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Die heile Welt ist die Landwelt. Wie groß die Sehnsucht danach ist, zeigen die Stadtteilfeste am StadtrandWir Gaudiburschen

AM RAND

Klaus Irler

Am Wochenende gab’s den „Bauernmarkt mit Weinfest“ in der Niendorfer Fußgängerzone Tibarg und das Schnelsen-Fest in der Frohmestraße. Kurz hinter der Stadtgrenze feierte man in Ellerbek ein Oktoberfest mit „Brezn, Haxen und Weißwurscht“. Oktoberfeste gibt es gerade viele in Hamburg, nicht nur am Stadtrand, aber quantitativ betrachtet: Vor allem da.

Die Ellerbeker versprachen per Zeitungsanzeige: „Erleben Sie echtes norddeutsches Gaudi.“ Da freut sich der Bayer. Weil in Bayern die Gaudi grammatikalisch gesehen immer noch weiblich ist. Wenn die norddeutschen Gaudiburschen das Gaudi erleben, dann heißt das wahrscheinlich, sie haben die Saufen übertrieben. Naja. Sollen sie. Die Oktoberfest-Geilheit im Norden ist schon seltsam.

Aber auch wenn man den bayerischen Oktoberfest-Imperialismus rausrechnet, dann bleibt bei den Stadtrand-Festen eine frappierende Sehnsucht nach dem Dörflichen übrig. Beim „Bauernmarkt mit Weinfest“ schrieben die Veranstalter: „Das Erntedankfest steht vor der Tür und auch Niendorf erinnert sich wieder an seine dörfliche Vergangenheit.“

Zu dieser Erinnerung zählte dann eine Strohhüpfburg, auf denen die Kinder rumturnen durften – aufgebaut in der Fußgängerzone, die die Veranstalter umtauften in „Dorfplatz“. Außerdem gab es zwei Ziegen in einem mobilen Gehege und einen Auftritt der „Wiesnschwestern“, die bayerische Dirndl tragen, Schlager singen und speziell für Shopping Center einen „mobilen Oktoberfest-Act“ anbieten.

Auch in Schnelsen wollte man zurück zum Dörflichen, ein historischer Stadtteilspaziergang führte „zur Wiege von Schnelsen“, als Schnelsen noch eine bäuerliche Siedlung war. Nach dem Spaziergang gab’s dann Grill und Getränke bei der Freiwilligen Feuerwehr Schnelsen. Schön. Das Feuerwehrfest-Format haben die Bayern nicht erfunden, es ist überregional verbreitet und in der gefühlten Beliebtheitsskala etwa auf Augenhöhe mit den Schlümpfen.

Ein Feuerwehrfest gab es kürzlich sogar in Eimsbüttel, wo die Freiwillige Feuerwehr sich schwer tut, Freiwillige zu finden, weil bei den Mietpreisen keiner für sowas Zeit hat. Nur zum Feuerwehrfest kommen sie dann alle, die jungen Eimsbüttler Hipster-Familien, und finden es cool, dass die Bratwurst fett ist und nicht bio.

Der Roll-Back ins Dörfliche zeugt nicht gerade von gesellschaftlicher Aufbruchsstimmung, aber man muss keine Angst vor ihm haben, es geht nicht um Inhalte, es geht nur um Geld. Der Niendorfer „Bauernmarkt“ ist bei Licht betrachtet wie der Weihnachtsmarkt, nur dass es Wein statt Glühwein gibt und der krönende Abschluss ein verkaufsoffener Sonntag ist.

Veranstaltet wird das Ganze von der Arbeitsgemeinschaft Tibarg, die den Tibarg als Business Improvement District wirtschaftlich nach vorne bringen will. Heile Dorfwelt gibt’s nur so lange, wie die Kasse klingelt. Danach ist damit wieder Schluss. In diesem Punkt ist auf den Kapitalismus Verlass.

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