: Die seltsamen Nachbarn des 007
In den Schweizer Alpen, hoch über dem Nobelskiort Gstaad, hatte die militärische Geheimorganisation „P 26“ ihren Sitz ■ Aus Gstaad Th. Scheuer
Friedlich liegt Gstaad unten im Tal in Erwartung des profitablen Weihnachtsrummels. Einige Serpentinen höher wartet der Medien-Trupp auf seinen Einsatz. Vor einer imposanten Felswand sind die Presseleute eben von den Armee-Jeeps gekrabbelt. Nach ein paar Warteminuten in der winterlichen Idylle kommt Bewegung in den Granit. Wie auf ein „Sesam öffne dich“ wird von innen ein Stück des Gesteins — täuschend echt verarbeiteter Spritzbeton — nach außen aufgeklappt. Die Journalisten tauchen in ein unterirdisches Stollensystem ein. Hier drinnen, abgeschottet von aller Welt, haben sie also trainiert für den Ernstfall, die „stay behind“-Krieger der Geheimorganisation P 26, die im Falle einer Besetzung der Schweiz aus dem Untergrund heraus den Volkswiderstand hätten organisieren sollen.
Noch vor knapp drei Wochen war das „Projekt 26“ streng gehütetes Staatsgeheimnis. Doch nachdem es von einer parlamentarischen Untersuchungskommission gelüftet wurde und die Volksvertreter die Untergrundtruppe als illegal und verfassungswidrig klassifizierten, ist die Militärbürokratie in Bern zum Entlastungsangriff angetreten. Plötzlich werden die Medien regelrecht bombardiert mit freigegebenen Geheimpapieren und Details aus dem Innenleben von P 26. Am vergangenen Freitag stellte sich sogar der oberste Geheimkrieger, dessen zehn Jahre lang geheimgehaltene Identität gerade von der Zürcher 'Weltwoche‘ enthüllt worden war, in Bern der Presse zum Plauderstündchen.
Selbst Regierung und Untersuchungsausschuß hatten den P-26-Boß nur unter seinem Decknamen gekannt: „Rico“. Eigentlich hätte er „Monaco“ heißen sollen, was dem früheren Versicherungs- Manager aber zu umständlich klang. Rico heißt bürgerlich Efrem Cattelan und ähnelt tatsächlich, wie schon gemunkelt worden war, dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow. Etwas rundlich, Glatze, Brillenträger, entspricht Rico äußerlich voll dem von ihm selbst entworfenen „Anforderungsprofil“ des idealen eidgenössischen Geheimkriegers: Ganz normale Durchschnittsbürger waren es, die er anwarb und in „übers ganze Land verteilten Urzellen“ organisierte. Zu fünf Prozent auch Frauen, „leider zuwenig“, findet Rico. Die Auserwählten wurden regelmäßig in Propaganda, Funk, Selbstverteidigung, Präzisionsschießen und im Umgang mit Sprengstoff trainiert. Die Waffen waren in geheimen Depots gelagert, die mittlerweile angeblich alle versiegelt und von der Armee übernommen wurden. Der Inhalt eines solchen Depots wurde den Journalisten auf einem Tischchen präsentiert. Auch eine Maschinenpistole aus der schwäbischen Waffenschmiede Heckler & Koch, samt Zielfernrohr und Schalldämpfer, gehörte zum Standard-Set von Ricos Kämpfern. Zu geheimen Strukturen der NATO bestanden angeblich keine Kontakte. Nur mit englischen Diensten wurde ein reger Informations- und Ausbildungsaustausch gepflegt. Die Briten, so Rico, hätten eben „reichhaltige Erfahrungen aus ihrer Kolonialzeit“.
Aus dem Pressesaal des Berner Bundeshauses geht's direkt in die Berge oberhalb Gstaad zur Besichtigung eines P-26-Bunkers. Sein Innenleben ist alles andere als spektakulär: Schlichte Schlaf- und Unterrichtsräume verströmen den Charme einer Jugendherberge der 60er Jahre. Hier wurde nur Funkausbildung betrieben. Die Poster an den Wänden zeigen „Geschützte Pflanzen in der Schweiz“ oder die „Anatomie der Schnecke“. Einen Hauch kriegerischer Atmosphäre dürfen die Journalisten lediglich im ehemaligen Schießkeller schnuppern. Das Poster hier: „Das 1. Glied des Zeigefingers betätigt den Abzug“. Im Raum Nr. 86, Ricos Zimmer, stecken noch Zahnbürste und Zahnpasta im Wasserglas. Offenbar noch in Betrieb ist der Reißwolf: Sein Plastikeinsatz ist voller Schnipsel. Die Nachbarschaft des Geheimbunkers wurde sorgfältig ausgewählt. Ganz in der Nähe besitzt ein prominenter Zunftgenosse ein Ferien-Chalet: Roger Moore, dem Kinopublikum vertraut als James Bond — seiner Majestät Geheimagent 007.
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