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Archiv-Artikel

VON WEGEN MINIMAL MORALIA: LIEBE DEIN GERÜMPEL WIE DICH SELBST Die innigen Beziehungen von Menschen zu Material

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VON ARAM LINTZEL

Wäre das Leben nicht nur ein Kunstwerk, wie Michel Foucault und andere Diskursdandys meinten, sondern gleich eine ganze Kunstrichtung, dann wäre Minimal Art der epochale Stil fürs Leben. Die Ratgeber zur Verschlankung des Lifestyles sind Legion und der Appell hallt und echot: Je reduzierter man existiert, desto besser. Auch in meinem politischen Nahraum findet die Minimal Moralia Gehör. So ist bei den Grünen der Ökonom Niko Paech ein oft und gern gesehener Gast. Zu dessen bestechender und durchaus sympathischer „Postwachstumsökonomie“ gehört unter anderem das Plädoyer für „Entrümpelung“: Man solle sich all des Ballasts entledigen, „der Zeit, Raum und ökologische Ressourcen beansprucht, aber nur minimalen Nutzen stiftet“.

Das ganze Gerümpel soll also weg? In den angloamerikanischen Kulturwissenschaften ist seit ein paar Jahren eine gegenläufige Bewegung zu beobachten. In den sogenannten Thing Studies und Material Culture Studies interessiert man sich verstärkt für banale Dinge des Alltags, für Kram und Zeug, sei es der Zahnstocher oder der Bleistift. Statt Entrümpelungsappellen wird dort nahegelegt, sich das ganze Zeug mal genauer anzuschauen. Etwas stotternd und zögerlich fand dieser Dingdiskurs bisher seinen Weg in die deutsche Theorielandschaft, zwei Veröffentlichungen könnten jetzt aber zu Importbeschleunigern werden: „Der Trost der Dinge“ (englisch: „The Comfort of Things“) des britischen Ethnologen Daniel Miller und der von Anke Ortlepp und Christoph Ribbat herausgegebene Reader „Mit den Dingen leben. Zur Geschichte der Alltagsgegenstände“. Letzterer stellt die US-amerikanische Diskussion anhand ausgewählter Aufsätze einem deutschen Publikum vor.

Beide Bücher verdeutlichen, dass unser Verhältnis zu den Dingen alles andere als verdinglicht ist. Vielmehr, so Miller, seien materielle Objekte „integrale Bestandteile der Beziehung zu anderen Menschen“. Dinge könnten nicht nur selbst Gegenstand von Sorge und Hingabe sein, sondern ebenso Mittler unserer Zuwendung zu anderen Menschen. Wie die Culture Studies misstrauen auch die Material Culture Studies einer schlichten Konsumkritik. Denn Konsum muss nicht entfremdend sein, vielmehr können Warenobjekte „erfüllende Beziehungen“ (Miller) schaffen. Für „Der Trost der Dinge“ hat Miller in langer Recherche ausgewählte Londoner Haushalte untersucht. Minutiös beschreibt er in seinen wissenschaftlichen Kurzgeschichten die „Ästhetik einer eigenen Dingkultur“ anhand von Inneneinrichtungen, Kleiderstücken, Technik, Nippes und so weiter. Es ist oft rührend, zu verfolgen, wie ein alter Laptop, Spielfiguren von McDonald’s oder Quietschenten identitäts- und sinnstiftend werden. Manchmal wirken Millers Beschreibungen des Verhältnisses von Mensch und Ding wie Beweisführungen zu José Ortega y Gassets Bonmot, dass der Mensch nur das Überflüssige notwendig brauche.

Millers Porträts der Mensch-Ding-Schnittstellen lassen sich flott weglesen. Im Vergleich dazu holt der akademischere Sammelband „Mit den Dingen leben“ weiter aus: Die Axt, das Korsett, die Tupperware, die Lavalampe oder Jeans sind hier Untersuchungsgegenstände. Konstatiert wird gleichwohl eine Konjunktur von „Dinggeschichten“ inner- und außerhalb von Akademia. Die versammelten Texte seien aber keine „populärhistorischen Liebhabergeschichten“, sondern kontextorientierte Analysen, die Fragen von Geschlechterrollen, Ethnizität und Repräsentation ins Spiel bringen sollen. Kein Ding sei zu klein und primitiv, um nicht kulturell codiert zu sein. Der unterhaltsamste Beitrag ist der des kanadischen Kommunikationstheoretikers Will Straw über die Zirkulation von CDs auf Straßenflohmärkten in Montreal. Als „eines der beliebtesten Diebstahlobjekte aller Zeiten“ werden dort CDs Gegenstand eines kuriosen und komplexen Prozesses aus Entsorgung, Wiederverwertung und Weiterverkauf.

Die innigen, oft sentimentalen Beziehungen von Menschen zu Material widersprechen einer kulturpessimistischen Materialismusdiagnose. Ob Luxusgut oder Schrottteil: Eine „Hingabe an die Dinge“ (Miller) ist immer möglich. In Zeiten, in denen man von zwangsindividualistischen Produkt- und Innenausstattungstipps malträtiert wird, wirken die objektfixierten Schrullen und Idiosynkrasien der Leute in „Der Trost der Dinge“ fast wie dissidente Leistungen. Davon abgesehen ist es einfach angenehm, Texte zu lesen, die nicht Ausnahmezustände und Katastrophen übertheoretisieren, sondern sich demütig die banale Ordnung der Dinge vornehmen. Und es sage bitte niemand, es handele sich bei dieser Ethnologie des Eigenen nur um ein zum Diskurs verbrämtes Nerdtum.

■ Aram Lintzel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen- Bundestagsfraktion und freier Publizist in Berlin