■ Die rot-braune Koalition und der Krieg in Europa: Die Botschaft aus Bosnien
Daß sich aus dem Kriege im ehemaligen Jugoslawien ein neuer Faschismus entwickeln würde, ist von kritischen Geistern in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien schon zu Beginn des Krieges geäußert worden. Denn wenn Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft oder eines kulturellen Zusammenhangs als „lebensunwert“ betrachtet und deshalb „eliminiert“ werden, dann sind tatsächlich Zustände erreicht, die an die Praktiken der Nazis – oder auch der Stalinisten – erinnern. Die Erfahrungen mit jenen, die den Krieg mit ihren nationalistisch- chauvinistischen Zielen betreiben, haben dem nach dem Zweiten Weltkrieg im östlichen Sozialismus wie in der westlichen Linken oftmals falsch gebrauchten und deshalb in Mißkredit geratenen Begriff „Faschismus“ jetzt in Ex-Jugoslawien zu einer neuen Konjunktur verholfen.
Strenggenommen handelt es sich bei den mit nationalistischer Ideologie geführten Exzessen in Ex-Jugoslawien nicht um einen neuen „Faschismus“. Dieser Begriff ist ja sehr eng an die italienische Zwischenkriegsgeschichte und an den Aufstieg des Diktators Mussolini geknüpft, dem es gelang, eine Massenbewegung für eine „nationale Revolution“, also die Kombination nationalistisch-chauvinistischer Ziele und eines korporativen Wirtschaftsmodells, zu initiieren. Wie das serbische Beispiel zeigt, geht es dort vielmehr um den Machterhalt des alten totalitären Apparats, der sich geschickt nationalistischer Massenbewegungen und Gruppierungen bedient, sie sogar initiiert und sich gegenüber der Bevölkerung angesichts der selbst produzierten Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen als Anwalt des Gesamtinteresses der Nation präsentiert. Dabei werden die Herrschaftsmechanismen der kommunistischen Diktatur beibehalten und lediglich die Begriffe und die Sprache den neuen „Notwendigkeiten“ angepaßt. Dies ist, wie die letzen Wahlen im Dezember in Serbien beweisen, ein durchaus erfolgreiches Konzept.
Auch in Kroatien hat sich, wenn jedoch mit Abstrichen, eine ähnliche Entwicklung ergeben. Hier gelang es, allerdings nur einem Teil des alten Apparates, in die Haut des neu-alten Nationalismus zu schlüpfen. Die Existenz einer auch parlamentarisch abgesicherten Opposition ist eine Hürde, die nicht immer leicht zu überspringen ist. Dennoch knüpfen die vielen ehemaligen Kommunisten aus Verwaltung und Wirtschaft in der Regierungspartei HDZ an ihre alte totalitäre Tradition an. Kennzeichnend für die kroatischen Machtverhältnisse ist zudem, daß es der Regierungspartei gelang, sich die Unterstützung und Mitwirkung von Exilgruppen zu sichern, die zum Teil den Denkkategorien des Zweiten Weltkrieges verhaftet geblieben sind.
Der HDZ gelang es seit 1991 nach und nach, totalitär anmutende Mechanismen der gesellschaftlichen Kontrolle zu entwickeln oder wiederzubegründen. Dieser Prozeß, der keineswegs zum Stillstand gekommen ist, schließt die weitgehende Kontrolle über die Massenmedien sowie die Einschüchterung politischer Gegner ein. In dem Maße, wie die kroatische Politik von der Verteidigung des eigenen Landes gegen einen Aggressor selbst zur Aggression übergegangen ist – die Verwicklung Kroatiens in Bosnien-Herzegowina ist zu einer Aggression geworden –, wurde die demokratische Entwicklung des Landes eingeschränkt oder umgekehrt.
Eine Theorie in bezug auf die Entwicklung der Wirtschaft oder der Gesellschaft, wie sie der Faschismus hervorbrachte, hat der neue Totalitarismus in Serbien und in Kroatien jedoch nicht. Selbst die die frühkapitalistische Parole „Bereichert euch“ fällt verhalten aus, verlangt die Kriegswirtschaft doch nach staatlicher Lenkung der noch vorhandenen Ressourcen. Allerdings versuchen Cliquen und Machtgruppen, sich Teile des gesellschaftlichen Reichtums anzueignen. Und da der Mechanismus der Bereicherung nur unter den Bedingungen des Krieges gedeihen kann, haben diese Gruppen und Pressure-groups ein elementares Interesse an der Verlängerung des Krieges sowohl in Serbien als auch in Kroatien. So ist es selbstverständlich, daß ihre Repräsentanten Einfluß auf die Politik des Machtzentrums zu gewinnen oder zu halten suchen, was nur unter dem Schirm undemokratischer Strukturen möglich ist.
Der neue Totalitarismus rot- brauner Provenienz hat mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus aber gemein, daß er sich auf die Loyalität eines beträchtlichen Teils der serbischen und kroatischen Bevölkerung stützen kann. Diese Unterstützung wird einerseits mit den klassischen Mitteln der Mobilisierung durch Propaganda und andererseits mit dem Mittel der Erpressung – wer nicht mit uns ist, spielt dem Kriegsgegner in die Hände –, erreicht. Hinzu kommt, vor allem in Serbien, die gewaltsame Unterdrückung von noch vorhandenen, in der kommunistischen Zeit gewachsenen demokratischen Oppositionsbestrebungen und das Schüren allgemeiner Angst und Verunsicherung durch polizeilich-staatliche Willkür.
