■ Die ökologische Debatte muß mit mehr Pragmatismus geführt werden. Schluß mit den Untergangsszenarien: Öko-Optimismus
Was soll der aktive Umweltschützer eigentlich noch anstellen, um diese Gesellschaft aufzurütteln? Da steigt er beim Chemie- Riesen Ciba-Geigy auf den Hochkamin. Und was tut der Konzern? Er schickt Freßpakete nach oben. Da outet Greenpeace die deutsche Wirtschaftselite als „Klimakiller“. Und was tut das Establishment? Der Hamburger Springer-Verlag verleiht den Regenbogenkämpfern die „Goldene Kamera 1996“. Da bemühen sich die Grünen auf ihren Parteitagen, die Bürger zu erschrecken. Und was müssen Sie in einem Stern-Interview lesen? Heino, der blonde deutsche Volkssänger, bekennt: „Ich tendiere zu den Grünen. Ich wäre für die ein Aushängeschild.“
Der Einsatz für die Umwelt ist längst zum deutschen Schlager schlechthin geworden. Der Protest einer Minderheit mutierte in nur 25 Jahren zum Modell der Mehrheit. Keine soziale Bewegung unseres Jahrhunderts erzielte auch nur annähernd so schnell Erfolge wie die Umweltbewegung.
Die Antarktis steht unter Naturschutz. Auch die Serengeti ist nicht gestorben. Könnte Bernhard Grzimeck heute noch einmal über die weiten Grasflächen fliegen, würde er viel mehr Tiere sehen als 1957. Ungewöhnlich entschlossen nahm sich die Gemeinschaft der Staaten der Ozonschicht an. Nur 15 Jahre nach dem ersten Verdacht wurden im Montrealer Abkommen der weltweite Ausstieg aus der Produktion der ozonschädigenden FCKW beschlossen – angesichts globaler Verhandlungen sensationell schnell. Nobelpreisträger und Ozonforscher Paul Crutzen vom Mainzer Max- Planck-Institut sieht heute optimistisch in die Zukunft. Er erwartet, daß sich der Aufstieg alter FCKW- Partikel in die Stratosphäre noch eine Weile fortsetzt, doch der Zustrom des gefährlichen Gases werde nachlassen. Dann, so Crutzen, schließt sich auch das Ozonschild wieder.
In Deutschland sind die atomare Wiederaufbereitung und die Brütertechnologie vom Tisch. Aus dem Schnellen Brüter in Kalkar macht der Holländer Henry van der Most einen Vergnügungspark. Die Liste der ökologischen Erfolge ist lang, hier einige Schlaglichter:
In den 70er Jahren lebten im Rhein nur noch 23 Fischarten und 27 Spezies von Kleinlebewesen. Heute sind es wieder 40 Fischarten und 150 Formen von Kleingetier. Die Quecksilber- und Cadmium- Konzentration sank unter die Nachweisgrenze. Nicht nur das Wasser, auch die Luft ist heute erheblich sauberer als damals. Die Staubbelastung sank um 75 Prozent, Schwefeldioxid (saurer Regen) um 73 Prozent, Kohlenmonoxid um 43 Prozent. Die Vielzahl von Maßnahmen führte inzwischen dazu, daß die Menschen in Deutschland heute weniger mit Schadstoffen belastet sind, als die Generation ihrer Eltern. Untersuchungen der Muttermilch ergaben, daß alle Schadstoffe seit Anfang der 70er Jahre extrem zurückgegangen sind. Zahlreiche Arten erholen sich in rasantem Tempo. Selbst Storch und Uhu, Luchs und Lachs, Biber und sogar der Wolf kehren nach Deutschland zurück. Stück für Stück demontiert die Wirklichkeit die Katastrophen- vorhersagen der Vergangenheit. Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern vielfach auch international. Auch der deutsche Wald will partout nicht sterben, sondern wächst sogar.
Schreckensszenarien waren vielleicht einmal notwendig, um die Menschen aufzurütteln. Neue soziale Bewegungen müssen laut und schrill sein, sonst hört ihnen keiner zu. Wenn jedoch die Meinungsführerschaft erobert wurde, sind rationalere Töne gefragt. Professor Hartmut Graßl, einer der führenden Klimawarner sieht große Probleme durch den wachsenden Ausstoß des CO2-Gases auf uns zukommen, aber er fordert: „Man darf nicht übertreiben. Warum wird immer gleich mit dem Untergang gedroht? Wenn wir so weiter reden, werden wir die Leute mit Sensationsmeldungen so müde machen, daß sie überhaupt nichts mehr glauben.“
Wir leben gewiß nicht im Öko- Paradies, und die Menschheit wird sich weiter streiten und anstrengen müssen. Wer in den 50er und 60er Jahren vor den Folgen des industriellen Fortschritts warnte, wurde verlacht oder beschimpft. Heute ist es umgekehrt: Wer bezweifelt, daß die technische Zivilisation direkt in den Abgrund führt, wer die Umweltprobleme im besten Sinne der Aufklärung für lösbar hält, wer an ein besseres Morgen glaubt, dem weht der Wind des Zeitgeistes ins Gesicht.
Die Umweltbewegung kommt um eine neue ökologische Zustandsbeschreibung nicht herum. Während sich die Umwelt in Europa und Nordamerika erholt, fehlt es in den armen Ländern oft an den einfachsten Voraussetzungen für einen wirksameren Umweltschutz. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir leisten uns hier in Deutschland Schadstoffe im Mikrogrammbereich aus dem Trinkwasser herauszuholen, die gesundheitlich nicht relevant sind. Wir leisten uns den Luxus, praktisch Grenzwert 0 zu fordern, für Hunderte von Millionen Mark Utopien zu finanzieren, während es woanders an den simpelsten Mitteln zu Wasseraufbereitung fehlt.
Während man hierzulande immer öfter nach Phantomrisiken sucht und sich ansonsten dem Schicksal künftiger Generationen widmet, sterben in armen Ländern die heutigen Kinder. Völlig verseuchtes Trinkwasser und total verdreckte Luft sind die häufigsten Ursachen.
Praktische Ökologie verlangt nach Prioritäten. Aber es ist ökologisch und politisch tabu, über vertretbare Risiken im Umweltbereich zu diskutieren. Die Gesellschaft verabschiedet sich von der Möglichkeit, ökologisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen, weil nach der gängigen Doktrin jegliches Risiko unterschiedslos völlig ausgeschlossen werden muß. Asbest und Rinderwahn, Gentechnik und Bohrinseln, Trinkwasser und Babybrei: Alles ist gleich gefährlich. Ökologischer Beliebigkeit werden Tür und Tor geöffnet.
Wir müssen aber über ein vernünftiges Verhältnis von Kosten und Nutzen im Umweltbereich diskutieren, wenn Ökologie nicht zum irrationalen Selbstzweck werden soll. Anstatt alle intellektuelle Energie auf die Absicherung des einmal gefaßten Weltbildes zu konzentrieren, sollten die Schleusen geöffnet werden für neue Ideen, neue Techniken, neues Wissen und für Optimismus. Es geht schlicht um den Neuerwerb der besseren Argumente. Dirk Maxeiner, Michael Miersch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen