Die letzten zehn Tage: Gute Laune, schlechte Laune
Jetzt ist es noch still. Und spießig. So spießig wie Heizen. Geheizt wird trotzdem – egal, ob mit eingestanztem „L“ oder mit Asbest
Morgends um acht ist der Tag frischgewaschen und still. Das Resthasch im Kopf stört auch nicht allzusehr. Beim Zeitungsladen fragt jemand, ob er gewonnen habe. Frau Schneider sagt: „Nein“ und er dann: „Na ja, an Erfahrung“. Wir spielen Lotto, nicht weil es uns gefällt / wir spielen Lotto, denn wir brauchen Geld. Dann Croissant, weil man dabei rauchen kann. Die Intensität der privaten Weihnachtsbeleuchtungen – mit Lichternetzen an Balkonen usw. – hat schon wieder etwas abgenommen. Ein subjektiver Eindruck. Jetzt ist es noch still. Erst später werden BSR und Reklame kommen und klingeln. Es ist spießig, die Reklame draußen stehen zu lassen.
Unter mir wohnt zur Zeit keiner, über mir sowieso nicht. Ein Eckzimmer mit kaputten Fenstern ist im Winter von Nachteil. Die billigen Kohlen schmutzen sehr und verbrennen hastig.
Meine Mitbewohnerin will neue, bessere kaufen und hat damit begonnen, verschiedene Kohlenhändler anzurufen, um Preise zu vergleichen. Sie sucht nach besonderen Briketts. Im Zitty hatte gestanden, dass man welche mit eingestanztem „L“ kaufen solle, da wäre kein Schwefel drin. Ich finde das alles unglaublich spießig und würd’ am liebsten welche mit Asbest drin kaufen. Heizen ist sowieso spießig. Natürlich mach’ ich es auch, aber trotzdem.
Schlechte Laune! Nachdem ich grade mit einem langen Booklettext über den tollen Losermusiker Daniel Johnston fertig war, für den ich 400 Mark kriegen sollte, schickte Henning Nass („seven x“) eine E-Mail, dass aus der LIVE-in-der-Volksbühne-CD, für die der Text gedacht war, wohl doch nichts würde, weil der Manager plötzlich 15.000 Dollar Cash fordere. Er ärgere sich auch sehr, so Nass, denn er hätte schon 4.000 Mark in die Sache gesteckt gehabt.
Gute Laune: Dietrich Kuhlbrodt, Ex-Chefideologe von chance2000 und mein vermutlicher Onkel, hat mir die Kopie eines Artikels aus der Bremer Lokal-taz geschickt. Darin ging es um einen Kurzfilmwettbewerb und den Film „Todesufer“. „Gaststar: Detlef Kuhlbrodt“. Daneben ein großes Foto, auf dem Dietrich eine Wasserleiche in Händen hält. Unterschrift: „Der Autor und langjährige Juror bei der Freiwilligen Selbstkontrolle FSK, Detlef Kuhlbrodt jetzt mal als Schauspieler.“ Als ich neulich in Bremen einen Vortrag über „Matrix“ hielt, war ich auch schon völlig falsch angekündigt worden. Klasse! „Mit dem Thema des Identitäts-Switches ist ‚Todesufer‘absolut up to date, siehe ‚Fight Club‘.“
Vor dem Nike-Kaufhaus am Tauentzien singen drei jugendliche Touristen „Jingle Bells“. Das Geschäft „Schuhtick“ entstand vermutlich in einer Zeit, als man noch nicht so selbstverständlich das Wort ficken in den Mund nahm. Im Schuhfickschaufenster stehen vier kleine Farbfernseher, in denen ein gemütliches Kaminfeuer brennt. Eine nette Frau mit Kopftuch und Kind steht auch da und sagt, sie sei aus Sarajewo. Nachdem ich ihr was gegeben habe, liest sie aus meiner Hand vor: Vielfältige Probleme. In zwei Jahren würde aber alles besser werden. Dann gibt’s zwei süße kleine Kinder – Junge und Mädchen. Außerdem solle ich oft spazierengehen. So ging ich zur Hasenheide. Neben der Hasenheide lag ein zerknüllter Einkaufszettel. Darauf stand in energischer Schrift: „2 Knarren, Telefonkabel, Kopfhörer, Rezept, Viereckbatterie.“ Detlef Kuhlbrodt
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