Diese Strategie ist auch deshalb in beiden Ländern erfolgreich, weil ein großer Teil der Bevölkerung aufgrund der Erfahrungen im alten Regime die totalitären Denkformen nur in geringem Maße in Frage zu stellen in der Lage ist, in der Zeit extremer Bedrohung und Verunsicherung sich sogar an sie zu klammern scheint. Die weit verbreitete Kälte den plötzlich als Feind deklarierten Nachbarn gegenüber und die Praxis der Denunziation verweisen auf den Opportunismus, den gerade totalitäre Gesellschaften in verstärktem Maße hervorbringen.
Es wäre jedoch unlauter, die Entwicklungen hin zu dem neuen Totalitarismus nur in den balkanischen Kriegsgebieten oder in den ehemals kommunistischen Staaten Osteuropas zu verorten. Es ist von exjugoslawischen Denkern und Politikern ebenfalls schon zu Beginn des Krieges darauf hingewiesen worden, daß die Renaissance nationalistisch-chauvinistischer Denk- und Handlungsmuster ihre Rückwirkung auch auf das westliche und demokratische Europa haben würde. Ist der Aufstieg des sogenannten Nationalliberalen Schirinowski in Rußland noch mit den Widersprüchen des wirtschaftlichen Niedergangs und des Verlustes der Weltmachtrolle Rußlands zwar nicht hinreichend, doch zum Teil treffend erklärt, so tun sich Betrachter schon schwerer, die Entwicklung der griechischen Gesellschaft zu erfassen. Denn die dort erneut herrschende Partei „Pasok“ bezieht ihre Doktrin ebenso wie Miloševićs Sozialisten in Serbien aus „national-sozialistischem“ Gedankengut.
Noch deutlicher zeigt die italienische Entwicklung, daß die These, der neue Totalitarismus entstehe allein an den Bruchstellen des Übergangs vom Stalinismus in den Kapitalismus, nicht mehr zu halten ist. Wenn die Kandidaten der faschistischen Partei in Städten wie Neapel und Rom über 40 Prozent der Stimmen erreichen, zeigt sich mehr als nur die Protesthaltung breiter Schichten angesichts der ökonomischen Krise.
Sicherlich bietet der Hinweis auf die „unterlassene Hilfeleistung“ in Bosnien-Herzegowina und schon vorher in Kroatien durch die Demokraten nicht eine allumfassende Erklärung für den Aufstieg des Rechtsradikalismus in Europa. Es sei jedoch darauf verwiesen, daß die psychologische Wirkung des Krieges nicht zu unterschätzen ist. Wenn die grundlegenden Werte menschlichen Zusammenlebens mit Füßen getreten, wenn mit Gewalt, Mord und Terror die Austreibung Hunderttausender bewirkt und die Veränderung von Grenzen ungestraft und ohne Widerstand verwirklicht werden kann, dann werden die Hemmschwellen für die Gewalt gegenüber den anderen allgemein gesenkt. Das bosnische Beispiel hat gezeigt, daß die sogenannte internationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, die Verteidigung der Menschenrechte als ureigenstes Interesse zu definieren. Rechtsradikalismus ist machbar, Herr Nachbar, heißt die Botschaft aus Bosnien.
Noch bedeutsamer als der Aufstieg totalitärer Ideen vor allem in der Peripherie Europas jedoch könnte sein, daß sich mit Sarajevo zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert die Mächtekonstellationen in Europa zu verändern beginnen. Denn der Krieg in Ex-Jugoslawien hat die Tendenz zur Renationalisierung der Außenpolitik verschiedener Länder bestärkt. Die Unterstützung Serbiens in den internationalen Gremien und der Nato durch Briten, Franzosen und Russen, die auf die Sicherung von Einflußsphären aus sind, macht die Weltgemeinschaft unfähig, adäquat auf die Massaker des Krieges zu reagieren. Weil sich die deutsche Politik angesichts der Befürchtung, selbst der Interessensphärenpolitik angeklagt zu werden, seit der völlig zu Recht erfolgten Anerkennung Kroatiens nicht einmal mehr auf das diplomatische Parkett wagte, ist ein politisches Vakuum entstanden, das von anderer Seite ausgefüllt wird. So wäre es ja nicht unmöglich, als wichtigstes Land der Europäischen Union den Rücktritt des EU-Vermittlers Lord Owen zu erwirken, der mit seiner Verhandlungsführung den Krieg zwischen Kroaten und Bosniern mitverschuldet hat. Die einem solchen Protest folgende Diskussion in der EU und der Nato könnte zu einem Forum werden, um zu einer gemeinsamen und realistischen Position dem Kriege und dem Aufstieg des neuen Totalitarismus gegenüber zu gelangen. Für viele Menschen in Bosnien käme eine solche Debatte zwar schon zu spät, für die Zukunft Europas jedoch nicht. Erich Rathfelder
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