: Die neueste Mode ist von gestern
Idee für die Zeit nach dem Lockdown: Im Stuttgarter Gerber nimmt ein ressourcenschonenderes Verständnis von Mode Gestalt an. Aber lässt sich ein gut gekleideter Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit überhaupt schaffen?

Von Susanne Veil↓
Innenstädte spiegeln die Vorstellungen von Konsum, Wohlstand und Freizeit einer Gesellschaft wieder. Genau hier ist etwas in Bewegung geraten: Konsumfreude wird zunehmend abgelöst durch wertig vorgelebten Konsumverzicht. Weniger ist mehr, „Reduce, Reuse, Recycle“ heißt der neue Chic. Dem müssen sich Kaufhäuser als ehemalige Tempel wohliger Konsumfreude anpassen.
In Stuttgart ist diese Entwicklung an einem Ort besonders gut zu sehen: Das Einkaufszentrum Das Gerber wurde 2014 eröffnet. Seitdem wird hier munter mit verschiedenen Ladenkonzepten experimentiert. Aus reiner Not, denn bereits wenige Monate nach der Eröffnung verzeichnete das erste Stockwerk zu wenige Besucher. Der neuste Versuch springt auf den Nachhaltigkeitstrend auf: Das Gerber erprobt den Spagat, als Einkaufszentrum fürs Weniger-Einkaufen stehen zu wollen. Im ersten Obergeschoss gibt es Batikworkshops, um eigene Kleidung aufzuhübschen, Upcycling genannt, und ins Untergeschoss ist im Juli eine Second-Hand-Boutique eingezogen.
Das Komplexe aufs Konkrete runterbrechen
Sie will mehr sein als eine Gebrauchtwarenhandlung, nämlich eine Maßnahme zum Umdenken. Der sogenannte Future Fashion Store ist ein Modegeschäft mit Bildungsauftrag: Er will nicht nur Kleider verkaufen, sondern auch Informationen über die globale Modeindustrie vermitteln und zum Umdenken anregen.
Dahinter steht die Stiftung für Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ), die den Laden gemeinsam mit der Aktion Hoffnung betreibt. „Unsere Absicht ist es, komplexe entwicklungspolitische Zusammenhänge auf konkretes Handeln runter zu brechen“, erklärt der Vorstand der Stiftung, Philipp Keil. Im neuen Laden soll die Frage beantwortet werden, wie es funktionieren kann, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit zusammen zu bringen.
„Wir verstehen den Laden als ein Social-Start-up, einen Ort der Begegnung“, so Keil. Es gibt Workshops, in denen Bienenwachstücher gebastelt werden, in Filmabenden geht es um die Zustände in der Bekleidungsindustrie, es werden Kleidertauschpartys geschmissen und in Diskussionsrunden stellen sich Modelabels vor, die alles besser machen möchten.
Bei der ersten Veranstaltung im August waren sich alle einig, dass die Textilindustrie bislang neben den Bereichen Mobilität und Essen in der Nachhaltigkeitsdebatte stiefmütterlich behandelt wurde. An diesem Abend stellte sich ein junges Label vor, das nur auf Nachfrage produziert, weil 40 Prozent der produzierten Mode derzeit auf der Müllkippe lande.
Keil stimmt den Besucherinnen dieser Veranstaltung zu: „Im Textilbereich ist Nachhaltigkeit noch eine kleine Nische im Promillebereich. Dabei geht es hier um die Themen der Arbeitsbedingungen und Ökologie, wie Mikroplastik in der Kleidung, die dann die Umwelt verunreinigt, eine übermäßige Müllproduktion und den CO2-Ausstoß der Industrie“. Kurz: „Die textile Wertschöpfungskette deckt alle Themen ab“.
Wie nachhaltig ist der Hype um Second Hand?
Second-Hand-Mode soll ein Gegenentwurf zur sogenannten Fast Fashion, angelehnt an Fast Food, werden, die mit schlechter Qualität den Markt überflutet. Es ist billig produzierte Mode, die nur für eine Saison produziert wird, um möglichst schnell durch die nächsten Trends ersetzt zu werden. Die Nachfrage schafft sich damit selbst und die aussortierten Teile taugen aufgrund ihres hohen Synthetikanteils nicht einmal mehr zum Putzlappen. Die Alternative nennt sich Slow Fashion. „Das Gegenteil von schneller billiger Mode verlangt, sich bewusst zu werden, was du konsumierst und was du brauchst“, findet Philipp Keil. Das kann bedeuten, fair produzierte Mode zu kaufen, oder bereits produzierter Gebrauchtware zu einer längeren Nutzung zu verhelfen.
Um herauszufinden, wie vielversprechend der Hype ums Second-Hand-Geschäft ist, muss man nach Schorndorf blicken, wo schon länger an ein längeres Kleiderleben geglaubt wird: Monika Kraus stellt sich vor mit einem Witz. Ihr Name sei „schwäbisch sparsam mit nur einem S geschrieben“. Vor acht Jahren hat sie den Kultladen Wühli übernommen, den es seit bereits 40 Jahren gibt. Sie bestätigt den Trend: In diesen acht Jahren sei die Nachfrage stetig gestiegen.
