piwik no script img

Archiv-Artikel

Die neuen Archivare

MTV und Viva – war da nicht mal etwas? Weil die Musikindustrie vor sich hin stirbt, versuchen Stephanie Renner und Conrad Fritzsch mit Tape.TV eine neue Form des Musikfernsehens anzubieten

VON ANDREAS HARTMANN

Keine Chance, nichts zu machen, vor den Clip hat Tape.TV, das selbsternannte „Musikfernsehen der neuen Generation“, erst mal die Werbung gesetzt, den furchtbaren Telekom-Spot mit dem dicken Opernsänger aus der Talentshow, der die Welt entzückt. Hektisch drückt man irgendwelche Tasten, den Dicken will man jetzt auf gar keinen Fall sehen, clickt sich weg, clickt sich wieder rein, bringt alles nichts – erst Tenor, dann Clip. Das nervt.

Conrad Fritzsch, einer der beiden Betreiber von Tape.TV, das seinen Sitz gerade von Prenzlauer Berg raus nach Weißensee verlegt und seit gut einem Monat via Internet auf Sendung ist, hat Verständnis für das Genervtsein. Auf längere Sicht soll das besser werden, wer dann keine Opernsänger von der Telekom sehen will, soll das auch nicht müssen. Ist halt alles noch in der Ausprobierphase bei seinem Internet-Portal.

Immerhin: Tape.TV stellt den Versuch dar, überhaupt wieder so etwas wie Musikfernsehen anzubieten. Wir erinnern uns: MTV, Viva, da war doch mal was. Das waren die Sender aus dem Opa-Medium Fernseher, auf denen in den Achtzigern Popkultur abgebildet und zelebriert wurde. Die Stars wie Madonna und Michael Jackson erst so richtig riesig werden ließen, die zeitweilig den Musikclip zu einer eigenen Kunstform erhoben.

Teilweise gab es da Budgets für einen kurzen Vierminüter zu verschleudern, mit denen deutsche Filmemacher ganze Spielfilmproduktionen regeln durften. Aus und vorbei. Auf MTV laufen heute Dating- und Promi-Shows, die Musikindustrie hat nicht mal mehr das Geld für teure Plattenaufnahmen, wie soll sie da noch was für Clips zum Fenster rauswerfen?

Und der übrige Bedarf an bewegten Bildern zur eigenen Lieblingsmusik, der wird inzwischen halt durch das Internet abgedeckt, durch Plattformen wie MySpace und natürlich YouTube. Dort kann man sehen, wie selbst zu der obskursten Neofolkband aus Brooklyn ein befreundeter Kunststudent sich eine Bebilderung ausgedacht hat.

Das Musikvideo ist also tot und lebt doch fort. Aus einem massenkulturellen Promo-Vehikel ist eine Nischenangelegenheit von geringer Wirkmacht geworden. Eine regelrechte und überraschende Ausnahme war da der YouTube-Hit „Stress“ des französischen Dance-Acts Justice, der aufgrund provokativer Bilder aus den Banlieus und ausnahmsweise mal wieder einem dicken Budget nochmals Gegenstand popkultureller Betrachtung wurde. Aber das ist, schließlich lebt Pop vom Rausch des Jetzt, auch schon wieder eine gefühlte Ewigkeit her.

Die Sache mit dem Musikfernsehen war also eigentlich schon gegessen, und von einem Phantomschmerz war auch nicht mehr die Rede. Und doch versuchen es Stephanie Renner und Conrad Fritzsch, die beiden Geschäftsführer des neuen Internet-Senders, mit Tape.TV nochmals. „Es geht uns dabei um das Musikvideo“, erklärt Fritzsch, und Renner ergänzt, „um die Konzentration auf die Sache“. Sie meinen damit: der ganze Lifestyle, die Abbildung eines Lebensgefühls, das, was die sprichwörtliche MTV-Generation noch kannte, das bleibt bei Tape.TV alles außen vor. Wer ihr Portal anclickt, der will nicht mehr gleich Teil einer Marke sein, die ewiges Happy-Go-Lucky und globalen Glam verspricht, sondern der will bloß sehen, was es auf dem Musikmarkt Neues gibt oder wissen, wie sich Duffy, Santogold und all die anderen, von denen man schon im Radio hat hören können, gerade so visuell präsentieren.

Schlicht und einfach, ohne großen Schnickschnack und doppelten Boden. Und endlich auch in einer Bildqualität, die einigermaßen mit der eines Flachbildfernsehers konkurrieren kann. Zwar hat die Durchdigitalisierung der Popkultur erwiesen, dass man bereitwillig MP3s aus schepprigen Laptop-Boxen anstatt aus der guten, alten Stereoanlage hört und sogar grobgepixelten Bildgulasch von YouTube hinnimmt. Doch vielleicht, und das könnte die echte Chance des neuen Internet-Senders sein, gibt es ja wirklich noch ein paar Clipinteressierte, die die recht ordentlich gestreamten Musikvideos auf Tape.TV zu schätzen wissen.

Noch – Fritzsch betont es erneut: „wir befinden uns noch in der Startphase“ – muss man bei Tape.TV allerdings mit einer Internet-unüblichen begrenzten Auswahl an Clips vorlieb nehmen. Ist es der Internet-User doch eigentlich gewohnt, im Netz alles haben zu können, ist er bei Tape.TV darauf angewiesen, was die Redaktion auf ihre Streams setzt. Und wer unter der eingerichteten „Headbanger“-Rubrik für Metal-Clips dann Bon Jovi serviert bekommt, der ist vielleicht ganz schnell wieder woanders, wo er wirklichen Metal findet.

Aber vielleicht wird das ja alles noch, vielleicht wächst Tape.TV tatsächlich zu einem Musikvideo-Archiv an. Vom Prinzip her sei das der Plan, bestätigen Renner und Fritzsch. Man sei kräftig am Sichten und Digitalisieren, und die Musikindustrie, die vor sich hin stirbt und so dermaßen illusionslos geworden ist, sei langsam dazu zu bewegen, bereitwilliger für Inhalte zu sorgen. Wäre dem Portal nur zu wünschen. Und vielleicht dann doch coolere Werbepartner. Solche, wie MTV sie hat.

www.tape.tv