piwik no script img

Die neue Filmzeitschrift CargoDer Anspruch aufs Ganze

Das neue Magazin Cargo will den Brückenschlag zwischen Akademie, Feuilleton und Film schaffen.

Film, Medien und Kultur sind die Themen der neuen Zeitschrift Cargo. Bild: screenshot www.cargo-film.de

Es gibt eine neue Zeitschrift. Sie trägt den etwas zugeknöpften Namen Cargo, erscheint vierteljährlich und beschäftigt sich, das verrät der Untertitel, mit "Film/ Medien/Kultur". Dahinter steht kein großer Verlag, noch nicht einmal ein kleiner, sondern die private Initiative von drei Filmjournalisten und -wissenschaftlern - Bert Rebhandl, Simon Rothöhler und Ekkehard Knörer -, die auch im Kulturteil der tageszeitung publizieren.

Weshalb die Publikation einen Namen trägt, der ebenso gut ein Logistikunternehmen zieren könnte, erklärt das Kleingedruckte auf der Titelseite: Film sei heutzutage "zu einem Frachtgut geworden, das an unterschiedlichsten Orten versandt und gelöscht wird". Film, so die Überzeugung der Heftmacher, hat seinen privilegierten Ort nicht länger nur im Kinosaal. Man findet ihn überall, in der Kunst, im privaten Raum, in der Gesellschaft. Wenn sich aktuell die Möglichkeiten vervielfältigen, Filme zu betrachten - Heimkino, Video-on-Demand, Handybildschirme -, dann muss das Nachdenken über Film dieser Entwicklung folgen.

Das heißt nichts weniger, als unsere Gegenwart im Film, den Film in unserer Gegenwart zu suchen und freizulegen: Dieser Anspruch aufs Ganze unterscheidet Cargo von anderen Zeitschriften zum Kino. Film soll verstanden werden als "ein Schlüssel zu unserem Leben in Gesellschaft und Gemeinschaft (und in der Geschichte)", heißt es programmatisch im Editorial. Unter dem Dach dieser sympathisch überambitionierten Vorgabe hat in der ersten Ausgabe vieles Platz: ein klassisch gestrickter Themenschwerpunkt zur Berlinale ebenso wie ein Essay zur nihilistischen Kraft der indischen Null im protestantischen Kapitalismus; Gus Van Sants Biopic "Milk" wird als Übergangsfilm von der Bush- zur Obama-Ära gedeutet; der Regisseur Thomas Harlan gibt im Interview Auskunft zur Darstellung von NS-Tätern, zum Linksterrorismus und zu Dreharbeiten unter revolutionären Verhältnissen; ein Dossier zur Fernsehserie "The Wire" enthält eine Einführung in die Arbeiten des Soziologen und urbanen Enthnografen Sudhir Alladi Venkatesh.

Außerdem geht es um Fernsehen, Videokunst, DVDs, Comics, Theater und Bücher. Ein bisschen von allem und von einem sehr viel: Text. Cargo, ein Heft im Magazinformat über visuelle Künste und Medien, hat keine Scheu, seitenlang unbebildert zu bleiben. Zwei- bis dreispaltig presst sich der Text in die Seiten. Da wünscht man den Herausgebern das nächste Mal etwas mehr Mut zur gestalterischen Lücke.

Cargo will den Brückenschlag zwischen Akademie, Feuilleton und Filmschaffen. Die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch schreibt über Kapitalismuskritik in "La question humaine" von Nicolas Klotz, Diedrich Diederichsen über Claire Denis, der Regisseur Christian Petzold trägt eine Comic-Kolumne bei. Ein Autorenheft will man sein, manchmal steht statt einer Überschrift nur der Name des Verfassers.

So ganz entschieden, was eigentlich im Fokus stehen soll - Namen oder Filme? -, hat sich die Redaktion offenbar noch nicht. Auch geht der Abgleich von Film als persönlichem Erlebnis, als Gegenstand theoretischer Analyse und als Produktionszusammenhang nicht immer reibungslos auf. Das hat Ekkehard Knörer erlebt, der die Dreharbeiten von Dominik Grafs Fernseh-Mehrteiler "Im Angesicht des Verbrechens" besucht hat und feststellen musste, dass er dort eigentlich fehl am Platz ist ("Ich bin der einzige hier, der keine Funktion besitzt fürs Ganze in diesem Apparat").

Rezensionen wöchentlicher Filmstarts gibt es keine. Die sind für die Website vorbehalten. Auf www.cargo-film.de findet man außerdem Tagesaktuelles, Video-Interviews mit Filmemachern und Blog-Einträge der Autoren. Die doppelte Medienstrategie entspringt der Hoffnung, dass beides möglich ist: der digitalen Entwicklung Rechnung zu tragen ebenso wie der Reflexion aufs Hintergründige, die den Freiraum und die Muße der gedruckten Seite braucht.

Es gibt eine neue Zeitschrift. Man darf gespannt sein, welches Frachtgut sie als Nächstes zu uns bringt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!