Besonders interessant findet Kraus, dass der Kundenstamm zu Beginn noch zu 80 Prozent weiblich und nur zu 20 Prozent männlich war. Heute sei das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. In diesem Jahr, seit der Pandemie-bedingten Schließung im April, habe das Geschäft nochmal angezogen. „Das ist sicher auch den Kollateralschäden von Corona geschuldet, weswegen mehr Menschen in Kurzarbeit sind und zwei oder drei Mal überlegen, was sie brauchen und wo sie gute Qualität zu einem guten Preis bekommen“, vermutet Kraus.
Auf so einen langen Vergleichszeitraum kann Regina Hagmann-Kuttruf noch nicht zurückblicken. Sie ist die Bereichsleiterin für Second-Hand-Shops bei der Aktion Hoffnung, die den Future Fashion Store gemeinsam mit der SEZ betreibt. Das Konzept, im Einkaufszentrum auch Laufkundschaft anzulocken, die sich noch nicht mit den nachhaltigen Aspekten der Modeindustrie beschäftigt hat, funktioniere zunehmend: „Die Leute kommen interessiert und kritisch.“ Kritisch, weil die über 30-Jährigen mit Second-Hand-Kleidung noch allzu oft muffige Wühltische und den sozialen Aspekt der Kleiderkammer verbinden. In den Laden im Gerber kämen vor allem junge Mädchen: „Die Mädchen bringen ihre Mütter mit und nicht andersherum.“ Sie beobachtet auch, wie drei Generationen gemeinsam einkaufen. „Tauschen und Weitergeben war für die Großelterngeneration noch normal“, so Hagmann-Kuttruf. „Nun bringt diese Lebensphilosophie die Enkel und Großeltern wieder zusammen“, ist sie überzeugt.
Die unangenehme Wahrheit
Ein nachhaltiges Verständnis von Kleidung bedeutet aber nicht nur die Kleidung, die unter hohem Aufwand an Ressourcen wie Wasser, Arbeitskraft und Fasern produziert wurde, möglichst lange zu tragen und wenn sie nicht mehr gefällt, weiter zu geben. „Es geht auch um die unangenehme Wahrheit, dass wir weniger konsumieren müssen und wenn wir konsumieren, dann müssen wir es anders machen“, fasst Philipp Keil von der SEZ zusammen.
Das Thema soll raus aus der Nische und mitten in die Innenstadt. „Zum Standort im Kaufhaus kam es“, so Keil, „weil wir nicht in der B-Lage sein möchten. Wir wollen Mainstream werden, weg vom Jute-Verständnis.“ Das Gerber setze inzwischen sehr glaubwürdig auf das Thema Nachhaltigkeit, findet er.
Ist ein Laden, der zukunftsfähige Mode zum Thema hat, in einem konsumorientierten Kaufhaus aber nicht fehl am Platz? So war Charlotte von Bonins erster Gedanke. Sie ist Mitglied der Stuttgarter Ortsgruppe von Fridays-For-Future. Als der Shop im Juli eröffnete, wurde sie als Podiumsgast eingeladen. „Ich habe gezweifelt: Wie kann ich ehrlich in einen Konsumtempel wie das Gerber gehen und dort über Nachhaltigkeit und Konsumverzicht sprechen, mit dem H&M nebenan?“ Sie ging dann doch, weil „man ja auch die kleinen Schritte unterstützen kann“. So erreiche das Thema vielleicht Menschen, die sich sonst nicht damit auseinandersetzten.
Warum von Bonin einen Second-Hand-Shop im Kaufhaus nur als kleinen Schritt bezeichnet, wird klar, wenn sie aus ihrem Umfeld erzählt. Ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen bei Fridays-For-Future gingen überhaupt nicht mehr einkaufen – „und erst recht nicht im Gerber“. Aus ihrem weiteren Umfeld beobachte sie aber durchaus, dass das Konzept und der Laden gut ankommen: „Die allermeisten wissen, dass es nicht nachhaltig ist, ständig einzukaufen. Da ist Second-Hand eine gute Alternative. Und der Schweinehund, das Richtige zu tun, wird leichter überwunden, wenn der Second-Hand-Laden direkt neben dem H&M mitten in der Innenstadt liegt.“
Dass das Thema mitten in der Gesellschaft angekommen ist, verbucht sie als Erfolg der Fridays-For-Future-Bewegung. Sie kritisiere nicht, dass Menschen einkaufen, sondern dass Güter bereits mit einer kurzen Lebensdauer als Wegwerfprodukt hergestellt werden. „Der absolute Konsumverzicht ist in diesem System nicht möglich, es geht darum, dass mehr Bewusstsein reinkommt.“
„Konsum ist nicht per se schlecht“, findet Keil: „Wir möchten mit dem Future Fashion Store den oft bestehenden Widerspruch zwischen Wirtschaft und Nachhaltigkeit auflösen.“ Auch er ist der Meinung, dass mit Aufklärung ein bewussteres Einkaufen gelingt. Wirtschaftlich und nachhaltig zugleich bedeutet in dieser Hinsicht: „Der Future Fashion Store soll sich wirtschaftlich tragen, denn nur so kann es auch nachhaltig im Sinne von dauerhaft sein.“ Er ist überzeugt: „Future Fashion hat das Potenzial dazu.“ Noch sei man dort nicht angelangt. Er spricht von einem den Umständen entsprechend „hoffnungsvollen Start und guten Umsätzen“.
Dass Second-Hand „in“ geworden ist, beobachtet auch die Aktivistin Charlotte von Bonin. Sie möchte das aber nicht als Trend, sondern als grundlegenden Wandel verstanden wissen: „Die Werte ändern sich!“
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