■ Nebensachen aus Tokio: Die stummen Kaiserinnen
Wären sich die Japaner ihrer jahrtausendealten Bringschuld gegenüber dem Kaiserhof nicht ganz so bewußt, wie sie es immer noch sind – zumindest die Boulevardpresse hätte in diesem Jahr den 9. Juni zum Volkstrauertag ausgerufen. An diesem Donnertag feiern nämlich Kronprinz Naruhito und die vielbewunderte Prinzessin Masako ihren ersten Hochzeitstag. Vor einem Jahr war das ein rauschendes Fest voller Verheißungen. Doch was ist aus dem japanischen Traumpaar geworden? Die Presse trauert heimlich, weil Masako noch nichts über eine Schwangerschaft verkündet hat. Aber Anlaß gibt es genug, sich um Masako ernsthafte Sorgen zu machen.
Diese Frau trat vor einem Jahr ihren Weg in jenen „verträumten Hof, dessen äußerer Rand aggressiv europäisch wirkt, aber dessen Herz einem Japan längst vergangener Zeiten gehört“ (Rudyard Kipling), als Emanze an. Masako war nach allem, was damals über sie berichtet wurde, eine resolute Karrierefrau. Fünf Jahre lang hatte sie dem Drängen des Kronprinzen standgehalten und ihren Diplomatenberuf einem Leben als Prinzessin vorgezogen. Als sie schließlich einwilligte, erschien sogar manchen Feministinnen ein Wendepunkt erreicht. Würde es der Karrierefrau im Kaiserhof gelingen, ein neues, offizielles Frauenbild zu propagieren, könnten davon viele Japanerinnen inspiriert werden, denen bisher der Mut zum Bruch mit den herkömmlichen Rollen fehlte. Dazu paßte auch, daß Kaiserin Michiko, eine ebenfalls weltzugewandte Bürgerin, an Einfluß am Hof gewonnen hatte, nachdem ihre traditionell eingestellte Schwiegermutter über die letzten Jahre schwer erkrankt war.
So frohgemut war Michiko über den Verlauf der Ereignisse, daß sie während eines Deutschlandbesuchs im vergangenen Spätsommer alle Zwänge von sich abzuschütteln schien. Noch nie zuvor hatte die Welt ein so äußerlich wie innerlich gelöstes japanisches Kaiserpaar erblickt – was freilich den Deutschen nicht besonders auffiel, die sich immer noch über die Zurückhaltung des Paares gegenüber den Medien wunderten, sondern vor allem die begleitenden Beamten des Hofstaats erschreckte. Die Folgen aber waren nun absehbar.
Kaum war das Kaiserpaar aus Europa zurück, begann in den konservativen Eliteblättern – nicht etwa in der begeisterten Boulevardpresse – eine bislang einmalige Denunziationskampagne. Michiko wurde von angesehenen Professoren als rachsüchtige Hausherrin verunglimpft, die Kaiser Akihito zu ständiger Rücksichtnahme zwang. Der erzreaktionäre Hofstaat hatte die Kampagne selbst angezettelt. Ihr Erfolg stellte sich unmittelbar ein, als Michiko an ihrem 59. Geburtstag einem Schwächeanfall erlag und daraufhin für Monate die Sprache verlor. Neben Michiko aber war auch Masako längst mundtot gemacht worden. Die wenigen öffentlichen Auftritte während ihres ersten Jahres am Hof zeigten eine völlig verstockte Frau, die mit gesenktem Haupt und Blick stets dem Kronprinzen auf den Fersen folgte.
Die symbolische Bedeutung dieser Auftritte läßt sich kaum überschätzen. Noch vor wenigen Jahren gewann die Sozialistin Takako Doi zahlreiche Frauenstimmen, weil sie den Frauen den einfachen Rat gab, vor ihren Männern zu gehen. Oku-san, die übliche Anrede für die Ehefrau in Japan, meint wörtlich diejenige, „die im Haus hinten steht“. Sogar Akihito und Michiko hatten bereits vorexerziert, daß Kaiser und Kaiserin in Japan auch Hand in Hand nebeneinander gehen können. Naruhito und Masako fielen dahinter wieder zurück.
Welche Hoffnungen damit verlorengingen, läßt sich leicht aus der Geschichte der japanischen Frauenbewegung ablesen. Schon 1975, im Internationalen Jahr der Frau, war das patriarchalische Kaisersystem Hauptgegenstand feministischer Diskussionen. Damals lautete freilich die Forderung: „Solange es das kaiserliche System gibt, werden die Frauen nicht frei sein.“ Immerhin machten sich die Frauen damals keine Illusionen. Georg Blume
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen