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Archiv-Artikel

Die heilige Anna der Schiffswerft

Viel Emphase, 40 Jahre Gerechtigkeitssinn und Kalenderabrissdramaturgie: Volker Schlöndorffs neuer Film „Strajk – Die Heldin von Danzig“ erzählt, wie die polnische Gewerkschaft Solidarność entstand, und interpretiert die historischen Ereignisse als Vorbereitung für Mauerfall und EU-Osterweiterung

VON CLAUDIA LENSSEN

Volker Schlöndorffs neuer Film rekonstruiert eine Sphäre, die man im Kino selten zu sehen bekommt: körperliche Arbeit in der Industrie. An den Originalschauplätzen der längst nicht mehr voll funktionierenden Lenin-Werft in Danzig hat er die Ereignisse inszeniert, die zu den Streiks im Sommer 1980 führten, aus denen Solidarność, die erste freie Gewerkschaft des kommunistischen Machtbereichs, hervorging. Man bekommt einen intensiven sinnlichen Eindruck davon, was es heißt, mit dem Schweißgerät dicke Metallplatten in Schiffskörper zu verwandeln. Bekleidung, Räume, flaue Beleuchtung – die düster farbigen Bilder führen mit einer modernen beweglichen Kamera in ein Museum der Armut zurück. Sie wollen die Ursachen des Solidarność-Aufbruchs nicht nur behaupten, sondern anschaulich machen. Leider wummern die dynamischen Elektro-Beats des spektakulären Event-Künstlers Jean-Michel Jarre die Bildebene immer mehr zu.

Überhaupt geht es um Emphase. Im Mittelpunkt von „Strajk – Die Heldin von Danzig“ steht eine Vergessene der Geschichte, mithin eine jener Helden-/Opfer-Figuren, ohne die politische Geschichte in Deutschland zurzeit nicht denkmöglich scheint. Das Team hinter Schlöndorff griff einen Dokumentarfilm von Sylke Rene Meyer über die polnische Werftarbeiterin Anna Walentynowicz auf, deren Kampf gegen die schlechten Arbeitsbedingungen damals zu ihrer Entlassung, in der Folge zum Streik und weiter zu Lech Wałęas Aufstieg führte. Der Mann, den die Geschichtsbücher als Gründer und Kopf von Solidarność beschreiben, war Elektriker auf der Lenin-Werft, wurde ebenso wie die ältere Anna Walentynowicz in der Folge der Streiks entlassen und setzte sich mit einem Sprung über das Werft-Tor 1980 an die Spitze des Streikkomitees. Im Film tritt die Aufrührerin freiwillig hinter ihren Kollegen Wałęsa (Andrzej Chyra) zurück, weil sie sein größeres Talent zur politischen Verhandlungsführung anerkennt (das historisch zum Kompromiss mit der Regierung und zur ersten freien Gewerkschaft in einem kommunistischen Land führte).

Katharina Thalbach, die schon 1979 mit Schlöndorff die „Blechtrommel“ rund um Danzig drehte, geht ohne ihre üblichen grellen Theatermarotten an diese Hauptfigur heran und kämpft sich mit ihr in einer Dramaturgie, die an flotte Kalenderabrisse erinnert, durch vierzig Jahre Gerechtigkeitssinn. Es geht um Dinge wie eine warme Suppe in der halbstündigen Pause, ohne den langen Weg zur Kantine. Oder eine Toilette für die Arbeiterinnen. Oder mehr Arbeitssicherheit.

Diese zierliche Proletarierin lebt für die Werft und ihren Sohn, führt ein Leben im Wohnheim, ist eine jener im einst deutschen Danzig gestrandeten Kriegswaisen, die sich über die Aufbauarbeit als Polin mit ihrem Land zu identifizieren gelernt hat. Den Sohn zieht sie ohne dessen Vater, den Werft-Gewerkschaftsboss, auf. Ihre große Liebe, ein zärtlicher Musiker (Dominique Horwitz), stirbt, kaum hat man die beiden zusammen gesehen. Irgendwann wird sie krebskrank, dann wieder gesund. Diese Anna Kowalska (so heißt die Heldin, um juristische Einsprüche abzuwenden) wandelt als eine Heilige durch den Film – überirdisch stark, eine Arbeiter-Madonna.

„Strajk – Die vergessene Heldin“ misst der historischen Figur keine persönlichen Abgründe, keine psychologischen Ambivalenzen zu. Es geht um eine Art moderne Jeanne d’Arc im Kampf zwischen Kommunismus und katholisch geprägtem Reformismus. Es geht um die Legende vom Ursprung der polnischen Befreiungsbewegung, in deren Folge die kommunistische Regierung 1989 zusammenbrach und kurz darauf die DDR. Der Abspann des Films stellt eine Kausalkette auf, nach der die deutsche Wiedervereinigung und die EU-Erweiterung ohne die mutigen Initiative der Arbeiterin im Mikrokosmos ihrer Werft nicht möglich gewesen wären.

War Andrzej Wajdas „Der Mann aus Marmor“ eine brillante antiideologische Helden-Demontage und sein „Der Mann aus Eisen“ eine veristische Reportage der politischen Bewegung, spürt man an „Strajk“ die Überwältigungsstrategie, die Europa-Identität und deutsch-polnische Verständigung stiften will. Wajda äußerte sich zufrieden, dass ein deutscher Film den Solidarność-Mythos aufgreift. Polnische Filmemacher hätten wenig Motivation dazu. Zu umstritten ist Wałęsa. Vorwürfe von Seiten der nationalistischen Regierung der Zwillinge Kaczyński, er habe als Staatspräsident in den Neunzigerjahren versäumt, den kommunistischen Militärgeheimdienst aufzulösen, mischen sich mit Verdächtigungen, er sei als KGB- oder CIA-Agent auf die Lenin-Werft gekommen. Anna Walentynowicz hat heute kein gutes Wort für ihren einstigen Kampfgenossen. Viel Paranoia begleitet die Legende.

„Strajk – Die Heldin von Danzig“. Regie: Volker Schlöndorff. Mit Katharina Thalbach, Andrzej Chyra, Dominique Horwitz u. a., Deutschland 2006, 108 Min.