„Die machen sich doch lächerlich“

■ Die Großrazzia gegen den Hamburger Chaos–Computer–Club läßt viele Fragen offen

Das geknackte Computerzentrum der europäischen Kernforschungsanlage CERN und der Einbruch im Hauptrechner des französischen Philipps–Konzerns lieferten den Vorwand für die bislang spektakulärste Polizeiaktion im Bereich der Computerkriminalität. Doch die Hamburger „Hacker“, deren Verein und Wohnräume durchsucht wurden, können sich nur wundern. Denn Datenklau, den die Polizei nun angeblich verfolgt, haben sie nie betrieben. Statt dessen allerdings mehrfach Firmen und die Post blamiert, indem sie de Unzulänglichkeit deren Systeme aufdeckten.

Noch immer rätseln die Mitglieder des Chaos Computer Clubs (CCC) über die Gründe der Hausdurchsuchung durch das BKA und französische Behörden. Sicher ist nur, daß die beschlagnahmten Materialien die Anklage gegen Wau Holland und Steffen Wernery nicht stützen können. Was, so Holland, will das BKA mit einer „Discette, auf der sich telefonische Kleinanzeigen–Erfassungsprogramme“ befinden oder mit „zwölf zum Teil deutlich verstaubten Magnetbändern?“ Am Montag abend wurden nicht nur die beiden Privatwohnungen von Holland und Wernery durchsucht, sondern auch der zweite Wohnsitz von Holland in Heidelberg. Dort klingelten die Beamten Hollands Geschäftspartner aus dem Bett, durchsuchten sämtliche Unterlagen und verschwanden erfolglos wieder. Inzwischen zeigten die CCC–Leute in Hamburg den Behörden, was moderne Kommunikation im Computerzeitalter heißt: Als Wernery während der Durchsuchung einen Lichtschalter drückt, strahlt eine 500–Watt–Birne auf, und ein Kamerateam dokumentiert die Hausdurchsuchung. Schon um 22.00 Uhr meldet SAT 1: „Zur Zeit läuft eine Durchsuchung beim CCC...“ Für Holland ist das der erfreuliche Aspekt an der ganzen Sache. Ansonsten werden Datenreisende sich für die Zukunft Gedanken machen müssen, wie man sich bei derartigen Durchsuchungen verhält. Beschuldigt werden Holland und Wernery, beim europäischen Kernforschungszentrum (CERN) in Genf und der Firma Phillips in Frankreich „geknackt“ zu haben. Beide Unternehmen arbeiten mit VAX–Programmen, den am besten vernetzten Großrechnersystemen, auf denen große Datenmengen im Netz hin– und hergeschoben werden können. Bei der mindestens dreimonatigen Vorbereitung des BKA auf die Durchsuchung hätte auffallen müssen, daß sowohl Holland als auch Wernery über keinerlei Know–how für dieses Programm verfügen. Für den Hamburger Informatikprofessor und Experten für Rechnersicherheit, Prof. Klaus Brunnstein, hat es „so etwas Spektakuläres“ wie die Durchsuchung des Chaos Computer–Clubs auf diesem Gebiet bisher nicht gegeben. Nur sehr vereinzelt seien bisher die im letzten Jahr eingeführten neuen Paragraphen gegen Computerkriminalität oder -sabotage (s. Kasten) gegen wirkliche „Computerkriminelle“, die sogenannten „Cracker“, angewandt worden. Bei ihrer Aktion gegen den Chaos–Computer–Club hätten sich Polizei und Justiz jedoch das „völlig falsche Objekt“ ausgesucht. Da man dieser rein kommerziell motivierten „Cracker“ nicht habhaft werden könne, wolle man jetzt offenbar das Vorgehen bei den eher ethisch motivierten „Hackern“ ein wenig proben, vermutet Brunnstein. Juristisch gesehen seien die entsprechenden Strafvorschriften auf die dem Club angelasteten Computer–Einbrüche wie etwa bei der NASA oder der Firma Philips gar nicht anzuwenden, meint Brunnstein, denn strafbar sei nur das Ausspähen „besonders geschützter“ Daten. Nach seiner Erfahrung hätten die „Hacker“ jedoch gar nicht in die Computersysteme eindringen können, wenn diese wirklich geschützt gewesen wären. Allein ein einfaches Schlüsselwort reiche zum Schutz der Daten nach dem heutigen Stand der technischen Möglichkeiten nicht aus. „Außerdem müßte bekannt sein, daß wir in den wisenschaftlichen Rechenzentren die Kommunikation mit anderen wollen und deshalb die Sicherheitsmechanismen gerade bewußt nicht einschalten. Vor diesem Hintergrund, wenn das BKA das wüßte und trotzdem eine solche Durchsuchungsaktion machte, wäre sie jedenfalls lächerlich.“ Für die beschuldigten Holland und Wernery wird der Schaden erheblich sein. Auf den zwölf beschlagnahmten Magnetbändern befindet sich Hollands gesamtes Software–Entwicklungssystem der letzten zwölf Jahre. Er wartet nun auf die Kopien und mußte bereits einen wichtigen Termin platzen lassen. Brigitte Jakobeit