Die kroatische Gesellschaft hat den Nationalismus abgewählt: Rückkehr nach Europa
Sicherlich, man soll nicht leichtfertig mit dem Begriff „historisch“ umgehen. Doch der Sieg der kroatischen Opposition bei den Parlamentswahlen vom letzten Montag verdient es, so genannt zu werden. Innen- wie außenpolitisch wird der Triumph des sozialliberalen Bündnisses über die seit 10 Jahren ununterbrochen herrschende „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) die Weichen für das Land neu stellen. Zudem hat der Machtwechsel in Zagreb für ganz Südosteuropa eine weit reichende Bedeutung. Denn ein neues, demokratisches Kroatien könnte dort auch eine neue Rolle übernehmen: als Motor der Demokratisierung und Friedensstifter.
Dabei wollten die Führer der Opposition noch bis zuletzt nicht an ihren Sieg glauben. Bei vorausgegangenen Wahlen hatte es die HDZ unter dem vor kurzem verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman immer wieder verstanden, mit dem Appell an nationale Emotionen die Stimmung doch noch umzudrehen. Diesmal jedoch hat diese Strategie nicht funktioniert – und das nicht nur, weil Tudjman nicht mehr lebt. Die kroatische Gesellschaft will in ihrer großen Mehrheit andere Weichen für die Zukunft stellen als die HDZ. Und das heißt vor allem: wieder Anschluss an die Entwicklung Europas finden, demokratische Reformen durchführen, die Wirtschaft ankurbeln und – fünf Jahre nach Ende des Krieges – auch im Inneren endlich zu zivilen Verhältnissen zurückfinden.
Die kroatische Bevölkerung hat mit dieser Wahl gezeigt, dass sie sich nicht mehr von einer Partei regieren lassen will, die sich selbst als „Bewegung“ versteht. Die HDZ behandelte den Staat als ihr Eigentum; die gesellschaftlichen Institutionen wurden gleichgeschaltet um sicherzustellen, dass Wirtschaft, Justiz, Polizei und Armee, aber auch die Massenmedien alle für ein übergeordnetes Ziel am gleichen Strang ziehen. Und dieses Ziel hieß: Die Existenz des kroatischen Staates sichern – nach außen wie auch gegen die „Gegner im Inneren“, also gegen Oppositionelle jeglicher Couleur. Mit allen Mitteln.
Sicherlich, Tudjman und seiner Partei gebührt in den Augen der meisten Kroaten nach wie vor das historische Verdienst, das Land in die Unabhängigkeit geführt zu haben. Und der jetzige Sieg der Opposition bedeutet nicht, dass nun bezüglich der Frage des souveränen kroatischen Staates das Rad der Geschichte zurückgedreht wird. Aber der totalitäre Machtanspruch von Tudjmans HDZ wurde seit Beendigung des Krieges in Kroatien 1995 zunehmend als Belastung empfunden. Obwohl der ehemalige Präsident seit Gründung seiner Partei im Jahre 1989 immer wieder erklärt hatte, Kroatien gehöre zu Mitteleuropa und nicht etwa zum Balkan – gerade er hat mit seiner Politik sein Land von Europa isoliert. Der Aufbau einer totalitären Staatsstruktur passt eben nicht zur Entwicklung einer demokratischen Europäischen Union. Schwer wiegt ebenso, dass gerade die so genannten Idealisten, die hehren Kämpfer für die kroatische Nation innerhalb der HDZ, den Bürgern ungeniert in die Taschen gegriffen und den Staat ausgeplündert haben. Tudjmans Familie scheint ebenso involviert wie der größte Teil der führenden Funktionäre seiner Partei.
Der Abbau der Steuern, der Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaates, Gewaltenteilung, Pressefreiheit und das Versprechen, in Kroatien europäische Standards durchzusetzen – das waren die Themen, die der Opposition letztendlich zum Siege verhalfen. Mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament kann sie nun die Macht des Präsidenten beschneiden und die der Regierung erhöhen.
Im Ausland wird die Erleichterung der Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen serbischer Nationalität als Gradmesser für die Einlösung der Versprechungen der neuen Regierung angesehen werden. Ebenso wird sich die neue Führung in Zagreb um eine Aussöhnung in Bosnien-Herzegowina bemühen müssen. Die Personen, die jetzt gewählt wurden, stehen für eine solche Politik: Ivica Račan, der voraussichtlich neue Premierminister, hat seine Absichten oftmals öffentlich ausgedrückt. Die westherzegowinischen Extremisten, die kroatische Kriegspartei in Bosnien, werden in Zukunft also Schwierigkeiten haben, sich im Mutterland Gehör zu verschaffen. Zivile kroatische Kräfte und Politiker in Bosnien wie Stjepan Klujić oder der Kardinal von Sarajevo dagegen werden in Zagreb künftig viel Rückhalt finden.
Nun stehen noch die Präsidentschaftswahlen aus. Der Kandidat der bisherigen Opposition, Dražen Budiša, hat nach dem oppositionellen Sieg die besseren Chancen zu gewinnen. Aber selbst im Falle eines Sieges des von Skandalen unberührten bisherigen HDZ-Außenministers Mate Granić könnte eine neue Politik in Kroatien durchgesetzt werden – Granić selbst hat in den letzten Tagen mehrmals angedeutet, dass er dazu bereit ist. Erich Rathfelder
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