: Die haarige Nähe
■ Die Dokumentation Tierische Liebe: für's Fernsehen viel zu heiß
Ein einsamer Mensch kauft sich ein Haustier. Vielleicht einen lieben treuen Hund oder ein Kaninchen, ein wolliges Meerschweinchen. Dann ist ein lebendiges Wesen in der Wohnung, das hat auch Augen, ein Maul, Beine, Geschlechtsteile, man kann mit ihm viel machen und es fragt nicht zurück.
Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl hat diverse Leute beim Umgang mit ihren Haustieren gefilmt, wie sie mit ihnen reden, sie im Bett schlafen lassen und vor allem sie berühren, küssen, streicheln; man sieht zwar keinen Geschlechtsverkehr, doch alles ist sehr nahe daran. Natürlich ist das häßlich und nicht leicht zu ertragen für die Zuschauer im Kino, die sich diese unverhohlenen Ersatzhandlungen von Leuten ansehen müssen, denen Nähe und Sex und Liebe fehlt und bei denen das Haustier dafür herhalten muß. Zudem sind die Dargestellten arm, wohnen in häßlichen kleinen Wohnungen und sind so ausgeschlossen, daß sich leicht der Impuls einstellen könnte, das alles lieber nicht ansehen zu wollen.
Außergewöhnlich an Tierische Liebe ist, daß die Bilder, die man zu sehen kriegt, etwas enthalten, das viel mehr ist als nur Häßlichkeit und Tristesse. Das Entscheidende ist die Inszenierung, die Bilder hervorbringt, die jenseits von schön oder häßlich sind, jenseits von „ist das jetzt gut oder schlecht“. In einer der Einstellungen spielen zwei ältere Männer zwischen den Häusern mit ihrem Hund. Am rechten und linken Bildrand sind schräg zueinander die Hochhausquader, dazwischen eine abschüssige grüne Fläche und darauf eine sich bewegende Dreiecksformation aus den beiden Figuren und dem Hund, der immer hin und herläuft. Hier wird eine Abstraktion in der Bildsprache erreicht, in der die Relation der plastischen Bildelemente, der Farben und der Bewegung zum Entscheidenden wird und man es als das Entscheidende auch wahrnehmen kann. Das überschreitet die Frage nach der „Bedeutung“ einer solchen Einstellung und verwirrt sie. Zugleich ist es gerade das Gewicht des Inszenierungsmoments, das den Dargestellten/Darstellern erlaubt, so viel Reales von sich zu zeigen und als Personen mit vielen Differenzierungen sichtbar zu werden. Der Film gibt den Menschen Raum, sich zu zeigen und sei es auch in ihrem Mangel. Dadurch kann auch im Zuschauer Anderes hervorgerufen werden als nur ein „Oh, wie eklig“, „oh, wie grausam“. Es ist nicht – wie Werner Herzog über den Film schrieb –, die Hölle, in die man da blickt. Wenn es einfach die Hölle wäre, dann gäbe es ja nichts mehr darüber zu sagen, nichts mehr nachzudenken. Doch das ist nicht das Gefühl, mit dem man das Kino verläßt.
Simone Sondermann
Premiere, Sa, 21. September, 19 Uhr, Metropolis
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