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Archiv-Artikel

Die privilegierte Partnerschaft klopft an

Ein möglicher Regierungswechsel in Deutschland lässt die türkische Hoffnung auf einen EU-Beitritt schwinden

ISTANBUL taz ■ Der türkische Außenminister Abdullah Gül hat in diesen Tagen eine sehr unangenehme Aufgabe. Er muss ständig bestreiten, was doch offensichtlich ist. Nachdem er in der letzten Woche mehrfach erklärte, der Ausgang des französischen Referendums zur EU-Verfassung werde keine Auswirkungen auf den Beginn der Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU am 3. Oktober haben, muss er denselben Spruch nun wieder angesichts vorgezogener Neuwahlen in Deutschland aufsagen. In diesem Fall fügte Gül hinzu, die CDU-Vorsitzende Frau Merkel habe bereits während ihres Türkeibesuchs Anfang letzten Jahres erklärt, auch eine CDU-Regierung würde sich an Beschlüsse der EU halten.

Unterhalb der offiziellen Ebene wird „das Erdbeben in Deutschland“ etwa von der türkischen Tageszeitung Hürriyet mit großer Betroffenheit kommentiert. „Die Türkei verliert womöglich ihren wichtigsten Verbündeten“, befürchtet der Chefredakteur der Tageszeitung Radikal, Ismet Berkhan, und sein Kollege Murat Yetkin nimmt die zu erwartende politische Diskussion bereits vorweg und warnt davor, sich nun auf eine Debatte um die von der CDU favorisierte „privilegierte Partnerschaft“ einzulassen. „Am Ende steht die Türkei mit leeren Händen da.“

Mit Sorge hatte man in Ankara bereits in den letzten Wochen immer wieder nach Paris geblickt und feststellen müssen, wie sehr die Angst vor Türkei bei dem Referendum eine Rolle spielten. Erst vor wenigen Tagen lancierte Hürriyet einen Plan für eine privilegierte Partnerschaft der angeblich aus dem Umfeld des französischen Präsidenten stammen soll und nach einem „Non“ als Alternative aus der Tasche gezogen werden soll. Danach will man die Türkei damit locken, dass eine Einbindung in bestimmte (vor allem militärische Strukturen) bereits jetzt beginnen könnte, die finanzielle Unterstützung gleich hoch sein solle wie bei einem Beitrittsprozess und darüber hinaus die Türkei bei einer Partnerschaft unterhalb der Vollmitgliedschaft kein Veto der griechischen Zyprioten oder eines anderen EU-Landes fürchten müsse.

Die letzten Hoffnungen setzt die türkische Regierung nun in Tony Blair. Großbritannien wird ab dem 1. Juli die EU-Präsidentschaft übernehmen und gehört neben Deutschland zu den entschiedensten Befürwortern eines türkischen EU-Beitritts. Die britische Regierung ist bereits in die Verhandlungen um eine Formel für Zypern involviert und hat durchschimmern lassen, sie werde eine Lösung im Streit um die formale Anerkennung der griechisch-zypriotischen Regierung durch die Türkei finden. Ankara hofft dann, dass Blair auch wie angekündigt auf dem formalen Beginn von Beitrittsgesprächen bestehen wird.

Eindeutige Reaktionen über die neuen Schwierigkeiten für die Türkei auf ihrem langem Weg in die EU zeigten gestern zuerst die Kapitalmärkte. Die türkische Börse sackte schlagartig ab, und die für die kommenden Jahre in Aussicht gestellten ausländischen Direktinvestitionen scheinen nun wieder fraglich.

Passend zur aktuellen Debatte hat Ministerpräsident Tayyip Erdogan gestern den offiziellen Verhandlungsführer für die Gespräche mit der EU benannt. Es handelt sich um den bisherigen Wirtschaftsminister Babacan, der bislang die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds geführt hat.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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