Die letzte RAF-Gefangene: Birgit Hogefeld auf Freigang
Nach 16 Jahren Haft kommt Birgit Hogefeld in den Freigang. Eine Begnadigung durch Bundespräsident Horst Köhler steht bisher aus.
BERLIN taz | Nach mehr als 16 Jahren Haft ist das frühere Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) Birgit Hogefeld nach taz-Informationen in den offenen Vollzug verlegt worden. Für die in Frankfurt-Preungesheim Inhaftierte bedeutet dies, dass sie seit Mitte August tagsüber die Haftanstalt verlassen darf, die Nächte aber in Gewahrsam verbringen muss. Anfang Oktober hat Hogefeld eine Tätigkeit als Volontärin im Großraum Frankfurt am Main aufgenommen.
Die 53jährige Hogefeld wird der "dritten Generation" der RAF zugerechnet, deren zahlreiche Anschläge in den Achtzigerjahren bis heute nicht aufgeklärt sind. Unter anderen fielen den Attentaten der Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen (1989), der Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts (1986) und der Präsident der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder (1991) zum Opfer.
Nach der Haftentlassung von Christian Klar im Dezember des vergangenen Jahres ist Hogefeld die letzte Inhaftierte, die der RAF zugerechnet wird - abgesehen von Verena Becker, die am 28. August diesen Jahres wegen einer möglichen Beteiligung an der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback im Frühjahr 1977 erneut in Untersuchungshaft genommen wurde.
Birgit Hogefeld, die an der Selbstauflösung der RAF in den Neunzigerjahren wesentlich beteiligt gewesen sein soll, wurde im November 1996 vom Oberlandesgericht Frankfurt wegen Mordes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sah als erwiesen an, dass sie im August 1985 den US-Soldaten Edward Pimental aus einer Wiesbadener Bar in den Wald gelockt hatte und an seiner Erschießung beteiligt gewesen war. Mit Pimentals ID-Card verschaffte sich die RAF am Tag darauf Zugang zur US-Airbase am Frankfurter Flughafen und brachte einen mit 200 Kilogramm Sprengstoff beladenen Personenwagen zur Detonation. Ein Mann und eine Frau starben, zwei Menschen wurden schwer verletzt. Hogefeld kritisierte die Ermordung Pimentals ausdrücklich. Vor Gericht sagte sie: "Die Erschießung des GIs Edward Pimental war eine der schlimmsten Fehlentscheidungen der RAF. Eine Aktion wie diese ist aus menschlicher wie moralischer Sicht ganz einfach nicht zu rechtfertigen."
Hogefeld wurde im Juni 1993 bei einer Schießerei in Bad Kleinen verhaftet. Bei dem desaströsen Polizeieinsatz kam ihr RAF- und Lebensgefährte Wolfgang Grams unter nicht genau geklärten Umständen ums Leben, Grams erschoss zuvor den GSG-9-Beamten Michael Newrzella.
Nach der Verbüßung von 15 Jahren Haft beantragte Hogefeld, die im Gefängnis ein Fernstudium der Sozialpsychologie und Literatur an der Universität in Hagen abschloss, die Aussetzung ihrer Reststrafe zur Bewährung. Das Oberlandesgericht wies Ende Juli 2008 diesen Antrag aber mit der Begründung der Schwere ihrer Schuld zurück und legte den Sommer 2011 als frühest möglichen Termin einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung fest.
Der Fall Hogefeld beschäftigte auch das Bundespräsidialamt. Im Zusammenhang mit der in der Öffentlichkeit erregten Debatte um eine mögliche Begnadigung des früheren RAF-Mitglieds Christian Klar lehnte Bundespräsident Horst Köhler auch ein Gnadengesuch Hogefelds im Mai 2007 ab, weil er "sich nicht in der Lage" sah, dem Antrag zu entsprechen. Im Gegensatz zu seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber Klar wies Köhler in seiner Entscheidung aber darauf hin, dass er "zu gegebener Zeit erneut und von Amts wegen über das Gesuch befinden" werde. Das liegt nun auch mehr als zweieinhalb Jahre zurück.
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