassen."

Neben Studium und Sport kümmert sich Fitschen auch noch um seine Sponsoren. Gerade hat er einen neuen Vertrag unterschrieben und wirbt für eine Salbe aus dem Medizinunternehmen des früheren FC-Bayern-Arztes Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Das unterhält ein Laufportal, über das sich Freizeitsportler Tipps von Jan Fitschen holen können. "Das macht unheimlich Spaß!" Fitschen schwärmt von seiner Beratertätigkeit. Auch das kann er sich für die Zukunft vorstellen. "Ich bin selbst gespannt, wo es einmal hingeht."

Nein, er weiß wirklich nicht so recht, wo es hingehen soll. "Irgendwas mit Sport wäre natürlich super." Von seinen Triumphen ist ihm nicht viel geblieben. Der Europameistertitel "hat sich schon auf dem Konto bemerkbar gemacht". Drei Jahre ist das her. Für ein Leben nach der Karriere hat sich Fitschen nichts zurücklegen können.

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